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29.11.2006

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Stärkung der Baukultur

Von Gerkan gewinnt Prozess gegen die Bahn – mit Kommentar


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Der Hamburger Architekt Meinhard von Gerkan und sein Büro gmp haben am 28. November 2006 vor dem Berliner Landgericht einen Prozess gegen die Bahn AG gewonnen. Gegenstand der Verhandlung war die Ausführung einer Deckenkonstruktion in den Untergeschossen des Berliner Hauptbahnhofs.

Die Bahn AG als Bauherr hatte dort eigenmächtig eine von gmp geplante, gewölbe-ähnliche Decke zu Gunsten einer einfacheren Konstruktion realisieren lassen. Dagegen hatte von Gerkan geklagt. Die Zivilkammer 16 des Berliner Landgerichts verurteilte die Bahn AG jetzt zum Rückbau der derzeit im Hauptbahnhof realisierten Deckenkonstruktion und zur Ausführung des Gerkanschen Planes.

Die Kammer wertete die von der Bahn vorgenommen Änderungen als „tiefgreifende“ Verfälschung des architektonischen Entwurfes und als Verletzung des Urheberrechtes des Architekten. Zudem habe die Bahn die Behauptung, der unsprüngliche Entwurf habe nach der der Ausschreibung zu erheblichen Kostenverschärfung geführt, nicht belegen können. Die Ergebnisse des Bieterverfahrens seien „fragwürdig”, die Bahn habe es außerdem versäumt, den Architekten die Zahlen vorzulegen. Von Gerkan spricht sogar von bewussten Täuschungen, geschwärzten Zahlen und Fälschungen.

Nach Angaben der Bahn AG soll die der Umbau drei Jahre dauern und 40 Millionen Euro kosten. Die Bahn will noch die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Juristisch ist es möglich, gegen das Urteil Revision einzulegen.

In einer ersten Stellungnahme begrüßte der Vorstand der Bundesarchitektenkammer das Urteil als „Stärkung der Baukultur“

Kommentare der Redaktion

Das Urteil des Berliner Landgerichts ist in seiner Deutlichkeit überraschend und nicht nur ein Erfolg für gmp. Selten zuvor ist das Urheberrecht des Architekten so gestärkt worden. Meinhard von Gerkan ist für seine Chuzpe, sich vor Gericht gegen die Bahn zu wehren, zu beglückwünschen.

Beruhigend zu sehen ist, dass ein Landgericht tatsächlich die architektonische Qualität eines Bauwerkes zu würdigen weiß und durch eine derartige Veränderung gemindert sieht. Damit widerspricht es der landläufigen Meinung, es sei doch eigenlich egal, was man unter so eine Decke schraubt. Mitnichten: Die Bahn baute in Berlin ein öffentliches Bauwerk, das mit zum großen Teil öffentlichen Mitteln finanziert wurde – selbstverständlich liegt hier im öffentlichen Interesse, bestmögliche architektonische Qualität herzustellen. Da ist ein selbstherrliches Auftreten, wie es Bahnchef Mehdorn an den Tag legt, fehl am Platz.

Ob die Umbaumaßnahmen, zu denen die Bahn nun verurteilt wurde, tasächlich drei Jahre dauern und 40 Millionen Euro kosten müssen, ist zumindest fraglich – die vier betreffenden Bahnsteige im Untergeschoss sind zur Zeit bei weitem nicht voll genutzt, so dass ein Rückbau unter laufenden Betrieb möglich scheint.

Bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung in der Überprüfung der zweiten Instanz standhalten kann – momentan spricht nichts dagegen. Sollte es dann tatsächlich zum Rückbau der Decke kommen, wäre dies ein einmaliger Vorgang – als Konsequenz einer einmaligen Eigenmächtigkeit seitens der Bahn. Ein architektonischer Gewinn für den Hauptbahnhof wäre dies ohne Zweifel. Und ein Zeichen, dass „Fakten schaffen“ am Bau nicht immer zum Ziel führt.

Henning Sigge


Architekten klagen normalerweise nicht gegen ihre Bauherren – zu groß ist die Befürchtung, als Prozesshansel zu gelten und – auch von anderen Bauherren – nicht mehr beauftragt zu werden. Somit ist das Architektenurheberrecht ein Schwert, das selten eingesetzt wird – zu zweischneidig ist es für den, der damit sein gutes Recht sucht.

In den letzten Jahren sind zwei Fälle überregional bekannt geworden, bei sich denen Architekten gegen die Verstümmelung ihrer Bauten via Urheberrecht gewehrt haben. In beiden Fällen ging es um Jahrzehnte alte Bauten; in beiden Fällen hatten die klagenden Architekten ein hohes Lebensalter erreicht und somit keine existenzielle Angst mehr vor Auftragsentzug: Bei der Bremer Stadthalle ist es Roland Rainer nicht gelungen, die gravierende Entstellung abzuwenden, aber beim Münchener Olympiastadion hat der – zu einem sehr späten Zeitpunkt vorgetragene – Verweis von Günter Behnisch auf sein Urheberrecht den unter Zeitdruck stehenden Bauherrn veranlasst, jegliches Prozessrisiko zu vermeiden. Er baute vielmehr an einem anderen Ort die wunderbare Fußballarena von Herzog/de Meuron und ließ das Olympiastadion unangetastet.

Überhaupt das Urheberrecht: Vielen Bauherren, so auch Hartmut Mehdorn, ist es nicht verständlich zu machen, warum sie bei ihrem eigenen Bauvorhaben nicht tun und lassen können, was sie wollen, sondern auf einmal die Image-Interessen eines von ihnen beauftragten (und bezahlten) Architekten zu berücksichtigen haben. Die Berliner Boulevardpresse tutet bereits in dieses Horn, wenn sie das Urteil so kommentiert: „Architekten sind keine bildenden Künstler, sondern Dienstleister.“ Und: „Wer soll den Rückbau bezahlen?“

Bei aller Freude über die Stärkung der Baukultur in diesem Präzedenzurteil: Es kann natürlich auch nach hinten losgehen. Mancher Bauherr wird sich nun doppelt überlegen, ob er einen so genannten „Star-Architekten“ (wie von Gerkan neuerdings immer in der Presse bezeichnet wird) beauftragt, oder ob er nicht vielmehr einen künstlerisch so unbedeutenden Entwurf realisiert, dass die für das Urheberrecht erforderliche „besondere Schöpfungshöhe“ erst gar nicht erreicht wird. Wenn Mehdorn noch einmal bauen dürfte – was der Himmel verhindern möge – würde er wohl eine Fertigteilkiste aus dem Katalog wählen. Dort redet ihm dann kein lästiges Gericht mehr im Namen der Baukultur drein.

Benedikt Hotze


Kommentare

1

Theresa Keilhacker, www.plattformnachwuchsarchitek | 01.12.2006 15:17 Uhr

Ein zweifelhafter Sieg für die Baukultur

Die Feuilletons jubeln, Herr Mehdorn zürnt – „40 Millionen Argumente gegen eine neue Decke“! Wer hat Recht? Herr Gerkan, der sich als genialer Entwurfsarchitekt begreift oder Herr Mehdorn, der sich als bedeutender Bahnreformer sieht?

Ich kann da nur zwei Alphatiere erkennen, denen das Vertrauen in die jeweilige Fachkompetenz abhanden gekommen ist. Ein klassischer Fall zwischen Bauherr und Architekt, so alt wie das Bauen selbst. Bauen hat eben nicht nur etwas mit kreativer Lust und nüchternen Zahlen zu tun, sondern auch viel mit Psychologie. Unrealistische Erwartungen auf beiden Seiten prägen oft das Geschehen. Wenn die Chemie zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer nicht mehr stimmt, werden Fehler - die beim Bauen immer passieren - nicht mehr verziehen. Schuld sind in der Regel beide und so sehen es meistens auch die gängigen Rechtsprechungen. Ein frühzeitiges Gespräch mit Mediatoren hätte hier mehr für die Baukultur und den öffentlichen Haushalt gebracht!

Mit 700 Millionen Euro gehört der neue Hauptbahnhof zu den teuersten Gebäuden der Nachkriegszeit, demnächst wird nur der fragwürdige BND-Neubau für die Schlapphüte diese Summe toppen. Natürlich hätte die Verlängerung des Glasdaches - die dem städtebaulich problematischen Klotz gut getan hätte - nur einen Bruchteil dieser Summe ausgemacht. Auch die neo-gotische Decke im Tiefgeschoss – fast geschenkt! Aber deshalb dieses Geschrei? Ich empfinde das als Jammern auf sehr hohem Niveau. Darüber hinaus schadet dieser in der Öffentlichkeit ausgetragene Streit nachhaltig dem Klima zwischen Bauherr und Architekt.

Qualitätvolle Bauten sind immer dann in die Geschichte der Baukultur eingegangen, wenn sich geistig offene Bauherren (möglichst gut betucht...) und begnadete Architekten gegenseitig befruchteten; wenn sie sich gut verstanden im wahrsten Sinne des Wortes. Der neue Hauptbahnhof ist da leider ein zwiespältiges Abbild der Realität.

 
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