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HOAI-Mindest- u. Höchstsätze gekippt: Was tun?

Mit Urteil vom 04.07.2019 hat der EuGH entschieden (AZ: Rs. C-377/17), dass die Mindest-und Höchstsätze der HOAI (§ 7 Abs. 1 HOAI 2013) unions-rechtswidrig sind; welche Konsequenzen ergeben sich nun aus dem Urteil?
Hintergrund
Bereits vor einigen Jahren hatte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegenüber der Bundesrepublik Deutschland angestrengt mit der Begründung, dass die zwingenden Höchst- und Mindestsätze  der HOAI gegen die Dienstleistungsrichtlinie Art. 15 verstoßen. Mindest- und Höchstpreise sind gemäß Art. 15 Abs. 2g Dienstleistungsrichtlinie grundsätzlich unzulässig; sie sind gemäß Art. 15 Abs. 3b und c nur aus zwingenden Gründen des allgemeinen Interesses gerechtfertigt und auch nur dann, wenn sie verhältnismäßig sind.

Als zwingende Gründe des Allgemeininteresses hatte die Bundesrepublik Deutschland insbesondere die Qualitätssicherung der Architektenleistungen, Verbraucherschutz und die Baukultur benannt. Dies ließ die Kommission grundsätzlich auch gelten, berief sich aber insbesondere darauf, dass das berechtigte Ziel der Wahrung der Qualität und der Baukultur auch mit anderen Mitteln, insbesondere beispielsweise Zugangsbeschränkungen, Fortbildung, Pflichtversicherung und unverbindlichen Honorarempfehlungen zu erreichen sei, mithin die Festsetzung von zwingenden Mindest- und Höchstsätzen ein unverhältnismäßiges Mittel darstelle.

Nunmehr entschied der EuGH, im Ergebnis der Kommission folgend, in der Begründung allerdings abweichend. Der EuGH meint, die deutschen Regelungen seien im Hinblick auf den verfolgten Zweck, die Qualität der Architektenleistungen zu sichern, inkohärent, da grds. Architektenleistungen in Deutschland auch durch Nicht-Architekten erbracht werden könnten.
Hinweis
Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus dem vorliegenden Urteil?

1.
Zunächst ist festzustellen, dass die der Klage der Kommission stattgebende Entscheidung des EuGH für sich genommen keine unmittelbare Wirkungen für nationale Gerichtsverfahren, für abgeschlossene Verträge oder laufende Vergabeverfahren hat. Vielmehr wirkt das Urteil lediglich im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland, die aufgefordert ist, nunmehr dem vertragsverletzenden Zustand abzuhelfen, d. h. die zwingenden Höchst- und Mindestsätze abzuschaffen.

2.
Allerdings ist zu beachten, dass Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie nach zwischenzeitlich häufig geäußerter Ansicht, die wohl grds. auch durch den EuGH bestätigt wurde (vgl. Rn. 57 f. des Urteils), unmittelbare Wirkung auf sogenannte innerstaatliche Sachverhalte hat. Hieraus wird teilweise geschlossen, dass die Parteien eines innerstaatlichen deutschen Rechtsstreits sich auf die Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie berufen können und nationale Gerichte die Dienstleistungsrichtlinie jederzeit und unmittelbar zu beachten haben.

Da nun, nach dem EuGH Urteil, feststeht, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen, sollte nach dieser Ansicht nationalen Gerichten  nichts anderes bleiben, als eben auch jetzt schon, d. h. bei aktuellen Rechtsstreiten, die Höchst- und Mindestsätze unangewendet zu lassen, d. h. insbesondere Mindestsatzklagen (und natürlich auch Höchstsatzklagen) abzuweisen (so OLG Celle, Urteil vom 17.07.19).

Andererseits gibt es bereits mehrere Oberlandesgerichte, die die Mindest- und Höchstsätze auch nach dem Urteil des EuGH noch anwenden mit der Begründung, dass das Urteil keine unmittelbaren  Konsequenzen für laufende Rechtsstreitigkeiten habe (z.B. OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019). Nach deren Ansicht ändert sich nach dem Urteil des EuGH zunächst einmal gar nichts, solange der Gesetzgeber nicht tätig wird.

Ungeachtet der vorstehenden Diskussion hat das BMI den Erlass  v. 05.08.2019 herausgegeben mit der Vorgabe, dass in laufenden Vergabeverfahren Angebote unterhalb der Mindestsätze bzw. oberhalb der Höchstsätze nicht mehr ohne weiteres ausgeschlossen werden.

3.
Folgt man grundsätzlch der Ansicht, die eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie auch schon vor einer Reaktion des Gesetzgebers bejaht, ergeben sich weitere Überlegungen:

3.1
Das Urteil des EuGH und auch Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie betreffen ausschließlich die in der HOAI geregelten zwingenden Mindest- und Höchstsätze, nicht die HOAI im Übrigen. D. h., die HOAI im Übrigen bleibt erst einmal bestehen und wirksam, unter anderem die Regelungen der Leistungsbilder, die den Leistungsphasen zugeordneten Leistungs-Prozentpunkte, die Grundleistungskataloge, die Regelungen zu den anrechenbaren Kosten, zu den Honorarzonen bzw. zu den Vorschriften zur Ermittlung der Honorarzonen sowie schließlich auch die Honorartafeln.
 
Eine ungeklärte, aber möglicherweise nicht ganz unrelevante Frage ist, ob auch die in der HOAI, § 7 Abs. 1 (vgl. auch § 14 Abs. 3) geregelten Formvoraussetzungen für wirksame Honorarvereinbarungen, nämlich „Schriftform bei Auftragserteilung“  wirksam bestehen bleiben; würde man dies annehmen, würden nach wie vor Honorarvereinbarungen oberhalb der Mindestsätze nur dann wirksam vereinbart werden können, wenn diese Voraussetzungen eingehalten sind (vgl. Honoraranspruch / Umfang gemäß Honorarvereinbarung / Schriftform und Honoraranspruch / Umfang gemäß Honorarvereinbarung / bei AuftragserteilungHOAI 2013)

3.2
Aus der Tatsache der dargestellten, beschränkten Wirkungen des Urteils bzw. der Richtlinie folgt auch, dass weder das Urteil noch die Richtlinie irgendwelche Auswirkungen auf die Wirksamkeit von bereits geschlossenen Verträgen haben (auch wenn man die unmittelbare Wirkung bejaht). Auch Honorarvereinbarungen in bereits abgeschlossenen Verträgen blieben unberührt mit der Maßgabe, dass - wenn diese Höchstsätze überschreiten bzw. Mindestsätze unterschreiten - sich die Vertragsparteien eben auf die Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung nicht mehr berufen könnten.
 
Dem einen oder anderen Architekten könnte es passieren, dass Bauherrn nunmehr versuchen, unter Berufung auf das EuGH-Urteil bereits vereinbarte Honorare zu kürzen bzw. nicht zu zahlen; Bauherrn könnten insoweit versucht sein, sich auf einen „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ zu berufen mit dem Argument, dass sie nur ein geringeres Honorar vereinbart hätten, wenn sie die Unwirksamkeit der HOAI gekannt hätten. Nach den bisher geäußerten Ansichten und auch nach Ansicht des Verfassers dürften solche Versuche der Honorarminderung aber unberechtigt sein und ins Leere laufen.
 
In Konstellationen, in denen die Vertragsparteien in der Verggangenheit eine Honorarvereinbarung nicht oder nicht wirksam geschlossen hatten, dürfte es zunächst dabei bleiben, dass sie ein Honorar nach den üblichen Sätzen gemäß § 632 Abs. 2 BGB erhalten und sich der übliche Satz nach der HOAI, wohl Mindestsatz, orientiert.

Bei Änderungsanordnungen des Bauherrn in bereits geschlossenen Vertragsverhältnissen, die zu höheren anrechenbaren Kosten führen, sowie auch bei angeforderten Wiederholungsleistungen, bliebe es bei den bisherigen Regelungen zur Honorarermittlung (vgl. Honoraranspruch / Mehrleistung / Planungsänderung, vgl. auch § 10 HOAI 2013).

4.
Wie der Gesetzgeber auf das Urteil des EuGH reagieren wird, bleibt abzuwarten; denkbar ist eine ersatzlose Abschaffung der HOAI (wohl unwahrscheinlich), Preisregelungen nur für die öffentliche Hand (wohl auch unwahrscheinlich) oder die Aufrechterhaltung der jetzigen oder einer modifizierten HOAI mit Empfehlungscharakter oder Regelrahmen.

5.
Was gilt nun für den Abschluss neuer Vertragsverhältnisse bis der Gesetzgeber reagiert?

5.1
Folgt man der Ansicht, dass das Urteil und die Dienstleistungsrichtlinie ohnehin keine unmittelbare Wirkung haben, so bliebe – bis der Gesetzgeber tätig wird – ohnehin alles beim Alten: Die HOAI gilt als zwingendes öffentliches Preisrecht und ist entsprechend bei Honorarvereinbarungen zu beachten.

5.2
Folgt man der Ansicht, dass die Dienstleistungsrichtlinie bereits jetzt unmittelbar wirkt, so ließe sich (gleichwohl) Folgendes sagen:

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie auf Verträge keine Wirkung hat, können bestehende Vertragsmuster derzeit grds. weitergenutzt werden. Dies gilt auch, soweit die Vertragsmuster zur Leistungsbeschreibung auf die HOAI-Leistungsbilder (Grundleistungskataloge) Bezug nehmen.

Es erscheint derzeit darüber hinaus folgerichtig, zunächst weiter die HOAI als Bezugsmaßstab für Honorare im Vertrag festzulegen; d.h. man kann die Vorschriften der HOAI – genauso wie seit jeher – als Preisermittlungsregeln nutzen. Jedenfalls solange, bis die Bundesrepublik gegebenenfalls reagiert, die HOAI abschafft oder modifiziert. Dies wird abzuwarten bleiben. Eine Modifizierung oder Abschaffung der HOAI hätte aber keine nachteilige Rückwirkung für heute - nach dem Urteil - unter Bezugnahme auf die HOAI abgeschlossene Verträge; d.h. solche Verträge und auch Honorarvereinbarungen blieben auch bei beispielsweise einer Abschaffung der HOAI wirksam und durchführbar.

Allerdings ist zu beachten, dass zukünftig Korrekturen des vereinbarten Honorars über die Mindestsätze nicht mehr möglich sein werden. Vor diesem Hintergrund müssten nach Ansicht des Verfassers Architekten und Ingenieure zunehmend darauf achten, dass sie pauschalierende Honorarvereinbarung mit festgelegten Parametern vermeiden oder Korrekturmechanismen im Vertrag  konkret regeln. Beispielhaft könnte vereinbart werden,
- dass die Honorarparameter, insb. anrechenbar Kosten und Honorarzone, erst zum Schluss des Vorhabens bestimmt und festgelegt werden
- oder dass anrechenbaren Kosten bei Bauprogrammänderungen angepasst werden bzw. die Kostenberechnung fortgeschrieben  (so schon etwa § 10 I HOAI) und insb. auch die Honorarzone bei gestiegenen oder verringerten Anforderungen angepasst wird.

Im Falle fehlender Honorarvereibarungen wird jedenfalls bis zu einer Reaktion des Gesetzgebers der HOAI-Mindestsatz wohl als übliche Vergütung über § 632 II BGB auch Geltung behalten.

6.
Welche längerfristigen Auswirkungen das Urteil haben wird, bleibt abzuwarten. Jeder Architekt tut aber wohl gut daran, seine unternehmerische Strategie zu überdenken und zu festigen.
 

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Rechtsanwälte Reuter Grüttner Schenck