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03.05.2024

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Goebbels-Villa zu verschenken

Zu den Diskussionen um das ehemalige FDJ-Gelände am Bogensee bei Berlin


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Seit über 20 Jahren steht die ehemalige FDJ-Hochschule „Wilhelm Pieck“ am Bogensee nördlich von Berlin leer. 1939 ließ Joseph Goebbels hier eine Villa errichten. Nach dem Krieg diente sie der Freien Deutschen Jugend als Ausgangspunkt ihrer Kaderschule. In den 1950er Jahren entstand schließlich eine weitläufige Anlage. Das Ensemble ist Eigentum des Landes Berlin, das sich mit der Entwicklung schwertut. Selbst ein Abriss der historisch bedeutsamen Anlage steht noch immer zur Diskussion.

Von Gregor Harbusch


Rund 15 Kilometer nördlich der Berliner Stadtgrenze liegt der Campus der ehemaligen FDJ-Hochschule „Wilhelm Pieck“. Die eindrucksvolle Anlage in der Gemeinde Wandlitz ist seit über 100 Jahren Eigentum des Landes Berlin und ein historisch doppelt aufgeladener Ort. Seit 1936 nutzte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels ein Blockhaus am Ostufer des Sees als Rückzugsort. Drei Jahre später ließ er westlich des kleinen Gewässers durch Hugo Constantin Bartels und Jürgen Schweitzer eine Villa namens „Waldhof“ errichten. Der Name bezieht sich bewusst auf Adolf Hitlers Berghof in Berchtesgaden; auch die Nutzung war vergleichbar.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nutzte die Freie Deutsche Jugend FDJ den „Waldhof“ als Jugendleiterschule. Anfänglich dienten schnell errichtete Baracken als Unterkünfte. Bereits nach wenigen Jahren begannen Planung und Bau eines umfangreichen Ensembles durch ein Team junger Architekt*innen, das von Hermann Henselmann und Kurt Liebknecht betreut wurde. In den Jahren 1951–56 entstand eine weitläufige und repräsentative Anlage in der Formensprache der sogenannten nationalen Tradition, die das ursprüngliche Areal rund um die Goebbels-Villa in seiner Ausdehnung um ein vielfaches übertraf.

An der höchsten Stelle des leicht abfallenden Geländes thront das breit gelagerte Lektionsgebäude. Ihm gegenüber steht das Kulturhaus am unteren Ende des Areals. Die beiden Bauten bilden die zentrale Achse der symmetrischen Anlage und spannen einen großzügigen Grünraum auf, an dessen Rändern vier Wohnheime liegen (von denen eines erst in den 1980er Jahren noch immer in deutlicher Anlehnung an die Bestandsbauten entstand). Neben der Komsomol-Hochschule in Moskau zählte Bogensee zu den größten sozialistischen Jugendbildungseinrichtungen weltweit.

Ein Viertel Jahrhundert Leerstand

Nach der Wende wurden Teile des Areals noch einige Jahre genutzt. Doch seit einem knappen Vierteljahrhundert stehen so gut wie alle Bauten auf dem insgesamt gut 15 Hektar großen Areal leer. 42.300 Quadratmeter Bruttogrundfläche umfassen die Haupt- und Nebenbauten, die hier über die Jahrzehnte errichtet wurden und für die seit langer Zeit ein Nutzungskonzept gesucht wird. Verantwortlich auf Eigentümerseite ist die Berliner Immobilienmanagement GmbH BIM, die die Liegenschaften des Landes bewirtschaftet.

Lange hatte man eher wenig zum Thema Bogensee gehört, doch vor kurzem schlugen die Wogen hoch. Ein breites Bündnis forderte ein Abriss-Moratorium, nachdem ein Rückbau der historisch und architektonisch bedeutsamen Anlage im Raum stand. Hintergrund sind die laufenden Kosten in Höhe von jährlich 250.000 Euro, die dem Land Berlin für Unterhalt des Areals entstehen. Das Land – das kürzlich außerdem vier Millionen Euro in die Sicherung der Dächer gesteckt hat, um weitere Wasserschäden zu verhindern – möchte den Stillstand auf dem Areal beenden und droht über die BIM nun im schlimmsten Fall mit Abriss. Dies ist auch bei denkmalgeschützten Bauten möglich, wenn eine wirtschaftliche Nutzung unzumutbar ist.

Laut RBB skizziert ein Papier der BIM drei Nutzungsvarianten für Bogensee. Die erste sieht vor, das Areal zusammen mit Bund und Landkreis Barnim im Rahmen des Förderprogramms „Nationale Projekte des Städtebaus“ zu entwickeln, die zweite Variante setzt auf Abriss und Renaturierung der Fläche und die dritte sieht die Nutzung der Bauten profan als Trainingsstätte der Bundespolizei vor.

Goebbels-Villa für lau


Auf der gestrigen Sitzung im Berliner Abgeordnetenhaus bot Finanzsenator Stefan Evers (CDU) schließlich medienwirksam an, das Areal samt dem historisch hochgradig aufgeladenen Täterort „Waldhof“ zu verschenken, wenn ihm denn ein überzeugendes Konzept vorgestellt werde. Man darf das als provokative Geste interpretieren, um den Bund, das Land Brandenburg und weitere Akteure unter Druck zu setzen, sich finanziell zu engagieren.

Es ist bezeichnend und traurig zugleich, dass das Land Berlin ein solches Areal in erster Linie als wirtschaftliches Problem verhandelt – statt sich seiner Verantwortung zu stellen und für die sicherlich herausfordernde, aber auch hochinteressante Immobilie ein eigenes Nutzungskonzept anzuschieben. Der vermeintlich bequeme Abriss der historisch belasteten Bauten wird immer wieder mit dem Argument legitimiert, dass auf dem Gelände 20 Jahre lang nichts passiert sei. Ein schwaches Argument, denn in den letzten 20 Jahren hat sich bekanntlich viel verändert. Sowohl auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt, als auch hinsichtlich der Attraktivität Berlins als Wirtschaftsstandort oder in der Bewertung des Umlandes. Kaum vorstellbar, dass vor diesem Hintergrund keine Nutzung gefunden werden kann, wenn sich alle Beteiligten konstruktiv zusammensetzen.


Zum Thema:

Umfangreiche historische Informationen und Bilddokumente zum gesamten Areal samt 360°-Panorama-Rundgang durch das heutige Ensemble findet man auf der unbedingt empfehlenswerten Webseite bogensee-geschichte.de. Sie wurde vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam ZZF erarbeitet und ging 2021 online.


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Kommentare

10

Tim | 05.05.2024 17:05 Uhr

neue Nutzung

Michaels Vorschlag in #7 klingt für mich sehr vernünftig.

@arcseyler
Zustimmung. Ein Architekturwettbewerb, der sich gegen Totalitarismus richtet, ist sinnvoll und sollte ein großartiges Ergebnis erbringen. Ohne sinnlosen Rückbau, da stimme ich mma in #6 zu.

Zusammen mit der Feststellung von Nele in #8, dass die Kaufkraft und die Nachfrage durchaus vorhanden ist, sollten wir eine Gruppe bilden, und uns das Areal schenken lassen. ;-)

9

arcseyler | 04.05.2024 21:39 Uhr

......

Geschenkt wäre das Landhaus mit diesem Naturpotential unglaublich. Auch der Grundriss ist recht locker mit viel Potential und nicht so steif wie die Selbstmanifestation der FDJ daneben, sodass man das Landhaus glatt später datieren würde. Einzig der unter Denkmalschutz stehende Hausgeist stört das Idyll. Diesen durch entsprechend akzentuiertes Framing zu kontern wäre das Kunststück. Eine Art formaler Exorzismus.

8

Nele Quijote | 04.05.2024 14:30 Uhr

Bogensee

Warum ist es nicht möglich dort, ähnlich wie an der Ostsee in Prora dort Wohnungen bzw. Ferienwohnung zu bauen. Es ist bestes Berliner Umland mit See! Dort bezahlen die Menschen sehr viel Geld für eine Wohnung!

7

Michael | 03.05.2024 22:31 Uhr

Göbbels Villa und FDJ Anlage

Wenn man das geschickt macht könnte man die komplette Anlage als Internat und Tagungszentrum verwenden.
Die Göbbels-Villa in Funktionsräume, Verwaltung und ein Dokumationszentrum.
Lektionsgebäude umwandel Lehrgebäude und den großen Saal für Tagung.
Kulturheim für Sport und sonstige Bewegungen.
Wohnheim für Internat und Tagungsgäste.
Natürlich sind hohe Kosten für Innen, Fassade und Außenanlage zu kalkulieren.

6

mma | 03.05.2024 19:31 Uhr

Warum immer Rückbau?

Verstehe die notorische Rückbau-Diskussion bei historisch "belasteten" Gebäuden meist nicht.
1. Können wir uns Rückbau heutzutage ökologisch gar nicht leisten.
2. Welches historische Gebäude ist genau betrachtet schon völlig unbelastet? Im Zweifelsfall kam doch meistens zumindest das Geld dafür aus unerfreulicher, ausbeutender oder menschenverachtender Quelle.
3. Wie könnte man Goebbels besser posterior auf's Maul hauen als die bunte Jugend der Welt in seinem Privat-Idyll möglichst laut rumtoben zu lassen?

Doch, verstehen tue ich es schon: Abriss ist einfach und bequem. Keiner exponiert sich und kriegt – sozusagen an Goebbels statt – von der aufgeregten Öffentlichkeit selbst auf's Maul.

5

arcseyler | 03.05.2024 17:02 Uhr

......

wieder mal ist später früher, danach davor.

4

maestrow | 03.05.2024 16:31 Uhr

Erbe Berlins

die Bemerkung von Harbusch ist noch höfliches Understatement. Es ist mehr als billig, wie die Vertreter/innen des politischen Berlins 25 Jahre Nichtstun verschleiern, um sich nun aus ihrer Verantwortung für das schwierige Erbe davonzustehlen. Es wird sich zweifellos ein AfD-Vertreter finden, der sich hier auf geschenktem Grund dem spiritus loci aufs engste verbunden fühlt.

3

007 | 03.05.2024 15:52 Uhr

Renaturierung

Natürlich ist Abriss over. Aber an diesem Beispiel mal eine ernsthafte Renaturierung durchzuführen, wäre sicherlich auch ein sinnvoller Beitrag zu aktuellen Debatten. Bei der umfassenden Flächenversiegelung der letzten Jahrzehnte sollte Renaturierung eben auch ein mögliches Planungswerkzeug sein, zumal in solcher landschaftlichen Lage.

2

Matthias | 03.05.2024 15:51 Uhr

Versagen

Berlin versagt auch bei denkmalrelevanten innerstädtischen Lagen mit hohem Naherholungswert für die Anwohnenden. Es ist ein Trauerspiel bei jedem einzelnen dieser Standorte, sei es SEZ oder ICC

1

Moppelhuhn | 03.05.2024 15:48 Uhr

Warum verschenken ...

... und nicht wenigstens verleihen, damit der Staat langfristig die Kontrolle darüber behält und es wenigstens zurückbekommen kann, wenn ein Investor seine Versprechungen nicht halten kann? Das war schon beim SEZ problematisch, das man für einen symbolischen Euro verkauft hat. Solche Liegenschaften kann die Gesellschaft ja gerne Investoren zum Spielen überlassen, sollte sich zumindest die langfristige Kontrolle sichern, für den Fall daß es schiefgeht.

 
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Eingangsportal des „Waldhofs“, den NS-Propagandaminister Joseph Goebbels 1939/40 errichten ließ

Eingangsportal des „Waldhofs“, den NS-Propagandaminister Joseph Goebbels 1939/40 errichten ließ

Blick auf das Lektionsgebäude der FDJ-Anlage (seit 1991 „Haus Berlin“), erbaut 1951–56

Blick auf das Lektionsgebäude der FDJ-Anlage (seit 1991 „Haus Berlin“), erbaut 1951–56

Das Kulturhaus der FDJ-Anlage (seit 1991 „Haus Bogensee“), erbaut 1951–56

Das Kulturhaus der FDJ-Anlage (seit 1991 „Haus Bogensee“), erbaut 1951–56

Ehemaliges Studentenwohnheim der FDJ-Anlage (seit 1991 „Haus Reggio di Calabria“), erbaut 1951–56

Ehemaliges Studentenwohnheim der FDJ-Anlage (seit 1991 „Haus Reggio di Calabria“), erbaut 1951–56

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