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28.11.2025

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Die Zukunft liegt im Städtebau

Hauptpreise der Holcim Foundation Awards 2025


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Warum sollte man Projekte prämieren, die nur auf dem Papier existieren, deren reale Wirkung also noch gar nicht zu bewerten ist? Zum Beispiel, weil sich so ein Bild davon zeichnet, woran Architekt*innen gegenwärtig arbeiten – und was wir in den kommenden Jahren erwarten dürfen. Genau das gelingt den Holcim Foundation Awards, sogar mit einem weltweiten Blick. Am Montag präsentierten wir die 15 regionalen Preisträger*innen, heute die fünf Hauptpreise. 

Was die Erwartungshaltung angeht, kann man von guten Nachrichten sprechen. Denn die fünf gekürten Projekte legen nahe, dass weltweit an der Bauwende gearbeitet wird. Sie haben wenig mit großen Gesten oder kühnen Konstruktionen zu tun. Vielmehr sind es Arbeiten, die systemisch, kontextuell und – obwohl meist noch gar nicht umgesetzt – ziemlich handfest gedacht sind. Im Vergleich zur letzten Ausgabe 2023 sind zudem alle Hauptpreisträger*innen im städtebaulichen oder landschaftlichen Maßstab angelegt.

Lateinamerika

Das beste Beispiel dafür bieten die lateinamerikanischen Preisträger*innen von Andrade Morettin Arquitetos Associados (São Paulo) und Sauermartins (Porto Alegre), auch wenn ihr Projekt zunächst ein einzelnes Gebäude zeigt. Der Entwurf soll allerdings das Bestehen mehrerer Schulen im regelmäßig überfluteten Gebiet des südbrasilianischen Bundesstaats Rio Grande do Sul sichern. 2024 hatte dort Starkregen das heftigste Hochwasser in der Geschichte des Landes verursacht. Über tausend Schulen wurden beschädigt oder zerstört.

Neben ihrem Bildungsauftrag dienen Schulen in Brasilien oft als soziales Zentrum der jeweiligen Gemeinschaften, erklärt Architekt Vinicius Andrade. Die Schulen sind an Ort und Stelle verwurzelt, selbst wenn dieser stetig unter Wasser steht. Das schloss eine Translozierung aus. Die Antwort der Architekt*innen ist eine im besten Sinne pragmatische.

Drei Kernelemente prägen den Entwurf, der sowohl für Neu- als auch Umbauten funktioniert: Das aufgeständerte Erdgeschoss lässt Wasser und Sand durchfließen. Ein separater Baukörper nimmt Erschließung und sämtliche sensible Technik oberhalb des maximalen Hochwasserstands auf. Und das Dachgeschoss lässt sich flexibel bespielen und kann auch als Notunterkunft genutzt werden. Letztere Elemente lassen sich auch im Bestand umsetzen.

Ihr Konzept sei nicht das Ergebnis gestalterischer Raffinesse, sondern aufmerksamer Beobachtung und Kooperation vor Ort, so Andrade. Sie hätten diese Herangehensweise erst durch den Austausch mit Preisträger*innen früherer Holcim Awards wirklich verinnerlicht – eine schöne Nebengeschichte dieser Auszeichnung. 

Asien/Pazifik

Eine ebenso schöne Geschichte ist die der Preisübergabe an FORM.3 Architects. Die Dhakaer Architekt*innen demonstrierten, dass planerische Teamarbeit auch bedeuten darf, nicht nur die Chefs zur Ehrung zu schicken. Entsprechend sah man auf der Bühne beinahe das halbe Büro samt Nachwuchs stehen. 

Den Preis erhielten FORM.3 für die Revitalisierung des alten Zentralgefängnisses von Dhaka. Die über elf Hektar große Anlage in Bangladeschs Hauptstadt blickt zurück auf eine lange Geschichte als isolierter Ort: zunächst als Festung, später als Gefängnis. Aufgabe der Architekt*innen ist seit 2017, eine programmatische 180-Grad-Wende zu gestalten. Einziehen sollen nun diverse Nutzungen, von Museen und Veranstaltungshallen bis hin zu Geschäften, Schwimmbad und Kino, eingebettet in eine durchgrünte Parklandschaft.

FORM.3 bewahren große Teile der historischen Gebäude und ergänzen sie gezielt mit Neubauten. Dabei setzen sie etwa auf Prinzipien passiver Kühlung und sickerfähige Böden im Außenraum. Die Jury hob nicht nur die Transformation von einem Ort der Bestrafung zu einem der Gemeinschaft hervor. Sie lobte auch das ökonomische Modell der Mischnutzung aus kulturellen und kommerziellen Angeboten.

Europa 

Auch der europäische Hauptpreis würdigt eine Transformation im städtebaulichen Maßstab und geht nach Pristina in der Republik Kosovo. Dort arbeitet ein breit aufgestelltes Team am Umbau einer verfallenen Ziegelfabrik in ein kreatives und technologisches Zentrum. Beteiligt am Projekt Art-Tek Tulltorja sind Rafi Segal A+U (Boston), Office Of Urban Drafters (Pristina), Org Permanent Modernity (Brüssel) und Studio Rev (New York).

Es ist weniger eine elaborierte Gestaltung, die die Jury überzeugt hat, als wiederum der ganzheitliche Ansatz. Dieser reiche von der materiellen Ebene über intensive Begrünung bis zum Programm. Durch einen partizipativen Gestaltungsprozess hätten die Planer*innen etwa Themen wie Jugendarbeitslosigkeit und kulturelle Angebote adressiert und verschränkt. Auf dem Gelände sollen Bildungsräume, Maker-Studios und Veranstaltungsorte für darstellende Künste einziehen. Zudem will das Team Industrieabfälle und alte Ziegel mithilfe robotischer Verarbeitung für Pflasterung und Landschaftsbauelemente wiederverwenden.

Naher Osten/Afrika

Noch einen Schritt weiter in Sachen Beteiligung geht das Projekt The Green Historic Maze im palästinensischen Dorf Qalandiya im Westjordanland. Seit 2017 saniert das Team von Riwaq - Centre for Architectural Conservation (Al Bireh) dessen historisches Zentrum, das jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben wurde. Dabei konnten sie schon zahlreiche Bauten aus der osmanischen Zeit ab dem 16. Jahrhundert und früheren Epochen restaurieren. Allerdings ist es nicht die bloße Rekonstruktion, für den sie den Hauptpreis erhielten. 

Die Planer*innen entwickelten Anpassungen für passive Dämmmethoden, Regen- und Grauwassernutzung oder verbesserte Durchlüftung, die sich nahtlos in die historische Substanz einfügen. All das setzten Riwaq mit lokalen Handwerker*innen und auf Basis eines sich selbsttragenden ökonomischen Modells um. Demnach können Interessierte Gebäude kostengünstig pachten, während sie im Gegenzug die Restaurierung finanzieren. Anschließend werden sie zu günstigen Preisen an lokale Unternehmen vermietet. Teile der Einnahmen fließen in einen Gemeinschaftsfonds, der die laufende Instandhaltung sichert. Entstanden sind so bereits Kunstresidenzen, ein Frauenverein, Produktionsstätten und soziale Einrichtungen.

Nordamerika


Flutresistenz und Partizipation sind die Stichworte des nordamerikanischen Preisträger-Projekts Moakley Park in Boston. Diese Auszeichnung macht nicht zuletzt die Bedeutung der Landschaftsarchitektur für klimaresiliente Städte deutlich. Laut den verantwortlichen Planer*innen von Stoss Landscape Urbanism (Boston) sieht sich die US-amerikanische Küstenstadt in den nächsten 60 Jahren den Folgen enormer Meeresspiegelanstiege ausgesetzt.

Mithilfe von anpassungsfähigen Dämmen, der Renaturierung von Küstenmarschen und Regenwassersystemen sollen die Risiken sowohl für Überschwemmungen als auch Hitzeinseln reduziert werden. Statt hoch technisierter Lösungen griffen Stoss zu naturnahen Ansätzen, die gleichzeitig einen inklusiven Uferpark schaffen. So könne das Projekt dazu beitragen, mehr Bewusstsein über die Beziehung zwischen Wasser, Stadt und Klimaanpassung herzustellen. In zahlreichen Workshops erarbeiteten die Landschaftsarchitekt*innen zudem gemeinsam mit den Nachbarschaften die gewünschten Freizeitangebote. (mh)

Unser Autor war auf Einladung der Holcim Foundation im Rahmen einer Pressereise für BauNetz vor Ort bei der Preisverleihung in Venedig.


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

1

Prof. Klaus Schäfer | 28.11.2025 18:12 Uhr

Architektur als Entertainment

Städtebau bedeutet für mich nicht eine Freizeitgesellschaft mit Unterhaltungsarchitektur auszustatten.

 
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Asien/Pazifik: Old Dhaka Central Jail Conservation in Dhaka (Bangladesch) von FORM.3 Architects

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Europa: Art-Tek Tulltorja in Pristina (Kosovo) von Rafi Segal A+U, Office of Urban Drafters, Org Permanent Modernity und Studio Rev

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Lateinamerika: Schulen für hochwassergefährdete Gebiete in Porto Alegre von Andrade Morettin Arquitetos Associados und Sauermartins

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Naher Osten/Afrika: The Green Historic Maze in Qalandiya (Palästina) von RIWAQ – Centre for Architectural Conservation

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