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07.08.2025

Der Bedächtige unter den Feurig-Fetzigen

Zum Tod von Helmut Swiczinsky


Von Florian Heilmeyer

Am 29. Juli 2025 ist der Wiener Architekt Helmut Swiczinsky verstorben, einer der drei Gründer von Coop Himmelb(l)au. 

Swiczinsky kam im Chaos des ausgehenden Zweiten Weltkrieges 1944 in Posen (Poznan) zur Welt. In Wien wuchs er auf, studierte an der Technischen Universität und später an der Architectural Association in London. Er war 25 Jahre alt, als er mit Michael Holzer und Wolfgang Prix (heute Wolf dPrix) in Wien die „Baucooperative Himmelblau“ gründete. Der Name sei auf einem Rückflug aus Spanien entstanden, als sie hoch über den Wolken aus dem Fenster schauten. „Himmelblau ist keine Farbe“, schrieben sie dazu, „sondern die Idee, Architektur mit Phantasie, leicht und veränderbar wie Wolken, zu machen.“ Und: „Unsere Architektur hat keinen physischen Grundriß, sondern einen psychischen. Es gibt keine Wände mehr. Unsere Räume sind pulsierende Ballons. Unser Herzschlag wird zum Raum, unser Gesicht ist Hausfassade.“ 

Es ist eine Zeit in Österreich, in der eine ganze Szene zum Leben erwachte, die ihren Architekturbüros Namen gab wie ungestüme Rockbands: Haus-Rucker-Co, Zünd-Up, Missing Link, Salz der Erde. Angefeuert vom Mai 1968, von Archigram und den Rolling Stones wollte man die Welt und die erstarrte Gesellschaft verändern. Dem erschöpften Nachkriegsfunktionalismus setzte man eine mobile, flüchtige, aufregende Architektur aus Gummi, Metall und aufblasbaren Latex-Membranen entgegen – als Performanz, als Ganzkörperanzug oder Hüpfmatte. Die Projekte von Himmelblau hießen „Villa Rosa“, „The Cloud“, „Herzraum Astroballon“ und „Flammenflügel“. Der „Harte Raum“ entstand 1970 als flüchtiger „Staubraum“ aus der Detonation von 60 Sprengsätzen in den Steinbrüchen von Wien-Schwechat. Das Wohnhaus „Hot Flat“ wollten sie mit einem Rohr durchbohren, aus dem nachts Gasflammen in den Himmel geschossen wären. 

„Wir haben keine Lust, Biedermeier zu bauen“, schrieben sie 1980 in ihrem wohl bekanntesten Manifest „Architektur muss brennen“, das auf dem Wiki monoskop zu finden ist. „Nicht jetzt und zu keiner anderen Zeit. ... Weil wir in der Architektur nicht alles ausschließen wollen, was unruhig macht. Wir wollen Architektur, die mehr hat. Architektur, die blutet, die erschöpft, die dreht und meinetwegen bricht. Architektur, die leuchtet, die sticht, die fetzt und unter Dehnung reißt. Architektur muss schluchtig, feurig, glatt, hart, eckig, brutal, rund, zärtlich, farbig, obszön, geil, träumend, vernähend, verfernend, naß, trocken und herzschlagend sein. Lebend oder tot. Wenn sie kalt ist, dann kalt wie ein Eisblock. Wenn sie heiß ist, dann so heiß wie ein Flammenflügel. Architektur muss brennen.“

Die ersten zwanzig Jahre ihrer Praxis arbeiteten sie vor allem an kraftvollen Texten und Ausstellungsinstallationen, dazu an Einrichtungen für Cafés und Läden. Michael Holzer hatte die Dreier-Combo bereits 1971 verlassen. Der Durchbruch für die beiden verbliebenen Partner kam – passend zu ihren Texten – plötzlich und umso gewaltiger: Ein Dachausbau in der Wiener Falkestraße für eine Anwaltskanzlei geriet ihnen 1988 so überzeugend und spektakulär, dass Philip Johnson und Mark Wigley ihn in die Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im MoMA in New York aufnahmen. Dort wurden sie mit Frank Gehry, Rem Koolhaas, Daniel Libeskind, Peter Eisenman und Zaha Hadid gezeigt. Quasi über Nacht stießen die jungen Wilden aus Wien in die Riege der internationalen Star-Architektur vor. Ihr Vorbild blieben die Rolling Stones. Der feurige und emotionale Prix gab einen wilden Frontmann wie Mick Jagger. Der stillere, bedächtigere Swiczinsky wäre in diesem Bild wohl eher wie Schlagzeuger Charlie Watts, zuständig für einen zuverlässigen, aber variantenreichen Rhythmus. 

Die Welt, schreibt Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung, habe einen „großen Wolkenbauer“ verloren. „Viele davon gibt es nicht mehr.“ Einen „hervorragenden Raumarchitekten“ und „fantastischen Konstrukteur“ nennt ihn Prix in ein paar bewegenden Worten, die er zum Tod des Freundes auf der Webseite des Büros veröffentlichte. Viele gewagte Konstruktionen des Büros seien auf ihn zurückzuführen. „Er war der stille, aber lustvolle, bedächtige Segelsetzer in den 60er und 70er Jahren am Piratenschiff Coop Himmelb(l)au. Auf großen Tankern wollte er nie anheuern.“ 

Aber das Piratenschiff entwickelte sich ja selbst zum Tanker. Denn es folgte eine echte Weltkarriere: der Kinopalast in Dresden (1998), der Umbau der Gasometer in Wien (2001), das Akron Art Museum in Ohio (2007), die BMW-Welt in München (2007), die Martin-Luther-Kirche in Hainburg (2011), das Busan Cinema Center (2012)das Musée des Confluences in Lyon (2014), die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main (2014), das House of Music in Aalborg (2014) oder das MOCAPE-Museum in Shenzhen (2016). Verbogen haben sich Coop Himmelb(l)au dabei nicht. Zwar entwickelten sie sich zu einer weltbekannten Marke, die aber unberechenbar blieb wie in ihren Anfangstagen. Eher haben sie den Zeitgeist in ihre Richtung gebogen, so wie die zahllosen Stahlträger, die ihren Wolkenbauten eine scheinbare Schwerelosigkeit verleihen.

Swiczinsky war da allerdings schon nicht mehr an Bord. Mit den immer größeren, immer internationaleren Aufträgen zog er sich schon ab 2001 langsam aus dem operativen Geschäft zurück. 2006 löste er die Partnerschaft endgültig auf und konzentrierte sich seitdem im Kreise der Familie auf die Malerei und Philosophie. Dort ist der große Wolkenbauer nun nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 81 Jahren verstorben.


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Helmut Swiczinsky (1944–2025). Foto: Adam wehsely-swiczinsky, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Helmut Swiczinsky (1944–2025). Foto: Adam wehsely-swiczinsky, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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