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09.12.2020

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Eine einfache Wahrheit

Zum Tod von Lore Ditzen


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Von Jan R. Krause

„Vor der einfachen Wahrheit „gestorben“ haben die Menschen Angst“, schrieb Lore Ditzen 1979 im Themenheft „tot“ der Werkbund-Zeitschrift Werk und Zeit. Bereits am 23. November verstarb die Journalistin im Alter von 95 Jahren. Sie selbst war angstfrei – so berichten es ihre Freund*innen. Sie mochte die Klarheit und scheute die Wahrheit nicht. „Motiviert von Wissbegier und dem Wunsch, Neues in Gang zu setzen, verfasste sie Reportagen und Essays“, erinnert sich Helga Schmidt-Thomsen und ergänzt: „Meisterlich und stets bestens vorbereitet führte sie für den Rundfunk Interviews mit Architekten und Künstlern.“

Unvergessen: ihre Gespräche mit Oswalt Mathias Ungers, Josef Paul Kleihues, Hardt Waltherr Hämer und Ralph Erskine für die ARCH+. Das im Juli 1981 erschienene Heft 57/58 mit dem Titel „Ein neuer Realismus in der Architektur?“ lieferte einen prägenden Beitrag zur Architekturdiskussion der 1980er Jahre.

Ganz persönlich unvergessen: meine erste Begegnung mit Ditzen im Jahr 2004 in der Berliner Akademie der Künste. Anlässlich Julius Poseners 100. Geburtstag moderierte ich ein Symposium über Architekturvermittlung. Auf der Bühne führte Ditzen ein Gespräch unter anderem mit Manfred Sack, Ulrich Conrads, Kristiana Hartmann und Myra Warhaftig. Aus gutem Grund gab sie dem Gespräch den Titel „Man muss Stellung nehmen“. Natürlich war das eine Hommage an Posener, zugleich aber auch ihre innerste Überzeugung. Ihre klaren Positionen waren manchmal unbequem, aber immer aufrichtig. Sie sprach und schrieb für eine Architektur, die Ausdruck ihrer Zeit sein muss.

Der Architekturkritiker Wolfgang Jean Stock erinnert sich: „Es gab eine Zeit, und die liegt erst einige Jahrzehnte zurück, da konnte man hierzulande weibliche Architekturkritiker an zwei Händen abzählen. Für die damalige Zeit fallen mir spontan ein: Inge Boskamp in Düsseldorf, Lore Ditzen und Martina Düttmann in Berlin […]“. Als Journalistin war Ditzen Pionierin in einer Männerdomäne. Seit kurzem erst sind die Chefredaktionen großer Architekturzeitschriften und -portale mit Frauen besetzt: AIT, BauNetz, db, DBZ, Detail, das Deutsche Architektenblatt und Wettbewerbe Aktuell haben heute eine Chefredakteurin. Ditzen, die selbst auch Journalistinnen ausbildete, würde diese Entwicklung ganz sicher freuen. Mit spitzer Feder, wachem Geist, kritischem Blick, Humor und Poesie hat sie sich positioniert. Und vor allem mit ihrer Kunst, nachzuhaken. Sie war eine bohrende Fragerin. Kaum eine Pressekonferenz, in der sie nicht die erste Frage stellte. Und die hatte es meist in sich.

Sie ging auf Menschen zu. Sie hat jeden angesprochen, bespielsweise auch die Bewohner*innen des Märkischen Viertels. Sie konnte schnell Nähe herstellen. Denn sie interessierte sich nicht nur für die Intentionen der Architekten, Stadtplanerinnen und Politiker, sondern vor allem für die Menschen, die in dieser Stadt und in diesen Häusern lebten. Sie wollte es ganz einfach wissen.

Sie hat gern Kühnes und Unkonventionelles gemacht. Sie liebte den Perspektivwechsel. Als Kulturredakteurin beim Sender Freies Berlin übersetzte sie ihre Themen auf inspirierende Weise in Formate fürs Radio – und sie produzierte auch Filme über Architektur. Doch Architektur und Stadt waren nicht ihre einzigen Themen. Ditzen hatte Kunst in Weißensee und an der UdK Berlin studiert. Und sie war literarisch gebildet. So schrieb sie auch über Kunst und Literatur. Vor allem aber besaß sie die Gabe, Poesie und Architektur miteinander auf außergewöhnliche Weise zu verbinden. So kritisch sie als Journalistin auch sein konnte, so sehr vermochte sie zu genießen, voller Lebensfreude.

Vielerorts hinterlässt Lore Ditzen Spuren: im Journalismus, in der Architekturdebatte und bei den zahllosen Menschen, die ihr begegnen durften. Tragisch, dass jemand, der so mit den Menschen und dem Leben verwoben war, in dieser außergewöhnlichen Zeit nicht persönlich verabschiedet werden kann. Umso wichtiger, hier im Namen vieler Freundinnen und Weggefährten Abschied nehmen zu dürfen – in tiefem Respekt und persönlicher Freundschaft.


Kommentare

5

Jan R. Krause | 13.12.2020 01:09 Uhr

Antwort auf "Architekt"

Lieber "Architekt", danke für diese würdigende und zutreffende Ergänzung. Jan R. Krause

4

Architekt | 11.12.2020 16:41 Uhr

Eine große Persönlichkeit

Zunächst Dank an Jan R. Krause für seine wunderbare Würdigung, und hier nur kleine Ergänzungen. Lore Ditzen war nicht nur scharf beobachtende Zeitzeugin des kulturellen Lebens wie auch der Architektur- und Städtebauentwicklung eines halben Jahrhunderts in Berlin und über die Stadt hinaus. Sie war auch eine bedeutende Persönlichkeit und Netzeknüpferin. Wie viele Personen des Berliner Kulturlebens trafen sich an ihrer gastlichen Tafel, wie wach war ihr Interesse an den Menschen, denen Sie begegnete und von denen eine große Zahl ihre Freunde wurden. Sie war ein bedeutende Persönlichkeit, die Jung und Alt Freundschaft schenkte, die bis ins hohe Alter neugierig war und lebendigen Anteil an den Menschen nahm. Dazu zählten in ihren letzten Jahren in einem Berliner Pflegeheim vor allem auch diejenigen, die sie pflegten. Wichtig waren für sie in dieser Zeit nicht nur die Botschaften aus aller Welt, sondern die Gemeinschaft mit ihren geistigen Freunden. Denn sie war bis zuletzt eine große Leserin.

3

Henn12 | 10.12.2020 16:12 Uhr

Freistadt / Krause

Nun ja. Wenn man einen Zusammenhang auch nicht direkt nachweisen kann, so fallen diese Tatsachen doch zeitlich zusammen. Eine gewisse Auffälligkeit oder sagen wir sogar ein "Geschmäckle" hat es doch, wenn im zeitlich gleichen Zeitraum einerseits Lohn und Gehalt maximal noch Stagnation kennen und andererseits der schwächere Teil unserer Gesellschaft (Frauen, Migranten) wie Ikarus in Chefetagen einfliegen. Was dann auch immer als große Sensation und Durchlässigkeit unseres Systems verkauft wird. Dass sich Gesellschaften weiterentwickeln sollte normal sein, nur merkwürdigerweise hat die BerufsanfängerIN (z. B. Architektenbranche) oder nehmen wir die KassiererIN an der Supermarktkasse immer weniger davon. Wie wir jetzt in Corona-Zeiten lernen, am Geld kann es nicht liegen. Ein Paradox.
Ich möchte hier nur zum Nachdenken (auch bei der Redaktion) anregen und darauf hinweisen, dass der Neoliberalismus ein sehr ausgeklügeltes System ist, dessen Einheitlichkeit man in der gesamten westlichen Welt bewundern kann. Ein Klassenbewusstsein (ja ist habe das immer noch) ist out, wir können heute ja angeblich alles sein. Betriebsräte oder Gewerkschaften sind von gestern. Linke Politik erschöpft sich darin, verweiblichte Schreibweisen durchzusetzen und Lebensweisen von Migranten zu erforschen (kann man machen, ist aber nicht das Kerngeschäft).
Konkret wird niemand mehr, dafür ersticken wir langsam in einem Rauch aus nebulösen Sprechblasen (man müsse „fühlen“, „Orte gut lesen“, „der Bau inszeniert sich als Bühne…“, „wir müssen… in Zeiten von …“). Greenwashing ist in diesem Zusammenhang auch vor allem in der Bauchbranche zu nennen.

2

Jan R. Krause | 10.12.2020 09:30 Uhr

Antwort

Lieber Herr Freistadt, die von mir im Text genannten Chefredakteurinnen sind hochqualifizierte Journalistinnen mit langjähriger Berufserfahrung, großer Szenekenntnis und persönlicher Integrität. Ich bin davon überzeugt, dass dies die ausschlaggebenden Gründe für Ihre Berufung in diese Rolle sind.

1

Albert Freistadt | 09.12.2020 16:04 Uhr

Frauen in der Chefredaktion

Eine ketzerische Frage, die nichts mit dem Tod von Lore Ditzen zu tun hat, will ich hier trotzdem gern stellen. Könnte die Tatsache, dass die Chefredaktionen der großen deutschen Architekturzeitschriften und -portale neuerdings vielfach mit Frauen besetzt sind, eventuell an den immer schlechter werdenden Bedingungen und Gehältern in der Branche liegen?

 
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Lore Ditzen (1925–2020)

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Lore Ditzen 2007 bei der Eröffnung der Ausstellung „Linde Burkhardt – Invenzioni Decorative“ bei Modus Möbel in Berlin.

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Werk und Zeit 3/1979

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