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19.01.2017

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Was bringt das X?

Bibliothek von OMA in Caen


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Nur eine Bibliothek konnte OMA bisher realisieren – und zwar jene berühmte in Seattle. Trotzdem lässt sich sagen, dass Rem Koolhaas dieser Typologie viel verdankt. Nicht nur Delirious New York entstand schließlich in einem öffentlichen Lesesaal, auch die berühmten Bibliotheksentwürfe für Paris haben Anfang der 1990er Jahre wesentlich zur Berühmtheit des Büros beigetragen. Nun endlich wurde die Bibliothèque Alexis de Tocqueville in Caen fertig. Wird das neue X in Caen dieser Vorgeschichte gerecht?

Bemerkenswert an den oben genannten Projekten war ihre diagrammatische Klarheit, die immer auch einer besonderen räumlichen Setzung entsprach. Die Nationalbibliothek in Paris mit ihren Lesesälen als Negative des Magazins, der Doppelbau für Jussieu mit seiner kontinuierlichen Rampe oder die Central Library von Seattle, deren Diagramm zwar schon eher Metapher war, das sich aber dank des spektakulären Ergebnisses doch gut begründen ließ. Die Grundform in Caen, die sich aus einer städtebaulichen Bezugnahme auf die Landmarken der Stadt ableitet, fällt dagegen in ihrer Logik erst mal ab. Die Frage ist also, was dieser vordergründige Formalismus der Bibliothek im Alltag wirklich bringt.

Auf einer Hafeninsel am Rande der nordfranzösischen Stadt gelegen, steht der in Zusammenarbeit mit Barcode Architects und Clement Blanchet Architecture entworfene Neubau zunächst ziemlich hermetisch an der alten Kaimauer. Seine helle Hülle strahlt eine pragmatische Modernität aus, die ebenso gut zu einem Firmensitz passen würde. Spannungsreiche Beziehungen ergeben sich dabei aus den gekreuzten Grundrissen eher nicht, auch wenn die zwei Eingänge des Gebäudes für eine enge Anbindung ans nahe Wasser und einen neuen Park sorgen. Für die Umsetzung war der OMA-Partner Chris van Duijn verantwortlich.

Entstanden ist hier auf insgesamt 12.000 Quadratmetern eine multimediale Nutzungsmischung über drei Geschosse, wobei sich der Lesesaal gewissermaßen auf der Beletage befindet. Das Erdgeschoss ist offen gehalten und nimmt verschiedene allgemeine Funktionen wie Ausstellungs- und Seminarräume, ein Restaurant samt Café, ein Auditorium und einen Zeitungskiosk auf – hier soll sich das Versprechen der Bibliothek als neuer städtischer Mittelpunkt einlösen. Im Obergeschoss schließen sich Spielbereiche und Büros an, während das Magazin sich im Keller befindet.

Den Lesesaal im Zentrum des Gebäudes erreicht man über eine zentrale Rolltreppe – die Lieblingserschließung der Rotterdamer Architekten. Als gekreuzter Leerraum bildet sich mit dem Saal zugleich die Grundform des Gebäudes als Spiel von Negativ- und Positivvolumen ab. Auch im Außenraum ist der doppelgeschossige Raum dank großer Fenster deutlich erkennbar, obwohl er als Teil der statischen Fassade wenig Präsenz entfaltet. Jeder der vier Schenkel des X beherbergt eine andere Fachrichtung: Gesellschaftswissenschaften, Naturwissenschaften und Technik, Literatur und Kunst treffen hier aufeinander.

Damit findet das eigentlich städtebaulich begründete Kreuz auch in der Funktion eine naheliegende Legitimation, denn natürlich soll die geometrische Schnittstelle die Kommunikation zwischen den Disziplinen erleichtern. Man muss dieser Argumentation nicht folgen, aber variantenreiche Querverbindungen und Ausblicke ergeben sich aus der Grundform durchaus. Trotzdem bleibt die Frage: Was bleibt eigentlich vom X in Caen? Klar ist, dass sich das Gebäude, für das OMA schon 2010 den Wettbewerb gewonnen hatte und mit dessen Bau 2013 begonnen wurde, nicht in die großen Erfolge des Büros einreihen wird – dafür ist es schlicht von zu durchschnittlicher OMA-Qualität.

Vielleicht ist es aber auch falsch, von einem Bibliotheksbau in der Provinz genau dies zu erwarten. Betrachtet man nämlich die Bilder und insbesondere die Axonometrien, dann bekommt man doch eine Vorstellung davon, wie gewissenhaft hier zumindest auf einer kleinmaßstäblichen Ebene gearbeitet wurde – und man darf daraus durchaus schließen, dass diese Bibliothek ihren Nutzern im Alltag noch viel Freude bereiten wird. (sb)

Fotos: Philippe Ruault, Delfino Sisto Legnani und Marco Cappelletti


Zum Thema:

Caen entwickelt sich langsam aber sicher zu einer Architekturmetropole: ein Masterplan von MVRDV wird gerade umgesetzt, ein Kulturzentrum von Bruther bietet rohe Räume für die Kunst und der Justizpalast von Baumschlager Eberle Architekten wurde 2015 eröffnet.


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Kommentare

5

E81 | 23.01.2017 10:04 Uhr

Gut

Gut, der Einwand, dass ausgerechnet in den Richtungen der Blickachsen, die den städtebaulichen Ansatz bilden, die Nebenräume liegen, ist berechtigt. Davon abgesehen finde ich es aber eigentlich erfreulich, dass OMA auch noch ein Gebäude bauen können, dass auch einfach seine Form der Funktion unterordnet und dementsprechend dann nicht ganz so bombastisch daher kommt. Für mich war da in letzter Zeit zu viel skulpturaler Käse (z.B. Springer in Berlin) a la Coop Himmelblau dabei - und das ist als Vergleich für mich eher negativ besetzt.

4

hgb | 20.01.2017 11:37 Uhr

ausrichtung

@jojo+serdika
die Ausrichtung des Kreuzes (mit WC-Enden) zu den Wahrzeichen ist m.E. die falsche Interpretation.
Die Drehung des Kreuzes bedeutet ja gleichzeitig die Ausrichtung der großen Öffnungen im 1.OG zu den Wahrzeichen (vgl. Bild 11)… Darum gehts hier

3

serdika | 20.01.2017 10:43 Uhr

Konzept

besonders spannend sind die konzeptionellen Ausblicke von den WC-Kernen an den Stirnflächen auf die nahegelegenden Wahrzeichen....
Aber trotzdem schöne Räume und Fensteröffnungen an den richtigen Stellen. Das skulpturale kommt erst im Luftbild zur geltung.Die Eingangssituation ist auch nicht wirklich schön gelöst und die Fassade wirkt sehr koventionell.
...Bei einem Pritzker-Preis-Träger darf man doch bitte ein wenig mehr erwarten. Dieser sollte sich vielleicht besser auf seine analystische Kernkompetenz des Bücherschreibens konzentrieren.
( alles in allem trotzdem schönes Haus mit vielen Qualitäten )




2

Can Smith | 19.01.2017 20:05 Uhr

YES

Ein Raum mit viel natuerlichem Licht nah am wasser.
Wo doch ueberall gespart wird ist das ergebnis gelungen und stimme dem Autor zu, dass gerade hier abseits der Metropole nicht gerade eine Luxusskulptur entstehen sollte. Hoffentlich inspiriert es die Jungend zum Lesen.

1

jojo | 19.01.2017 20:02 Uhr

das passiert...

wenn man alles einer Großform unterordnet. Die Herleitung überzeugt mich auch nicht. Diese Bezüge sind eine reine Kopfgeburt und im Stadtraum vollkommen irrelevant. Enttäuschend für OMA!

 
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