23.11.2023

Symbol des Neuen Bauwillens

Baustellenbesuch mit gmp in der Stadthalle Magdeburg

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Die Baustelle der Stadthalle Magedeburg zum Beginn der Bauarbeiten 2021: Die Nordfassade nach Abbruch der jüngeren Anbauten.

Die Stadthalle in Magdeburg aus dem Jahr 1927 ist eines der wichtigsten Zeugnisse für die „Stadt des Neuen Bauwillens“, wie sich Magdeburg in den 1920er Jahren selbstbewusst nannte. Seit 2020 ist das Haus geschlossen, fünf Jahre lang wird sein Inneres seither umgebaut und modernisiert. Beauftragt damit wurden gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner. BauNetz hat die Baustelle besucht.

Von Florian Heilmeyer

Die Stadthalle in Magdeburg sollte von Anfang an ein Symbol des Neuen Bauens werden. In den 1920er-Jahren hatte sich die Stadt unter Oberbürgermeister Hermann Beims (SPD) zur „Stadt des Neuen Bauwillens“ erklärt. Schon 1921 holte man Bruno Taut als Stadtbaurat nach Magdeburg. Dieser blieb zwar nur drei Jahre, sein Einfluss aber wirkte länger – auch, weil er ein Team aus jungen, ambitionierten Künstlern, Grafikern und Architekten in die Stadt lotste, darunter Carl Krayl, Konrad Rühl, Johannes Göderitz, Wilhelm Deffke oder Xanti Schawinsky.

Göderitz und Deffke waren es, die ab 1926 eine umfassende Neugestaltung des Messegeländes auf der Elbinsel unternahmen. Magdeburg hatte die Deutsche Theaterausstellung 1927 in die Stadt holen können – dafür brauchte es eine großzügige Erweiterung des Messeareals. Die Architekten entwickelten das Gelände strahlenförmig vom Ufer des Adolf-Mittag-Sees aus und mit deutlichen expressionistischen Anleihen, wie man heute noch an den wenigen erhaltenen Fragmenten sehen kann: vor allem am fünfbögigen Pferdetor und dem Aussichtsturm mit gläserner Spitze von Albin Müller. Mit diesem Gelände sollte der Sprung zum international renommierten Standort gelingen. Als dessen Krone wurde von Göderitz und Deffke die imposante Stadthalle geplant.

Schwer wie eine Kathedrale

Es ist ein gewaltiges Bauwerk: 115 Meter lang, 62 Meter breit und bis zu 25 Meter hoch. In seiner Wirkung lässt sich der freistehende Bau als moderne Antwort auf den gotischen Dom am anderen Elbufer zu lesen. Der 61 Meter hohe Aussichtsturm, heute Albinmüller-Turm genannt, wirkt wie ein Campanile und verstärkt die sakralen Assoziationen. Seine gläserne, nachts beleuchtete Spitze bezieht sich gleichzeitig auf die visionären Architekturideen von Taut. 

Obwohl die Stadthalle extrem schwer wirkt, verbirgt sich darin doch eine überraschend leichte Konstruktion. Aufgrund der extrem kurzen Bauzeit von nur acht Monaten und des weichen Baugrunds wählte Göderitz eine Eisenskelettkonstruktion. Nur das Erdgeschoss wurde als Eisenbetonbau auf einer Pfahlgründung realisiert. Darauf stehen hohe Fachwerkträger, die den Veranstaltungssaal über dem Erdgeschoss umfangen.

Bis zu 5.000 Besucher*innen fanden darin Platz. Über zehn seitliche Treppenhäuser – je fünf an jeder Seite – führte der Weg aus den Foyers zu einem Wandelgang im ersten Obergeschoss und von dort in den Saal, der mit Innenmaßen von 50 auf 30 auf 15 Metern überraschte. Eine umfassende Holzauskleidung sowie die seitlichen Emporen sorgten für eine gute Akustik, die hohen Fenster ließen Tageslicht hinein. Außen ablesbar war und ist die helle Leichtigkeit nicht: Göderitz ließ die Stadthalle mit dunklen Eisenschmelzklinkern einhüllen. Die gestaffelten Volumen und die kammartige Fassadengliederung, die hinter den Treppenhäusern aufsteigt, lassen das Gebäude schwer und wuchtig erscheinen – wie eine Kathedrale.

Sachlicher Wiederaufbau

Während der letzten Kriegsmonate wurde die Halle 1945 stark beschädigt und brannte vollständig aus. Der Wiederaufbau begann im schwer zerstörten Magedeburg erst 1957 und dauerte bis 1966. Vieles wurde vereinfacht, darunter auch die Dachkonstruktion. Zum Beispiel wurde den Treppenhäusern ein durchlaufendes Betongesims angefügt, was die Betonung der Vertikalen aus der Seitenansicht ausradierte – das Denkmalschutzamt sprach von einer Skalpierung. Auch die Innenräume, insbesondere der große Festsaal, wurden nur vereinfacht wiederaufgebaut. Seitdem wurde die Stadthalle zwar kontinuierlich genutzt, aber kaum saniert oder modernisiert. Lediglich ein paar schlichte Anbauten an der Nordseite waren zu DDR-Zeiten hinzugekommen. Ebenso wie die Hyparschale von Ulrich Müther, die im Jahr 1969 knapp 400 Meter nördlich als Multifunktionshalle für die Messe errichtet wurde.

2016 setzten sich gmp · Architekten von Gerkan Marg und Partner (Hamburg) im Verhandlungsverfahren für die Stadthalle durch. Ihre Strategie besteht aus zwei Teilen: Außen dient der bauzeitliche Zustand als Vorbild für den Umbau des denkmalgeschützten Gebäudes. Inbesondere wird das Betongesims über den Treppenhäusern entfernt und deren Köpfe wiederhergestellt. Nach Abschluss der Arbeiten werden die Seitenfassaden damit erstmals seit 75 Jahren wieder in ihrer ursprünglichen Gestalt erscheinen.

Ansonsten werden die Fassaden saniert, wo immer möglich werden Bestandsklinker wiederverwendet. Neue Fenster orientieren sich an der Wirkung, Linienführung und den Proportionen der Originale. Im Inneren allerdings wird das Gebäude fast bis auf den Rohbau zurückgebaut. Die Umbauten aus der Nachkriegszeit werden dabei verschwinden und die ursprünglichen Räume mit integrierter Haustechnik und besserer Raumorganisation neu entstehen. Da die originale Ausstattung der Räume verloren ging, entschied man sich für eine komplette Neuausstattung – die Architekt*innen sprechen von einer Neuinterpretation.

Die Drehung des Großen Saals

Der drastischste Eingriff ist dabei die Drehung des Großen Saals um 180 Grad. Denn Göderitz und Deffke hatten den Bühnenraum etwas unpraktisch über dem südlichen Haupteingang platziert. Das brachte für die gesamte Technik bei jedem Umbau weite Wege mit sich, da der Bühneneingang wiederum nördlich gelegen war. Entsprechend setzen gmp die Bühne nun nach Norden, wo in Richtung der Hyparschale alle Anbauten aus DDR-Zeiten entfernt und durch ein neues, effizienteres Bühnenhaus ersetzt werden. Dessen Gestaltung wird sich mit gestaffelten, die Vertikale betonenden Backsteinvolumen an der Ästhetik des Altbaus orientieren. Die Trennung der Bewegungsströme von Besucher*innen und Mitarbeitenden war übrigens eine zentrale Forderung der Hauptnutzerin im Verhandlungsverfahren gewesen. Über dem Haupteingang im Süden wird nun ein zentrales Foyer eingerichtet, das auch als separater Veranstaltungsraum dienen kann.

Derzeit sind die Arbeiten im vollen Gange. Das Innere wurde bereits ausgeschält, in den Erdgeschossbereichen ist die neue Stahlbetonstruktur bereits an einigen Stellen eingefügt. Man ahnt die Konturen der kommenden Räume. Wo die Farbgestaltung von Wilhelm Deffke mit Farbproben noch nachgewiesen werden konnte, wird sich die Neugestaltung daran orientieren.

An anderen Stellen jedoch wird die Neufassung der Stadthalle deutlich sachlicher daher kommen, auch, um sich vom Original klar abzusetzen. Dies gilt auch für den neuen Veranstaltungssaal, der mit hellen Materialien, Metallbrüstungen und vielen Holzoberflächen zurückhaltend bleiben wird. Technisch wird er dafür runderneuert, unter anderem mit einem in den Saalboden integrierten, mehrstufigen Hebebühnensystem. Die Eröffnung der neuen Stadthalle ist derzeit für Ende 2025 geplant.

Fotos: Marcus Bredt