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25.10.2023

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Buchtipp: Staatsaffäre Architektur

Von der preußischen Hochbauverwaltung zur Reichsbauverwaltung


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Im Verlauf des 18. Jahrhundert begann im Preußen der Aufklärung durch tiefgreifende gesellschaftliche Reformen der Umbau zum modernen Staat. Gestaltet und durchgesetzt wurde der Wandel in Wissenschaft und Wirtschaft, Bildung und Kultur nicht zuletzt durch eine institutionalisierte Verwaltung. 1770 erfolgte auf persönliche Anweisung Friedrichs II. die Gründung des Oberbaudepartements zur Überwachung und Steuerung öffentlicher Bauvorhaben. Diese Behörde – im Lauf ihrer 160-jährigen Geschichte mehrfach umstrukturiert und umbenannt –  regelte von da an die administrativen Rahmenbedingungen und bestimmte die Möglichkeiten und Grenzen der Architekturpraxis insbesondere in den dynamischen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts maßgeblich. Zunächst geschah dies in Preußen, nach 1871 im gesamten Kaiserreich und bis zum Ende der Weimarer Republik.

Die komplexe Rolle der Bauverwaltung, die mit ihren Strukturen und Methoden als „unsichtbare Hand“ im Bauwesen über eineinhalb Jahrhunderte bauökonomische, planerische und künstlerische Entscheidungen lenkte und das Gesicht der Städte prägte, ist Gegenstand der von Hans-Dieter Nägelke und Christian Welzbacher herausgegebenen Publikation Staatsaffäre Architektur. Von der preußischen Hochbauverwaltung zur Reichsbauverwaltung 1770–1933. Sie stellt die Ergebnisse des am Architekturmuseum der TU Berlin angesiedelten Forschungsprojekts vor und umfasst neben einer Reihe von Essays auch einen reich bebilderten Katalogteil zur kürzlich im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBR präsentierten Ausstellung. Diese hatte das vielfältige Wirken der Bauverwaltung veranschaulicht – von Normen, Gesetzen und Musterbauten über das Curriculum der Architekturausbildung und die daraus hervorgehende Baubeamtenschaft, darunter kreative Köpfe wie David Gilly, Karl Friedrich Schinkel oder Hermann Muthesius, bis hin zu den Anfängen innovativer Stadtplanung.

Das reichhaltige Material stammt aus direkter Quelle, denn die umfangreiche Sammlung des Architekturmuseums – Zeichnungen, Modelle, Drucke, Fotografien –  basiert auch auf den Beständen, mit denen Julius Carl Raschdorff 1885/86 an der Technischen Hochschule Charlottenburg das erste Museum dieser Art ins Leben rief. Sie reichen bis in die Gründungsjahre ihrer Vor-Vorgängerinstitution, der Bauakademie um 1800 zurück, die wiederum organisatorisch und räumlich in einer Art Symbiose mit dem Oberbaudepartement entstand.

Diese „Verknüpfung der Bauverwaltung mit der Architektenausbildung“ behandelt der Essay von Christiane Salge über Ausbildungspraxis, Lehrpläne, die Konkurrenz zur bestehenden Kunstakademie, personelle Verschränkungen, Abhängigkeiten oder künftige Berufsfelder der angehenden Baubeamten. Das Fortbestehen der engen Verbindung auch nach der Reichsgründung macht Stefanie Fink in ihrem Text „Der Lange Arm des Staates. Institutionelle Einflussnahmen auf die Architekturausbildung am Beispiel der Technischen Hochschule Berlin während des Kaiserreichs“ deutlich.

Dass dem preußischen Staatsbauwesen mit seinem loyalen Beamtenapparat auch eine Formation „freier“ Architekten gegenüberstand, die im Auftrag privater Bauherren Projekte aller Art planten und angesichts ihres wachsenden Einflusses durch die steigende Auftragskonjunktur sowie die Gründung von Berufsvereinigungen zunehmend zur Konkurrenz wurden, erläutert Peter Lemburg in seinem erhellenden Beitrag „Ein preußischer ‚Culturkampf‘. Privatarchitekten versus Beamtenroutine“.

Eva Maria Froschauer
setzt sich in ihrem Text „Amtlicher Wissentransfer. Inspektions-, ‚Spionage‘- und Forschungsreisen der Baubeamten“ nicht nur mit dem Topos der Architekturreise auseinander, sondern bietet darüber hinaus einen hochinteressanten mediengeschichtlichen Exkurs zu den im Verlauf des 19. Jahrhunderts zahlreich entstehenden Architekturzeitschriften, darunter auch das Zentralblatt der Bauverwaltung.

In „Modernisierungsprozesse zwischen Rivalität und Dialog. Der Deutsche Werkbund, der Bund Deutscher Architekten und die staatlichen Bauverwaltungen in der Weimarer Republik“ analysiert Christian Welzbacher den Wandel im Verlauf der 1920er Jahre und das Aufschließen der Preußischen Hochbauverwaltung an die aktuellen Entwicklungen der Architektur.

Welche Relevanz und mögliche Innovationskraft im eher als trocken geltenden Thema „Verwaltung“ steckt, darüber reflektiert Philipp Männle in seinem Artikel „Wie funktioniert Verwaltung? Soziologische Anregungen für einen administrative turn in der Architektur“. Auch keineswegs langweilig lesen sich Christian Welzbachers erhellende „Thesen zum Wesen und Unwesen der Bauverwaltung“, die um Grundbegriffe wie Regulierung, Effizienz, Normierung, Individualisierung oder den Schlüsselbegriff der Bauökonomie als planerisches Ideal kreisen.

Bleibt die Frage, die Hans-Dieter Nägelke eingangs formuliert: „Lässt sich aus der Analyse der vielbeschworenen preußischen ‚Bauökonomie‘ und ihrer Entwicklung von 1770 bis 1933 ein Gewinn für die Gegenwart ziehen?“

Text: Ulrike Alber-Vorbeck

Staatsaffäre Architektur. Von der preußischen Hochbauverwaltung zur Reichsbauverwaltung 1770–1933
Hans-Dieter Nägelke, Christian Welzbacher (Hg.)
272 Seiten
Geymüller, Aachen 2023
ISBN: 978-3-943164-58-9
59 Euro


 
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