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26.05.2006

Mehdorns Monument

Hauptbahnhof in Berlin wird eröffnet – mit Kommentar


Mit einem zweitägigen Volksfest wird am 26. und 27. Mai 2006 der neue Berliner Hauptbahnhof eingeweiht, der mit dem Fahrplanwechsel am 28. Mai in Betrieb geht. Der Bahnhof wurde nach den Plänen des Hamburger Büros von Gerkan, Marg und Partner (gmp) errichtet, das sich 1993 in einem Gutachterverfahren gegen Josef Paul Kleihues durchsetzen konnte. Der Baubeginn war 1995. Im Jahre 2002 wurde der denkmalgeschützte Lehrter Stadtbahnhof für den Neubau abgerissen.

Der Berliner Hauptbahnhof, dessen Vorgänger vor dem Krieg ein Kopfbahnhof mit dem Namen Lehrter Bahnhof war, gilt als der aufwändigste Bahnhofsneubau seit dem zweiten Weltkrieg in Deutschland. Hier wurde ein Kreuzungsbauwerk geschaffen, bei dem sich die auf einem Viadukt geführte Ost-West-Stadtbahn mit einer neuen, in Nord-Süd-Richtung in Tunnellage geführten Strecke kreuzt. Die auffälligsten architektonischen Elemente sind die gewölbte Überdachung der gekrümmten Stadtbahntrasse sowie die beiden „Bügelbauten“, die in einer leicht parallelogrammförmig verschobenen Grundrissgeometrie den Verlauf des unterirdischen Tunnels städtebaulich markieren. Zwischen den beiden Bügeln spannt sich die eigentliche Bahnhofshalle mit ihrem 27 Meter hohen und 160 Meter langen Querdach auf.

Der Berliner Hauptbahhof ist für 300.000 Fahrgäste pro Tag konzipiert. Beim Bahnhof Zoo, der mit dem Fahrplanwechel vom Fernverkehr abgekoppelt wird, sind es bisher 150.000. Da außerdem mit Südkreuz (Papestraße) ein weiterer Fernbahnhof den Betrieb aufnimmt, bezweifeln Kritiker die Prognose als zu hoch.
Die Kosten für den Bahnhof werden auf 700 Millionen Euro geschätzt.

Kommentar der Redaktion

„Mehdorns Monument“, titelt die Welt am Sonntag, „Mitten im Nichts“ die Süddeutsche Zeitung, und die Frankfurter Rundschau sieht in dem Bahnhof gar den „Neuen Palast der Republik“ – was nicht unbedingt freundlich gemeint ist: Die Zeitung hält den Bahnhof für „überdimensioniert“. Man sieht, es sind nicht nur die Berliner, die hier meckern – im Gegenteil: Ausgerechnet der Architekturkritiker des in Berlin erscheindenden Tagesspiegel glaubt, dass von Gerkan mit diesem Bauwerk „Architekturgeschichte schreibt“.

Bevor wir uns mit dieser vielleicht etwas kühnen Behauptung auseinander setzen, muss erst einmal tatsächlich gemeckert werden. Stellen wir uns also auf den Meckerstein und legen los.

Zum ersten ist da der Name: Das polyzentrische Berlin hatte nie einen Hauptbahnhof (von der kuriosen zeitweiligen Umbenennung des Ostbahnhofs zu DDR-Zeiten mal abgesehen). Daher war auch hier die Bevölkerung für die Beibehaltung des Traditionsnamens „Lehrter Bahnhof“, was in einer vom Senat initiierten Abstimmung bestätigt wurde. Bahn und Senat haben sich an dieses Votum nicht gehalten und den Doppelnamen „Hauptbahnhof – Lehrter Bahnhof“ erfunden. Doch auch von diesem Konstrukt, das in der Lautsprecheransage der S-Bahn noch bis heute zu hören ist, wich die Bahn stiekum ab und bezeichnet den Bahnhof jetzt nur noch als Hauptbahnhof. Es sind nicht nur ewig Gestrige, die sich an solchem ignoranten Verhalten gegenüber der Stadtgeschichte stören.

Einher mit der Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs wird der Bahnhof Zoo vom Fernverkehr abgekoppelt. Dies bedeutet für Hunderttausende Berliner eine effektive Verlängerung ihrer Gesamt-Reisezeit, weil sie zum Erreichen des neuen Bahnhofs in ein weiteres Verkehrsmittel, die S-Bahn, umsteigen müssen. Denn im Gegensatz zum Bahnhof Zoo, der an zwei wichtige U-Bahn- und zahlreiche Buslinien angeschlossen ist, gibt es am neuen Hauptbahnhof gar keine U-Bahn-Anbindung – und S-Bahn-Anschluss bisher nur in Ost-West-Richtung. Viele Fernzüge werden künftig den Bahnhof Zoo ohne Halt durchfahren. Diese Entscheidung beruht nicht auf einer angeblichen Zeitersparnis, sondern soll den Ladenflächen im Hauptbahnhof Kunden zuführen. Das ist schäbig von einem Unternehmen, dessen Kunden in erster Linie schnelle Transportleistungen von ihm erwarten.

Dass der neue Bahnhof in einer Art Niemandsland liegt, ist der Bahn nicht anzulasten – für die vorgesehene Bebauung findet sich derzeit kein Investor. Dennoch ist es kurios, in einem „Hauptbahnhof“ anzukommen, dessen Umfeld aus einer staubigen Wüstenei besteht, die das Menetekel für die größenwahnsinnigen städtebaulichen Planungen der frühen neunziger Jahre ist.
Immerhin: Die offenkundige Überdimensionierung des neuen Hauptbahnhofs muss ja kein Nachteil sein, wünscht man dem umweltfreundlichen Schienenverkehr doch sehr die prognostizierten Wachstumsraten...

Kommen wir zum letzten Gemecker, und hier wird es dann endlich auch architektonisch: Bekanntlich hat ja Bahnchef Hartmut Mehdorn zwei eigenmächtige Entscheidungen getroffen, mit denen die Bauzeit verkürzt und die Kosten gesenkt werden sollten: Er hat die Tunnelbahnsteige entgegen dem von gmp entworfenen Gewölbe flach eindecken lassen, und er hat vor allem die obere Bahnsteighalle auf der Stadtbahntrasse von 430 auf 320 Meter verkürzt. Diese Maßnahmen haben zum Zerwürfnis zwischen von Gerkan und Mehdorn geführt. Besonders die Amputation der Bahnsteighalle ist schmerzlich, weil damit die Proportionen der Gesamtkomposition aus dem Lot geraten sind – dies ist besonders augenfällig auf der östlichen Seite. Die Bügelbauten wirken jetzt zu wuchtig, ja fast aggressiv gegenüber der kurzen Bahnsteighalle.

Immerhin konnte die elegante Jörg-Schlaich-Brücke über den Humboldthafen durchgesetzt werden – auch hier gab es Planungen der Bahn für ein plumperes Bauwerk.
Und damit sind wir nun endlich auch bei den guten Seiten angelangt: Die architektonische Grundkomposition, die die beiden Verkehrstrassen im Raum markiert, ist simpel, genial und für jedermann nachvollziehbar. Der Raum der Bahnhofshalle ist atemberaubend großzügig, und die Sichtbeziehungen von der Tunnellage zum Tageslicht die eigentliche raumbildnerische Leistung des Entwurfs. Mit dem Kreuzungsbauwerk in Turmbauweise ist eine ganz neue, auf die Gegebenheiten des Orts angepasste Typologie im Bahnhofsbau beschritten worden. Insofern hat Bernhard Schulz vom Tagesspiegel vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn er hier „Architekturgeschichte“ geschrieben sieht.

Benedikt Hotze


Zu den Baunetz Architekt*innen:

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