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12.12.2022

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Gegen den Abrisswahn

Deutsche Umwelthilfe und Architects for Future stellen Negativliste vor


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Eine Negativliste der absurdesten Gebäudeabrisse hatten sie angekündigt, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und Architects For Future (A4F), die heute Morgen zu einer Online-Pressekonferenz geladen hatten. Darin beklagte die Bundesgeschäftsführerin der DUH Barbara Metz, dass, obwohl im Koalitionsvertrag der Bundesregierung erstmals Nachhaltiges Bauen und der gesamte Lebenszyklus von Gebäuden thematisiert sind und ein Beitrag des Bausektors an der Erreichung der Klimaziele mehr als entscheidend ist, dies nur „schöne Worte“ geblieben seien, die innerhalb des letzten Jahres „keinen Niederschlag im politischen Handeln gefunden haben.“

Die Sanierungsförderung habe sich verschlechtert, Zuschüsse seien gestrichen worden, nach wie vor würden knapp 14.090 Gebäude pro Jahr in Deutschland abgerissen – wobei die Dunkelziffer aufgrund fehlender Genehmigungspflichten durchaus höher liege, sagten die Vertreter*innen der beiden Organisationen. Sie  forderten die Förderung von Bauen im Bestand, rechtliche Handhabe wie etwa durch die von A4F vorgeschlagene MusterUMBauordnung und eine Priorisierung von Sanierung, Umbau und Erweiterungen vor Ersatz- und Neubau. Gebäudeabrisse sollten die absolute Ausnahme bleiben. Diese könnten durch die Einführung einer verpflichtenden Abrissgenehmigung in die Landesbauordnungen, die ökologische Aspekte qualifiziert abwägt, verhindert werden. Bis dahin sollte ein sofortiges Abrissmoratorium eingeführt werden.

Um ihre Forderungen zu unterstreichen, hatten DUH und A4F sechs Beispiele von drohenden oder vollzogenen Abrissen mitgebracht, die sie als Negativliste bezeichnen. Sie sollen zeigen, „wie durch Gesetzeslücken, Fehlentscheidungen und falsche wirtschaftliche Anreize bezahlbarer Wohnraum verloren geht und Ressourcen und Energie unnötig verbraucht werden“.

Beispiel 1: ein 1936 errichtetes und 2000 grundsaniertes Gebäude im brandenburgischen Schildow, in dem sich der Hort Kinderland befindet. Für den notwendig gewordenen Raumgewinn in Form einer Erweiterung wurden eine halbe Million Euro bereits investiert, die Baugenehmigung liegt vor. Jedoch entschied sich die Gemeindevertretung kurzerhand für einen Abriss und Neubau, obwohl in dem Fall weder mehr Hortplätze entstehen würden und mit Mehrkosten in Höhe von 3,7 Millionen Euro zu rechnen ist. Eine Bürgerinitiative samt Volksentscheid gegen den Abriss blieben erfolglos. Grund für die Umentscheidung der Gemeinde ist die Angst vor der im kommenden Jahr anstehenden, strengeren EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD), die eine Nutzung des Bestands infragestellen könnte, was jedoch laut DUH und A4F nicht eintreten wird. Abriss und Neubau sind seit Ende November 2022 beschlossen.

Beispiel 2: Der Staudenhof in Potsdam. Während die Debatte hier auch historische und städtebauliche Komponenten aufgreift, stellen die Umweltschutzorganisationen nicht zuletzt ökologische und soziale Aspekte in den Vordergrund. Rund 10.000 Tonnen CO2 sind in 180 bezahlbaren Wohnungen aus den 1970er Jahre gebunden, 22.500 Tonnen CO2 kämen nun durch Abriss und Neubau dazu.

Beispiel 3: Die erst im Jahr 2008 sanierte Papageiensiedlung in der Berliner Habersaathstraße. Gegen einen zunächst untersagten Abriss – Berlin ist das einzige Bundesland, in dem eine Pflicht zur Abrissgenehmigung besteht – klagte 2018 der neue Eigentümer, der hier Luxuswohnungen statt der derzeit noch bezahlbaren Mietwohnungen errichten will. Als „Kompromiss“ ging aus dem Rechtsstreit hervor, dass zwar abgerissen und neu gebaut werden darf, die derzeitigen Mieter*innen jedoch eine 10-jährige Mietpreisbegrenzung beziehungsweise ansonsten eine Abfindung von 1.000 Euro pro Quadratmeter für den Auszug erhalten.

Beispiel 4: Den Abriss von Wohngebäuden aus dem Jahr 1872, die sich im Berliner Mettmannkiez befinden, verhinderten letzten Winter nicht die Politik, sondern Fledermäuse. Das Problem, das nicht nur die Wohngebäude mit 140 bezahlbaren Mieteinheiten in der Tegeler Straße und Fennstraße betrifft, ist rechtlicher Natur. Der Konzern Bayer möchte auf seinem Gelände sein Werk ausweiten, und da die Fläche als Gewerbenutzfläche ausgewiesen ist, fallen die Häuser nicht unter Bestandsschutz.

Beispiel 5: In Hamburg ist eines der letzten historischen Gebäude an der Hafenkante bereits abgerissen, Wohnraum wurde zugunsten einer noch nicht näher definierten Investorenanlage in Form eines Büro- oder Hotelgebäudes zerstört. Zwar hätten hier ausreichend stadtbildprägende Qualitäten vorgeherrscht, aufgrund verschiedener Sanierungen im Lauf der über 100-jährigen Geschichte des Bauwerks am Johannisbollwerk 10 sei jedoch der Denkmalstatus verwehrt geblieben. Für den Verlust an grauer Energie und von Ressourcen durch den Neubau steht nun die Baulücke fast symbolhaft leer.

Als letztes Beispiel zeigen die Umweltschutzorganisationen den Fall eines Bürogebäudes von Siemens aus den 1970er Jahren in Köln. Zwar würden hier 450 Wohnungen, Gewerbe und eine Kindertagesstätte entstehen, jedoch sei die vorhandene Substanz durchaus erhaltungswürdig gewesen. Dem widersprach ein nicht öffentliches Gutachten durch den Investor, das belegen wollte, dass ein Neubau ökologisch nachhaltiger sei. Da seit einer Änderung der Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen Gebäudeabrisse genehmigungsfrei sind, konnte trotz einer Bürger*inneninitiative und Petition mit mehr als 1000 Unterstützer*innen der Abriss des Bürokomplexes inklusive eines erheblichen Baumbestands vollzogen worden. Der Neubau befindet sich in Fertigstellung. (sab)


Kommentare

14

Stefan | 16.12.2022 08:45 Uhr

@KuMiKös steile These

Die Steuerprogression der Mwst. zur Evaluierung von grauen und Nutzungskosten von Bauprodukten würde beim derzeitigen Stand der Dinge auf "freien Märkten" wahrscheinlich eher zu neuen Labelfluten zum Grünwaschen eben dieser Bauprodukte führen. Und damit Abriss vs. Sanierung noch zusätzlich zugunsten des Ersteren befeuern.
Die Bauwende ist nur ein sehr wichtiger Teil der vielen Transformations- und Innovationsprozesse, die es zu steuern gilt und bei denen ganz wesentlich auch die Arbeitswelten von Hand- und Planwerk sich zudem anders aufstellen müssen. Was Kammern und Berufsverbände indes viel zu wenig bis gar nicht auf dem Schirm haben. Was insofern auch viel zu wenig überhaupt erörtert wird, etwa: LP5-8 d. HOAI und eine viel weitergehende Ausformulierung derselben im Hinblick auf die Bewertung vom Bestand und seiner Wiederverwertung, verbindliche Quoten beim Einsatz von Recycling.Materialien, in diesem Kontext die Bau- und Evaluierungsprozesse begleitende (KFW- et alii) Förderprogramme für Eigentümer auch von "kleinteiligem Streubesitz" von Wohnimmobilien bis hin zu Liegenschaftsverwaltern von Instituten und gewerblich genutzten Gebäuden. Unter anderem.

13

KuMiKö | 15.12.2022 16:44 Uhr

der Markt könnte regeln

Steile These:
Würde man die Mehrwertsteuer auf bauprodukte durch eine gestaffelte, an die CO2 - Emmission bei Herstellung und Nutzung gebundene Steuer ersetzen, würde sich das Thema Abriss vs,. Neubau und die Diskussion über das Für und Wider ganz schnell von selbst regeln.

12

Tobias | 13.12.2022 15:09 Uhr

Geld regiert die Welt!

Ich kann beide Seiten verstehen;
den Eigentümer / Investor, der max. Geld verdienen möchte und die Leute, die den Bestand erhalten und das Klima schützen möchten.

Das Bauen ist wohl noch viel zu BILLIG!
Vor allem die Rohstoffe.

11

peter | 13.12.2022 14:03 Uhr

in köln wären sie sicher froh gewesen,

wenn sie die oper doch besser abgerissen hätten.

10

Stefan | 13.12.2022 13:05 Uhr

@Markus

Das Problem ist eher, dass alles erlaubt ist, was die Bau- (und Abriss-)wirtschaft und den damit verbundenen Kapitalfluss beschleunigt. "Alles verbieten?" ist insofern eine Frage, die den "Business as Usual" nur unzureichend hinterfragt. Sage ich jetzt mal so in meinem jugendlichen, vorzeitig ergrauten Leichtsinn. Sorry.
Und zum Thema Beschleunigung, Raum und Zeit: Paul Virilio ist zwar 2018 gestorben, sein Buch "Rasender Stillstand" von 1990 ist jedoch immer noch hoch-aktuell. Und: die (gebaute) Umweltproblematik weist ja inzwischen offenkundigere Prämissen aus als Anfang der 1990er, oder?

9

RDB | 13.12.2022 12:27 Uhr

Genehmigungspflicht

Die Frage, warum das notwendige Bauen mit massiven Regularien belegt ist, wärend das zu vermeidende Abreisen relativ frei vonstatten geht, kann man schon mal stellen.

8

Adrian | 13.12.2022 11:18 Uhr

wahrer Preis

man müsste nichts verbieten - also auch keine Angst vor mehr Regularien - einfach mal den wahren Preis eines Abrisses benennen und auch umsetzen! Wer abreißen will muss deftig zahlen und wenn er das dann dennoch kann, wird das Geld in einen Sozialtopf angelegt mit Benefit für mehr Erhalt - wo er sinnvoll, aber bis jetzt nicht rentabel ist.

7

arcseyler | 13.12.2022 10:31 Uhr

....

Wegen der aufwendigen und teuren Interimsunterbringung, was ja oft ein Argument für Neubau ist, besser eine Sanierungskette. Oder Neubau und Umnutzung Bestand.
Architekten müssen auch für Wertschätzung von Bestand argumentieren (wollen und können). Sie sind dafür zuständig. Bauen ist immer auch ganz nah bei kaputtmachen.

6

Markus | 13.12.2022 07:21 Uhr

Alles verbieten?

Trotz so vieler bestehender Regelungen und Gesetze wird bei jedem Problem der Ruf nach weiteren Regularien laut - und gleich erstmal ein "Moratorium" gefordert. Kein Wunder dass Bauen immer schwieriger und langwieriger und teurer wird. Warum darf ein Besitzer nicht handeln wie er und sein Planungsteam sich das sicherlich sorgfältig überlegt haben? Warum alles vorschreiben? Warum alles immer verbieten wollen?
Ich kenne die hier vorgetragenen Beispiele nicht, ich denke es ist auch zu einfach ein paar "offensichtliche" Beispiele zur "Diskussion" zu stellen. Ich gehe aber davon aus, dass die Beteiligten lange und sorgfältig die Argumente abgewogen hatten.

5

BI Jahnsportpark | 12.12.2022 22:45 Uhr

nicht nur Investoren

In Berlin verfolgt die SPD-geführte Landesregierung hartnäckig den Abriss eines Fußball-Leichtathletik-Stadions mit 20.000 Plätzen zugunsten eines Fußball-Leichtathletik-Stadions mit 20.000 Plätzen an der selben Stelle. Das Stadion ist übrigens 4 Wochen jünger als Lionel Messi (35); der spielt gerade WM.

4

Klaus Englert | 12.12.2022 18:16 Uhr

Gegen den Abrisswahn

Nicht nur die Wohngebäude im Mettmannkiez, sondern auch die denkmalgeschützte Stadthalle von Mettmann ("Laubfroschoper") soll, nach dem Willen der Stadtverwaltung und des Stadtrates, in dem viele Grüne sitzen, abgerissen werden. Diese Betonmentalität verstößt gegen Einwände, die von mehreren Verbänden geäußert wurden, angefangen beim Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA, den Architektenkammern der Länder, bis hin zur EU-Kommission, die sich in Gestalt des Green Deal auf eine nachhaltige Bau-wirtschaft verpflichtet hat. Ebenso widerspricht das dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung, der anstrebt, „im Gebäudebereich zu einer Kreislauf-wirtschaft zu kommen.“ Nicht zuletzt läuft der Stadthallen-Abriss dem jüngsten NRW-Koalitionsvertrag zuwider, der sich für eine „Umbaukultur als gelebte Verantwortung für Nachhaltigkeit“ einsetzt. Eine „Neue Umbaukultur“ fordert auch die Stiftung Baukultur in ihrem neuen Baukulturbericht. Dieses Ziel hat sich zusehends in der deutschen Politik durchgesetzt, nur ist davon leider wenig zu sehen. Der Aktion der Deutschen Umwelthilfe und Architects for Future ist voll zuzustimmen.

3

rabl | 12.12.2022 17:58 Uhr

abrisswahn

die liste liesse sich beliebig und seitenweise fortsetzen. dabei ist im regelfall die sanierung nicht nur ökologischer, sondern auch kostengünstiger als abbruch und neubau.
so sollen z.b. am bodensee 2 krankenhäuser abgebrochen, 1 im gleichen landkreis stillgelegt und stattdessen einen neubau an andere stelle auf der grünen wiese ersetzt werden.
ein versagen der politik auf ganzer linie, vom bund übers land bis in die kreistage.

2

Stefan | 12.12.2022 17:43 Uhr

Freie Märkte, die Bodenfrage, der Bestand u.v.m.

Dlie Liste kann quasi unendlich weitergeführt werden. "Freie Märkte" ohne entsprechende Verpflichtungen für Investoren, deren Geschrei ja auch entsprechend laut hörbar wird, wenn eine(r) ihre "Freiheiten" einschränken will, sind eben nur für wenige wirklich "frei".
Aber auch das ist zu einfach: Nutzer und Investoren sind ja keine homogenen Massen. Eine "Bauwende", also Behebung der gewaltigen Umsetzungsdefizite im Bestand gelingt nur, wenn viele Anreize: Ge-, Verbote und Initiativen ineinandergreifen. Davon sind wir immer noch ganz weit entfernt. Zumal bei rund 40% des Mietwohnungsbestandes in eher "kleinteiligem Streubesitz" allerorten in D. Und die Bodenfrage per se, und und und.
Aber immerhin: DUH und A4F bringen wenigstens das Dilemma etwas schärfer nach vorne als Kammern u.a.

1

Hinrich Schoppe | 12.12.2022 16:32 Uhr

Kleben...

...müssten wir alle den Verantwortlichen welche.
Dabei scheint klar, wer die Verschlankung der Bauordnungen fordert, die dann so einen Unsinn wie genehmigungsfreie Abrisse zustande bringt.
Muss erst wieder geklagt werden wegen Versündigung an der Allgemeinheit? Und macht den Müll endlich teurer!

Ach ja kleben:
Ich erwarte Klebeaktionen an Abrissgebäuden.
Staudenhof bietet sich an, gerade da.
Falls im Raum Dresden etwas geplant ist gebt mir Bescheid. Ich saniere gerade ein - jetzt nicht mehr - baufälliges Gebäude, was jeder "normale" Mensch trotz Denkmalschutz in die Grube geschoben hätte und habe sehr viel Baukleber übrig...

Danke.

 
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