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Kann Architekt bei fehlerhafter Abstandsflächenberechnung auf Vermessungsingenieur verweisen?

Ein mit der Berechnung von Abstandsflächen beauftragte Vermessungsingenieur ist im Zweifel nicht verpflichtet, die Frage der Anwendbarkeit des sogenannten Schmalseitenprivilegs zu prüfen; diese Prüfung obliegt dem Architekten.
Hintergrund
Der Architekt haftet bei Verletzung vertraglicher oder sonstiger Verpflichtungen.

In den Leistungsphasen 1 - 5 führen Planungsfehler zu einer Haftung des Architekten.

Ein besonderes Haftungsrisiko trifft den Architekten bei der Erstellung einer genehmigungsfähigen Planung.
Beispiel
(nach OLG Hamm , Urt. v. 09.06.1999 - 12 U 152/98 – NJW-RR 2000, 22)
Im Rahmen der Erstellung eines Bauvorhabens wurde ein Vermessungsingenieur vom Bauherrn mit Vermessungsleistungen beauftragt, u.a. auch mit der Berechnung der Abstandsflächen zum Nachbargrundstück. Nach Erbringung seiner Leistungen stellt der Vermessungsingenieur seine Honorarrechnung. Der Bauherr wendet u.a. gegen die Honorarfoderung ein, der Vermessungsingenieur habe bei den Abstandsflächen fehlerhaft das sogenannte Schmalseitenprivileg zu Grunde gelegt und ihm – dem Bauherrn – sei hierdurch ein Schaden entstanden.

Das OLG Hamm bestätigt den Honoraranspruch des Vermessungsingenieurs. Dem Bauherrn stünden aufrechenbare Gegenforderungen nicht zu. Der Vermessungsingenieur sei gegenüber dem Bauherrn nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Insbesondere lasse sich eine Schadensersatzpflicht des Ingenieurs nicht daraus ableiten, dass er bei der Berechnung der Abstandsflächen zum Nachbargrundstück das sogenannte Schmalseitenprivileg zu Grunde gelegt habe, obwohl dies nach der in der Folgezeit von der zuständigen Bauordnungsbehörde der Stadtverwaltung vertretenen Ansicht im vorliegenden Fall nicht anwendbar war. Ob die Ansicht der Bauordnungsbehörde zutreffe, könne letzlich dahinstehen. Denn der dem Vermessungsingenieur erteilte Auftrag erstrecke sich nicht auf die Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs im vorliegenden Fall. Diese rechtliche Prüfung der Zulässigkeit der Anwendung des Schmalseitenprivilegs verblieb beim Architekten, der diese Frage im Einzelfall mit der zuständigen Bauordnungsbehörde abzuklären gehabt hätte.

Wenn der Bauherr dem Vermessungsingenieur außer der rein rechnerischen Ermittlung der Abstandsflächen ausnahmsweise auch die Verantwortlichkeit für die Prüfung der Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs hätte übertragen wollen, hätte dies im Auftragsschreiben deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Unstreitig werde das Schmalseitenprivileg bei verschiedenen Bauordnungsbehörden unterschiedlich angewandt, unterschiedliche Auslegungen lägen sogar zwischen dem 7. und 10. Senat des OVG NW vor. Es war deshalb alleinige Aufgabe des Architekten als Planverantwortlichen, die rechtlichen Voraussetzungen im Einzelfall zu klären.
Hinweis
Architekten meinen mitunter, Vermessungsingenieure seien für sämtliche Fragen in Zusammenhang mit Berechnung von Abstandsflächen verantwortlich. Diesem Ansatz ist– wie obiges Urteil zeigt – nicht zu folgen. Der Vermessungsingenieur erbringt im wesentlichen rechnerische Leistungen. Die rechtliche Überprüfung obliegt grundsätzlich dem Architekten. Ob daraus zu schließen ist, dass dem Vermessungsingenieur bei fehlerhafter Anwendung der Regeln des Abstandsflächenrechts gar keine Verantwortlichkeit zukommt, darüber mag man streiten; fest steht jedenfalls, dass der Architekt sich gegenüber dem Bauherrn nicht wird mit dem Hinweis entlasten können, der Vermessungsingenieur habe die Regeln des Abstandsflächenrechts nicht richtig angwandt.

Das Abstandsflächenrecht ist – jedenfalls in Einzelfällen – äußerst kompliziert. Das OLG Zweibrücken (Urteil vom 06.02.1998 – 1 U 59/97 -, NJW-RR 1998, 1097) meinte deshalb, ein Architekt könne nicht verantwortlich gemacht werden, wenn der Planungsfehler eine schwierige, auch unter Verwaltungsjuristen strittige Rechtsfrage, in diesem Fall eben eine Frage des Abstandsflächenrecht betraf. Demgegenüber geht die Tendenz der überwiegenden anderen OLG´s und insbesondere des BGH´s dahin, den Architekten für jeden Fall des verletzten öffentlichen Baurechts in die Verantwortung zu nehmen. Das entscheidende Argument lautet hierbei, dass der Architekt bei schwierigen Rechtsfragen eben den Bauherrn hätte anhalten müssen, Rat von kundige Seite einzuholen.

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Rechtsanwälte Reuter Grüttner Schenck