Zur Internationalen Bauausstellung IBA 1984/87 in West-Berlin ist nun wirklich alles schon gesagt und erforscht, was es zu sagen und zu forschen gibt, könnte man glauben. Aber dann liegt mit Neue Blöcke für die Innenstadt. Die IBA ’87 in Berlin und der Wiederaufbau der südlichen Friedrichstadt von Andreas Salgo plötzlich ein Buch auf dem Tisch, das so atemberaubend akribisch in die Organisations- und Ideengeschichte der IBA eintaucht, dass es die Leser umstandslos mit in die Tiefe zieht.
Anders als die früheren Publikationen zur IBA – etwa von Harald Bodenschatz, Katharina Brichetti, Claudia Kromrei oder Günter Schlusche – interessiert sich Salgo nicht vorrangig für die Bauten, sondern für die theoretischen Diskussionen und die Machtkämpfe hinter den Kulissen. Er konzentriert sich zudem auf den Bereich der Südlichen Friedrichstadt zwischen Mehring- und Oranienplatz, mithin das Epizentrum des IBA-Neubaubereichs.
Zu Beginn schlägt Salgo erst einmal die Pflöcke ein, die den folgenden Kampfplatz markieren. Er fasst bündig die Stadtbaugeschichte der Friedrichstadt zusammen, dann den Stand der damaligen Architekturdebatten – von Colin Rowe bis Friedensreich Hundertwasser – sowie zum Schluss die Stadtpolitik in West-Berlin von der „Diagnose“-Ausstellung im Sommer 1968 über die (wenigen) Reformansätze bis zur Kahlschlagsanierung. Schon in diesem gut 130 Seiten starken Vorspiel zeichnet sich Salgos Arbeit durch ihre interessierte Breite sowie eine bemerkenswerte Präzision im Umgang mit Begriffen aus. Salgo vertritt keine der reichlich angebotenen Meinungen, sondern er bemüht sich um einen wertungsfreien Überblick.
Damit ist der Tisch sozusagen bereits reichlich gedeckt, bevor Salgo zum Hauptgang kommt: Die Vorbereitungen 1974–78 und die Durchführung der IBA in verschiedenen Phasen 1979–87, erst unter dem Planungsdirektor Oswald Mathias Ungers, dann unter Josef Paul Kleihues. Was Salgo nicht weiter verfolgt ist der Altbau-Teil unter Hardt-Waltherr Hämer.
Salgos großes Plus sind die unerschütterliche Ruhe und die Ausführlichkeit, mit der er uns die Dokumente der IBA erschließt und dabei von den Intentionen und Ideen der Protagonist*innen berichtet. Lange Passagen zitiert Salgo direkt aus den Akten des IBA-Archivs im Landesarchiv Berlin, vor allem wenn er über gut 35 Seiten den Showdown zwischen Kleihues und Ungers im Friedrichstadtseminar 1979 seziert. Hätte Salgo auch nur ein bisschen Interesse an einer stärkeren Dramaturgie seines Textes gehabt, hätte dieses Aufeinandertreffen leicht das Zeug zum architekturtheoretischen Shootout um zwölf Uhr mittags im Staube einer menschenleeren West-Berliner Sackgasse gehabt – denn so fühlt man sich beim Lesen der protokollierten Wortgefechte. Obwohl – oder gerade weil? – Salgo seinem knochentrocken beobachtenden Stil treu bleibt, hält man streckenweise unwillkürlich den Atem an. Letztlich unterliegt Ungers mit seinen Ideen einer brüchigen Stadtlandschaft. Die am Ende des Buches folgenden Baubeispiele sieht man mit veränderten Augen. Sie sind nur noch Beiwerk und die Folgen jenes großen theoretischen Kampfes, der ihnen Jahre zuvor den Weg gebahnt hatte.
Aktuell fragt man sich gleichzeitig, wo die Wucht einer so hart, aber meist sachlich und höflich geführten Debatte um das Berliner Stadtbild heute geblieben ist. Wurde sie von Hans Stimmann erst erdrückt und dann von Regula Lüscher in Grund und Boden moderiert? Oder könnte unter der jetzt schon umstrittenen neuen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt eine solche Diskussionsrunde der verschiedenen Heerlager erneut ins Leben kommen? Vielleicht sogar für jene neue IBA, an der Lüscher scheiterte?
Text: Florian Heilmeyer
Neue Blöcke für die Innenstadt. Die IBA ’87 in Berlin und der Wiederaufbau der südlichen Friedrichstadt
Andreas Salgo
480 Seiten
Gebr. Mann Verlag, Berlin 2021
ISBN 978-3-7861-2864-9
79 Euro
Zum Thema:
Ebenfalls sehr empfehlenswert für alle, die ein tieferes Verständnis für die IBA 1987 gewinnen wollen, ist Esra Akcsans Buch Open Architecture. Migration, Citizenship and Urban Renewal of Berlin-Kreuzberg aus dem Jahr 2018.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
2
STPH | 20.01.2022 13:25 Uhr...
82` hingen in der UDK Berlin die ersten liebevollen Buntstiftansichten dieser Fassaden. Architekten hatten viel Zeit in der Krise und ohne Staat wurde garnichts gebaut. Mit diesem Stil konnte man an der TUDarmstadt noch als Faschist beschimpft werden von Behnisch himself, der gerade seine überzeugende Eichstättbibliothek und Hysolar vorführte. Sämtliche Assistenten der Hochschule waren damals dessen Klone. Und Bächer rühmte sich diese Architektur in den Wettbewerben durchzusetzen. Der holte damals immerhin auch Schattner als Gastprofessor.
Durchgesetzt hat sich mit dem 90er Globalismus dann das megacoole OMA Checkpont Charly Bild 3 was sich damals schon andeutete.
Eine vielfältig gegensätzliche Zeit deren Architektur noch von Persönlichkeiten geprägt wurde und nicht von globalen GmbH s. Vielleicht müssen wir gerade jetzt wieder lernen mit Brüchen zu leben und gegensätzlichen Überzeugungen.