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22.12.2006

Alles auf Anfang

Ein Rückblick auf das Architekturjahr 2006


Wir haben Sie in diesem Jahr in über 1.800 Meldungen tagesaktuell informiert und wollen das Redaktionsjahr nicht beschließen, ohne einen resümierenden Blick auf das ablaufende Architekturjahr zu werfen.

Der Rückblick auf das bald zu Ende gehende Jahr 2006 steht unter dem Rubrum „Alles auf Anfang?“.
Angefangen mit der deutschen Architekturhauptstadt: Berlin hat schon zu Beginn des Jahres gezeigt, dass es baukünstlerisch pausiert: Für die Topographie des Terrors wurde unbaubare Baukunst durch Baubarkeit ersetzt, und das gab den Ton für das Jahr vor: „Arm, aber sexy“ zu sein, ist grundgesetzgemäß. Ohne Stimmann ohne Richtung zu sein, auch. Doch die laufenden Großprojekte BND, BBI, Anschutz-Arena und Banane am Alex verströmen den Charme architektonischer Tütensuppen. Ein kleines Radialsystem und eine verspätete Bahnhofseröffnung pro Jahr genügen nicht für eine 3,5 Millionen-Stadt! Hat Berlin fertig?

Ausgerechnet der totgeglaubte Werkbund im konservativen München bewies Mut, im Städtebau eine neue Position zu besetzen und wählte Kazunari Sakamotos Entwurf für seine neue Siedlung. Sakamotos Modell basiert auf einem „Inselplan“: Jedes Wohnhaus bildet eine Insel im öffentlichen Raum. Ist das nicht die Lösung für die deutsche Elementarteilchen-Gesellschaft?
London hat seine Olympiade und Hamburg seine Wasserstadt, aber ein Rückblick auf das Architekturjahr 2006 zeigt, wie sich die weltweiten Gewichte verschieben: Dubai und Schanghai, gefolgt von Hanoi – das sind die Städte der Zukunft und mit Gehry, OMA und Hadid sind mal wieder alle gut etablierten „enfants terribles“ der Architektur schon lange mit von der Partie. Die unerschöpflich scheinenden Quellen von Öl und billiger Arbeit in Kombination mit autoritären Regimen locken das Kapital unwiderstehlich – und in der Folge auch ihre Architekten. Barrierefreie Niedrigenergiehäuser sind dort jedenfalls nicht gefragt.

Deutschland ist in Europa scheinbar nur als Importeur von Baukunst interessant: Vier Gebäude in Deutschland fehlen in keinem Jahresrückblick der internationalen Kritiker-Kollegen: UN Studios verdrehtes Mercedes-Benz Museum in Stuttgart, Zaha Hadids schnittiges Phaeno Science Centre in Wolfsburg, das strenge Literaturmuseum der Moderne in Marbach von David Chipperfield und die neue Zeche Zollverein in Essen von SANAA aus Tokio, denen es 2006 erstmals gelungen ist, sich in die Reihe der Weltstars zu katapultieren. SANAA erlebten zugleich ihr US-Debut mit dem gläsernen Toledo Museum of Art. Kazuyo Sejima wird auch im neuen Jahr in allen Feuilletons sein, dafür sorgt allein schon ihr neues Museum in New York.

Die USA haben sich einmal mehr als fruchtbarer Boden für die europäische Architekturprominenz erwiesen wie der Hearst-Tower in New York von Norman Foster oder das Guthrie-Theater von Jean Nouvel in Minneapolis beweisen. Die Ära der Architektur-Ikonen ist noch lange nicht vorbei, nur die deutschen Architekten partizipieren nicht daran, weil sie keine Stars hervorbringen. Stefan Behnisch kann schließlich nicht alles alleine machen... Die neue Hauptverwaltung der Lufthansa am Frankfurter Flughafen von Christoph Ingenhoven oder die neue Synagoge in München von Wandel Höfer Lorch beweisen, dass in Deutschland hochklassige Architektur entsteht, von der die Welt zu wenig erfährt.

Gewinn und Verlust
Fast scheint es, als hätte die Moderne jetzt erstmals einen Punkt erreicht, wo für jedes gute neue Gebäude ein altes Gutes verloren geht: Aus den USA, wo die Moderne einst ihren Durchbruch erlebt hatte, mussten wir – in nur einem einzigen Jahr! - (drohende) Abrisse von Bauten von Breuer, Neutra und Rudolph melden, den besten Modernen Architekten ihrer Zeit. Selbst die Halbgötter Aalto und Kahn sind nicht davor gefeit, dass man ihre Werke leichtfertig abreißt oder entstellt.

Auf der anderen Seite kann das Erbe der kanonisierten Heroen der Moderne durch posthume Affenliebe auch verwässert werden: Le Corbusies Kirche St. Pierre-de-Firminy wurde ebenso einem abgeschlossenen Oeuvre zugefügt wie Frank Lloyd Wrights Ruderclub in Buffalo. Selbst Le Corbusiers Werk in Chandigarh soll nun fertig gestellt werden. Moderne-Nostalgie ist für die Moderne ebenso schädlich wie Traditions-Nostalgie. Die drei prominentesten Streitfälle des Jahres haben genau das illustriert: Sowohl beim ausgebuhten Bauhaus Europa in Aachen, als auch beim unsensiblen Umgang mit der Großmarkthalle in Frankfurt für den Neubau der Europäischen Zentralbank und erst recht bei dem Skandal um die Gazprom-City in St. Petersburg stand die 2. Moderne wie mit „Kaisers neuen Kleidern“ da.

Das Architekturjahr 2006 war von zwei Großereignissen geprägt: Der Biennale in Venedig und der Fußballweltmeisterschaft. Mit dem Tipp-Spiel und einem Architekturführer zu den Stadien hat die BauNetz-Redaktion das sportliche Großereignis virtuell begleitet. Die WM haben Sie am Bildschirm vermutlich ebenso minutiös verfolgt wie die BauNetz-Redaktion die Architekturbiennale, von der wir erstmals „als BauNetz-TV getarnt“ mit bewegten Bildern und Blog berichtet haben. Mit den neuen Architektenprofilen, den [Link auf /designlines:Designlines%7C_blank] und der Interviewserie [Link auf /arch/talk/appletalk/start.php:AppleTalk%7C_blank] haben wir das BauNetz-Angebot deutlich erweitert. Bei den Meldungen sorgen die verbesserte Suchfunktion, das neue Design, die Zoombild-Show und die rege genutzte Kommentier-Funktion für frischen Wind. Mit der [Link auf /sixcms_4/sixcms/list.php?page=pg_weekly:BAUNETZWOCHE haben wir sogar ein neues „Querformat für Architekten“ ersonnen, in dem wir jeden Freitag die besten Trouvaillen der Woche für Sie aufbereiten. Alle diese Inhalte können Sie wie gewohnt kostenlos lesen.

Den Wiederaufbau am Ground Zero in New York, in New Orleans und am Schlossplatz Berlin kommentieren wir dieses Jahr nicht - dafür bleiben uns noch allzu viele Folgejahre!

Der Glanz der großen Namen verblasst nicht, zumindest in den Augen der Bauherren. Aber große Namen bürgen nicht immer für große Bauten, das bewahrheitet sich immer wieder. Zu den Tiefpunkten des Architekturjahres gehörte sicherlich Böhms verpfuschtes Hans-Otto-Theater in Potsdam – große Enttäuschung in allen Feuilletons. Dass auch alte, Pritzkerpreis-dekorierte Herren noch fantastische Gebäude entwerfen können, bewies hingegen einmal mehr I. M. Pei, dessen neue Kunst-Museen in Luxemburg und seiner chinesischen Heimatstadt Suzhou auf ganz unterschiedliche und dennoch Pei-typische Art, ihren jeweiligen Städten Gesicht geben. Niemeyers Pläne für eine brasiliano-phile Bäderlandschaft in Potsdam hingegen wurden ersatzlos eingestampft.

Zum erlauchten Kreis der Pritzkerpreisträger gehört seit diesem Jahr auch Paulo Mendes da Rocha. Die Royal Gold Medal des RIBA bekam Toyo Ito und den japanischen Praemium Imperiale Frei Otto.
Leider musste das BauNetz 2006 auch mehrere Todesfälle melden: Die Architekturwelt trauert um James Ingo Freed, Hugh Stubbins, Michael Mussotter, Walter Henn, Ernst Hiesmayr, Sheldon Fox und Kazuo Shinohara. Mit Jane Jacobs, Allen Temko und Peter Blake sind außerdem drei sehr namhafte amerikanische Kritiker 2006 verstorben.
Zum – hochsubjektiv und streng unwissenschaftlich ausgewählten - besten Gebäude des Jahres wählen wir das KUMU in Tallinn: Das estnische Kunstmuseum von dem finnischen Architekten Pekka Vapaavuori (Helsinki) hat wie kein zweites Gebäude 2006 gezeigt, wie herrlich unaufdringlich nordische Eleganz ist.

Ulf Meyer


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Sejima und Nishizawa

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