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Genehmigungsfreistellungsverfahren: Worüber sollte der Planer seinen Auftraggeber aufklären?

Ein Planer muss die Nachteile der landesrechtlichen Genehmigungsfreistellungsverfahren kennen und den Bauherrn gegebenenfalls hierüber aufklären.
Hintergrund
Die Landesbauordnungen der 16 Bundesländer sehen weitgehend sogenannte Genehmigungsfreistellungsverfahren (oder Anzeigeverfahren) vor. Die Verfahren bewirken grundsätzlich die Freistellung des Bauherrn von dem formellen Genehmigungsverfahren. Zulässig sind die Freistellungsverfahren i.d.R. in B-Plan-Gebieten für Wohngebäude oder sonstige Gebäude, die nicht Sonderbauten sind. Der Bauherr reicht entsprechende Genehmigungsunterlagen bei der zuständigen Gemeinde ein und kann mit dem Bauvorhaben beginnen, wenn die Gemeinde der Durchführung des Verfahrens nicht innerhalb eines Monats widerspricht.
 
Die Verfahren wurden seit etwa den 90er Jahren eingeführt, unter anderem um eine Verwaltungsentlastung zu erreichen. Den Bauherrn begünstigt das Verfahren mit niedrigeren Genehmigungsgebühren und kürzerer Dauer. Für den Architekten stellt das Verfahren ein erhebliches Mehr an Verantwortung dar. Der Architekt hat im Rahmen der Erstellung einer genehmigungsfähigen Planung natürlich auch im Genehmigungsfreistellungsverfahren das gesamte öffentliche Baurecht zu überprüfen (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 04.11.2009). Im Gegensatz zum normalen, sog. vereinfachten Genehmigungsverfahren (vgl. auch die Besprechung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens unter Tipps & Mehr) arbeitet er aber beim Genehmigungsfreistellungsverfahren ohne Rücksprache mit der Behörde und damit ohne jede Kontrollinstanz. Dies hat seit jeher Architekten bewogen, das Genehmigungsfreistellungsverfahren – wenn möglich – zu meiden.
Hinweis
Was aber macht der Architekt, der mit den Argumenten des Bauherrn konfrontiert wird, das Freistellungsverfahren koste ihn, den Bauherrn, weniger Geld und beanspruche weniger Zeit? In diesem Fall hätte der Architekt nach diesseitiger Ansicht über die Nachteile des Genehmigungsfreistellungsverfahrens aufzuklären, um dem Bauherrn eine abgewogene Entscheidung zu ermöglichen. Die Nachteile des Genehmigungsfreistellungsverfahrens, die aus der fehlenden Baugenehmigung resultieren, sind allerdings häufig gar nicht bekannt:


  1. Eine Genehmigung bewirkt eine Legalisierung des Bauvorhabens. Das Bauvorhaben gilt auf Grund der Baugenehmigung als legal und zwar selbst dann, wenn es materiell Rechte verletzt, also materiell illegal wäre. Entsprechend schützt die Baugenehmigung das Bauvorhaben selbst bei materieller Illegalität vor bauaufsichtlichen Eingriffen, insbesondere auch schon während der Errichtung vor einer Stilllegungsverfügung.Nun kann zwar eine Baugenehmigung nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder zurückgenommen werden; im Anschluss an die Rücknahme wäre dann die Legalisierung des Gebäudes aufgehoben. Eine Rücknahme einer Baugenehmigung erfolgt jedoch in der Praxis selten, da zum einen die Rücknahmevoraussetzungen eng sind und zum anderen bei Rücknahme gegebenenfalls eine Entschädigungspflicht der Behörde bzw. der dahinter stehenden Körperschaft ausgelöst wird. Im Ergebnis ist nach Ansicht des Verfassers insb. während der Errichtung ein genehmigtes Gebäude erheblich mehr vor einer Stilllegungsverfügung der Bauaufsicht geschützt, als ein Gebäude im Genehmigungsfreistellungsverfahren.

  2. Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Genehmigungsfreistellungsverfahren ist das Vorliegen eines Bebauungsplans. Ein Bebauungsplan ist als gemeindliche Satzung angreifbar und in einem Normkontrollverfahren einer Nichtigkeits- bzw. Unwirksamkeitsprüfung unterstellt. Wird durch das zuständige Oberlandesgericht auf Nichtigkeit/Unwirksamkeit des Bebauungsplans erkannt, nach dem auf der Grundlage des Genehmigungsfreistellungsverfahren mit der Errichtung des Vorhabens begonnen wurde, fehlt es regelmäßig an der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens (häufig befinden sich entsprechende Vorhaben plötzlich im Außenbereich).

    Wie mit dieser Situation umzugehen ist, wird in den Landesbauordnungen teils überhaupt nicht und teils unterschiedlich unvollständig geregelt. Das Bauvorhaben wird durch einige Landesbauordnungen nach Durchlaufen des Genehmigungsfreistellungsverfahrens mit Beginn seiner Errichtung oder unter Umständen erst mit Beginn seiner Fertigstellung geschützt, häufig aber auch nur dann, wenn „Rechte Dritter“ nicht entgegenstehen. Die entsprechenden Vorschriften der Landesbauordnungen waren – soweit erkennbar – noch nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung. Unklar ist vor diesem Hintergrund, was im Einzelfall von dem Bauherrn verlangt werden kann, wenn sein Bauvorhaben infolge des Genehmigungsfreistellungsverfahrens einer Baugenehmigung entbehrt und dann der Bebauungsplan als unwirksam/nichtig erkannt wurde. Hier besteht jedenfalls ein erhebliches Risiko, welches jeder Bauherr kennen sollte.

  3. Schließlich ist für solche Gebäude, für die eine Genehmigung nicht erteilt wurde, der Bestandschutz häufig schwer oder gar nicht mehr nachweisbar. Bestandschutz entsteht nach herrschender Ansicht auf Grund materieller Legalität bei Errichtung oder jedenfalls in einem längeren Zeitraum nach Errichtung oder auf der Grundlage einer Baugenehmigung; liegt eine Baugenehmigung vor, kommt es für den Bestandschutz nach wohl herrschender Ansicht nicht einmal mehr auf die materielle Legalität an, das heißt beim Vorliegen einer Baugenehmigung wäre selbst ein materiell illegales Gebäude bestandsgeschützt.

    Für Gebäude, die das Genehmigungsfreistellungsverfahren durchlaufen haben, fehlt es an einer Baugenehmigung, weshalb Bestandschutz gegebenenfalls nur noch über den Nachweis materieller Legalität möglich ist. Dies wird wenige oder einige Jahre nach Errichtung wohl in der Regel noch möglich sein, der Nachweis materieller Legalität für ein Gebäude, welches mehr als zehn Jahre alt ist, fällt aber häufig schon sehr schwer. Dabei liegt nach der Rechtsprechung die volle Beweislast für den Bestandschutz beim Eigentümer des Gebäudes.




Nach diesseitiger Ansicht hat jeder Planer, der mit dem Wunsch des Bauherrn konfrontiert wird, das Genehmigungsfreistellungsverfahren zu wählen, den Bauherrn über vorstehende Risiken aufzuklären. Der Unterzeichner rät jedenfalls – wo er nur kann – von der Wahl des Genehmigungsfreistellungsverfahrens eindeutig ab, es sei denn es handele sich um ein Wohngebäude für Vierbeiner.

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Rechtsanwälte Reuter Grüttner Schenck