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06.07.2023

Low-Tech im Alpenvorland

Umbau und Aufstockung in München von hiendl_schineis architektenpartnerschaft und Element A Architekten


Bestandsrohbau erhalten, klug ergänzen, Haustechnik reduzieren: Ein Beispiel aus München zeigt, wie auf zeitgemäße und ressourcenschonende Art neue Architektur entstehen kann. Der Bauherr muss es wissen.

Von Sabina Strambu

Mit 355 Sektionen und rund 1,5 Millionen Mitgliedern ist der Deutsche Alpenverein (DAV) die größte nationale Bergsteigervereinigung weltweit und gleichzeitig einer der größten Naturschutzverbände Deutschlands. Er betreut auch 323 Alpenvereinshütten. Das Bauen in alpiner Umgebung erfordert bekanntlich einen sensibleren Umgang mit vorhandenen Mitteln und folgt eigenen Mustern. Dies nahm man sich für den neuen Hauptsitz der Bundesgeschäftsstelle in München wohl ebenso zu Herzen.

Die Umgebung bilden dort statt Berggipfeln eher die Häuserschluchten der Parkstadt Schwabing, wo von Skyline Tower bis zu den Highlight Towers so manche Stahl-Glasfassade weit sichtbar die Stadtsilhouette bestimmt. Der DAV erwarb hier einen Teil des ausgedienten Verwaltungssitzes des Langenscheidt-Verlags. Die Aufgabe im geladenen Realisierungswettbewerb von 2016 umfasste den Erhalt der viergeschossigen Stahlbetonstruktur und deren Aufwertung zu einer adäquaten, modernen Büroumgebung, dazu die Aufstockung um zwei Geschosse sowie die Erneuerung der Fassade. Im Ergebnis lässt sich von außen nichts vom verborgenen Bestand aus den 1970er Jahren und der konservierten grauen Energie, genauer rund 2.600 Kubikmeter Stahlbeton, erahnen. Die Nahtstellen sind innen jedoch bewusst sichtbar.

Das neu konfigurierte Gebäude entstand auf Basis von Konzeption und Entwurf des Wettbewerbsgewinners hiendl_schineis architektenpartnerschaft (Augsburg/Passau). Ab 2018 übernahm die Entwurfsplanung und Realisierung sowie die Innenarchitektur in allen Leistungsphasen das Büro Element A Architekten, Christian Taufenbach (Heidelberg/München). Die Freiräume planten mk.landschaft (München). Den massiven Kern umhüllen nun in Holzmassivbauweise ergänzte Gebäudeteile sowie eine Pfosten-Riegel-Fassade aus Holz. Nach Norden wurde die Grundfläche um ein gebäudehohes Atrium erweitert, das den Empfang und eine weitere Erschließung aufnimmt.

Nach Osten und Westen sind der Fassade 1,5 Meter tiefe, regalartige Holzkonstruktionen vorgelagert, die über vier Obergeschosse reichen und Platz für Pflanzenkästen zur partiellen Fassadenbegrünung – und mittlerweile auch für nistende Vögel – bieten. Zusätzlich ragt in die westliche Gartenfläche der Konferenzbereich, der nach außen mit einer Boulderwand abschließt. Im Süden grenzt das Haus an den Bestand über ein gemeinsames Fluchttreppenhaus. Die Aufstockung erfolgte in Holzbauweise selbst für Aufzug und Treppenhaus, dazu schließen die Ebenen mit Holzbetonverbunddecken und einem Flachdach ab. Dachterrassen und -flächen bieten Platz für extensive Begrünung.

In den Kostengruppen 200 bis 700 geben die Architekt*innen eine Bausumme von 22,5 Millionen Euro an. 8.100 Quadratmeter umfasst die neue Bruttogrundfläche. Neben dem Hauptnutzer DAV und dessen Tochtergesellschaft DAV Summit Club sind Flächen teilweise auch vermietet. Den bis zu 250 Menschen stehen meist offene Büros nach dem Multispace-Konzept, in der Tiefgarage inzwischen doppelt so viele Fahrrad- als Autostellplätze zur Verfügung. Ein ganzjährig angenehmes Raumklima, Schallschutz vor der nahegelegenen Autobahn und gute Raumakustik sind durch ausgeklügelte Maßnahmen gegeben.

So kommt das Gebäude ohne aktive Lüftung und Kühlung aus, lediglich die IT-Infrastruktur konnte nicht darauf verzichten. Hierfür entwickelten die Planer*innen gemeinsam mit Klimaingenieuren von Transsolar (München) einen speziellen Brüstungsaufbau mit integriertem Lüftungselement, der schallgedämmt und trotz Winddruckschwankungen durch die umliegenden Hochhäuser einen gleichbleibenden Volumenstrom gewährleistet. Durch die Montage in niedriger Raumhöhe und mithilfe thermischen Auftriebs im Konvektorschacht wird raumtemperierte Frischluft generiert, elektrische Steuerung entfällt. Die Abluft erfolgt über zentrale Schächte und Dach, die teils offenliegenden Betondecken unterstützen die Nachtauskühlung. Heizung über Fernwärme, Deckenventilatoren, diverse Akustikpaneele und Teppichboden dienen Raumklima und -komfort. Je nach Begrünung und Umgebungsbebauung konnte teilweise auf außenliegenden Sonnenschutz verzichtet werden, allerdings erübrigte sich auch Photovoltaik im Schatten der Nachbarn.

Das Gebäude könnte als Musterbeispiel für den vielfach geforderten Gebäutetyp E gelten. Ganz so E wie einfach war der Entstehungs- und Genehmigungsprozess für die reduzierte Gebäudetechnik oder den Materialeinsatz an so manchen Stellen allerdings nicht, wie Architekt Taufenbach zu berichten weiß. Mit einer Nominierung für den DAM Preis 2023 sowie dem Deutschen Holzbaupreis 2023 erhielt das Projekt jedoch bereits würdigende Aufmerksamkeit und kann zur Nachahmung ermutigen.

Fotos: The Pk. Odessa Co, Eckhart Matthäus, Marco Kost, Hauke Bendt



Zum Thema:

Dem Bauen in Bergregionen widmet sich alle zwei Jahre der Preis Constructive Alps sowie eine unserer Baunetzwochen. In einer weiteren Ausgabe griffen wir Beispiele für Low-Tech-Architektur auf.


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