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12.01.2017

Elbphilharmonie eröffnet

Superlative und quakende Klarinetten


Von Gregor Harbusch

Nein, wir waren leider gestern Abend nicht vor Ort. Und nein, wir haben auch keinen Bürobesuch in Basel zu bieten, den die Süddeutsche Zeitung schon am Dienstag brachte, um auf die Eröffnung der Elbphilharmonie einzustimmen. Aber ein Blick in die Zeitungen zeigt: So viel Euphorie und Hype um einen Neubau gab es in Deutschland wohl noch nie. Die Tagespresse ist da natürlich ein guter Gradmesser für die öffentliche Wahrnehmung von Architektur. Grund genug also, sich einmal genauer anzusehen, wie über den Hamburger Prestigebau von Herzog & de Meuron berichtet wird.

Den Takt der Superlative gab Roman Hollenstein bereits im November in der Neuen Zürcher Zeitung vor. Der „erste überragende Bau des neuen Jahrtausends“ sei in Hamburg entstanden, „nichts Vergleichbares“ hätten die beiden Schweizer bisher geschaffen. Ja, selbst Le Corbusier „würde staunen“ über die Erfolge seiner Landsleute, denn er selbst habe sich „mit kleinen und mittelgrossen Aufträgen begnügen müssen“. Dass der Wahlfranzose mit Chandigarh immerhin eine ganze Stadt plante und die Produktionsbedingungen von Architektur vor einigen Jahrzenten doch noch etwas anders waren – geschenkt... Am letzten Samstag legte die NZZ nach. Ganze vier Seiten widmete sie dem Haus und kommt dabei unter anderem zu dem Schluss, dass das Visionäre und die verschwenderische Großzügigkeit des Hauses das „gesamte, scheinbar in Stein gemeisselte Selbstverständnis“ Hamburgs revidiert haben. Die Stadt sei nun nicht mehr „schnöde Kaufmannsstadt“, sondern eine echte „Kulturmetropole von Weltgeltung“. Letzteres wird sich freilich weniger an der Architektur, als längerfristig am Programm des Hauses messen lassen können.

Zur Eröffnung erinnerten die Zürcher gestern aber auch nochmals an die Kostenexplosion und wiesen darauf hin, dass Vergleichbares in der Schweiz nicht möglich sei, denn bei öffentlichen Großprojekten gibt es eine Abstimmung, in der der Baukredit genehmigt werden muss. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung widmete den Fehlkalkulationen und falschen Behauptungen im Laufe des langwierigen und schmerzhaften Planungsprozesses nochmals einen langen Artikel, in dem „sechs Irrtümer um den Bau“ detailliert dargelegt werden. Unter dem Titel „Freiheitsstatue des Bürgertums?“ argumentiert Matthias Hertle an Hand von Akten, Interviewaussagen und alten Artikeln. In welch euphorische Höhen manche Befürworter sich im Laufe der Jahre geschrieben haben, zeigt ein Zitat aus dem Spiegel, der in leicht verquerer Metaphorik 2006 ein neoliberales Loblied auf das private Mäzenatentum anstimmte: „Es ist nicht der Staat, der diesen Traum in Wirklichkeit verwandeln soll. Es sind die Bürger selbst. (...) Die Elbphilharmonie ist eine Fähre, die in Deutschland zu einem neuen Verständnis von Kulturförderung ablegt. Und zu einer neuen Freiheit vom Staat. Am Ufer zurück bleiben alte Argumente.“ Am Schluss musste „der Staat“ dann doch noch mit knapp 800 Millionen Euro aushelfen.

Die Süddeutsche Zeitung widmete gestern sogar ihren Leitartikel dem Haus, um deutlich zu machen, dass die Eröffnung mehr als ein architektonisches Ereignis ist. Andrian Kreye schlägt unter dem schlichten Titel „Wahrzeichen“ den großen gesellschaftlichen, politischen und zeithistorischen Bogen, ohne pathetisch zu werden. Mit Blick auf die Verheißungen der historischen Atlantikroute zwischen Hamburg und New York setzt er das Haus mit der Freiheitsstatue in Bezug, um anschließend die Ängste vor Donald Trump mit einem globalen Freiheitsversprechen, das viele heutzutage vor allem in Deutschland verankert sehen, zu kontrastieren. Mit der rhetorischen Rückfrage an sich selbst, ob soviel Symbolik tatsächlich sein muss, scheint er nicht zuletzt auf die Kollegen zu zielen, die seit Wochen ein wahres Feuerwerk an Bildern, Metaphern und feuilletonistischer Pointen abbrennen, um das Haus in höchste Höhen zu jubeln. Sein Schluss zielt auf die kultur- und baupolitische Bedeutung des Projekts: „Die eigentliche Symbolkraft (...) wurzelt in der Entscheidung, nicht das eigentlich geplante Bauträgerprojekt im Monsterformat am schönsten Eck der Stadt zu bauen, sondern ein Zentrum für Musik.“

Einen ersten veritablen Verriss lieferte Manuel Brug heute Vormittag auf der Website der Welt. Es geht um die Akustik – den „wahren Fetisch“ (Till Briegleb in der SZ) eines Konzertsaals – über die man vermutlich unendlich lang streiten kann. Dass alle Involvierten nach den langen Torturen begeistert sind, verwundert nicht. Wie Brug sein gestriges Erleben des Auftaktkonzerts beschreibt, ist auf jeden Fall lesenswert: Von breiigen Einheitslauten ist die Rede, und die Klarinetten quaken. Inwiefern er recht hat, wird sich mit der Zeit zeigen und muss jeder für sich selbst entscheiden. In der gedruckten heutigen Ausgabe der SZ verweist Reinhard J. Brembeck auf die Begeisterung der Musiker, die bisher im Saal spielen konnten. Er lobt die „unvergleichliche Wohlfühlatmosphäre“ des Saals, der die privaten Qualitäten eines „Wohnzimmers“ habe. Bereits jetzt würden sich alle „Klassik- und Popgrößen (...) darum reißen, hier wenigstens einmal im Leben zu spielen“. Bei den Hörproben im leeren Saal fielen insbesondere drei Dinge auf: „Der Klang ist warm, sehr direkt und in den tieferen Bereichen etwas ungenau.“

Was natürlich immer und immer wieder durchscheint: die schieren Superlative. Der Hinweis auf die Verzehnfachung der Baukosten und die Skandale um den ganzen Planungsprozess dürfen natürlich nicht fehlen. Man kennt die Zahlen zur Genüge, doch manches Detail erstaunt dann trotzdem noch mal: Dass etwa allein die Fassade 50 Millionen Euro gekostet hat und jedes der aufwändig gebauchten Fensterelemente – über deren ästhetische Qualitäten sich trefflich streiten ließe! – mit 72.000 Euro zu Buche schlug. Wie auch immer man dazu stehen mag: Der reichlich ahistorische Vergleich, dass auch bei Kathedralen keiner mehr nach den Bauzeiten und Kosten fragt, greift in einer modernen Demokratie ganz sicher zu kurz. Till Briegleb bringt die erstaunliche kollektive Verdrängungsleistung angesichts des Eröffnungstaumels am Ende seines Artikels in der heutigen SZ spitz auf den Punkt: „Und überall herrscht eine Stimmung wie im Wirtschaftswunder, wo man an die Schattenseiten der Vergangenheit bitte nicht erinnert werden will. Aber trotz all dieser Geschichtsvergessenheit ist der große Traum, in Deutschland ein ähnlich signifikantes und schönes Gebäude wie die Sydney-Oper zu haben, am Ende erfüllt worden.“

War’s das also? Geht es am Schluss tatsächlich nur um die bildhafte Fernwirkung eines Signature Buildings, das in genial exponierter Lage zu geradezu unerschöpflichen Metaphern und euphorischer Identifikation anstiftet? Hoffentlich nicht. Fürs Erste ist jetzt aber wahrscheinlich genug geschrieben worden. Nun muss sich das Haus bewähren: mit seinem Programm, als öffentlicher Raum und als Ort des sozialen und kulturellen Austausches.

Fotos: Iwan Baan,
Michael Zapf, Maxim Schulz, Thies Rätzke, Nina Struve, Oliver Heissner, Sophie Wolter


Zum Thema:

Die Elbphilharmonie ist nicht nur eines der langwierigsten Bauvorhaben der jüngeren Gegenwart, sondern auch eines der ersten Gebäude solcher Größenordnung, dessen Entstehungsprozess fast vollständig auf BauNetz dokumentiert ist – von der ersten Idee 2003, über die frühe Unterstützung der Architektenschaft bis zum Baubeschluss 2005; weiter mit der umfassenden Überarbeitung von 2006, zum Bauvertrag, zur Abstimmung und Grundsteinlegung, und schließlich mit dem Richtfest 2010 zum ersten Höhepunkt, gefolgt von der finalen Bewältigung der Querelen samt neuem Fahrplan bis zur Fertigstellung samt detailliertem Blick auf Möblierung und Interieurs.



www.elbphilharmonie.de


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Elbphilharmonie im Dezember 2016, Foto: Thies Rätzke

Elbphilharmonie im Dezember 2016, Foto: Thies Rätzke

Elbphilharmonie mit benachbarten Wohnbauten (Dezember 2016), Foto: Thies Rätzke

Elbphilharmonie mit benachbarten Wohnbauten (Dezember 2016), Foto: Thies Rätzke

Großer Saal, Foto: Oliver Heissner

Großer Saal, Foto: Oliver Heissner

Großer Saal, Foto: Michael Zapf

Großer Saal, Foto: Michael Zapf

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