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14.06.2023

Buchtipp: Das Wiener Zinshaus

Bauen für die Metropole


1847 stellte der Architekt Ludwig Förster zwei seiner Wiener Mietshäuser in der Allgemeinen Bauzeitung vor. In der Buchveröffentlichung Das Wiener Zinshaus. Bauen für die Metropole, 176 Jahre später erschienen, wird die Präsentation der beiden Wohnbauten zur „publizistischen Geburtsstunde“ des Zinshauses erklärt. Dessen Geschichte verfolgen Marion KrammerAndreas Nierhaus und Margarethe Szeless über sieben Dekaden hinweg bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Im 19. Jahrhundert bescherte der Zuzug aus den ländlichen Regionen der Donaumonarchie der österreichischen Kapitale ein rasantes Bevölkerungswachstum. Dabei kam die überwiegende Mehrheit der Wiener*innen zur Miete unter. Ebendiese Bestimmung zum Mietverhältnis kann als gemeinsamer Nenner dienen, wo sich formale Kontinuitäten kaum ausmachen lassen: Nach dem Abbruch der Stadtbefestigung folgte dem Klassizismus Försters ein stilistischer Pluralismus, der über Historismus und Secession bis zu einer Nüchternheit reichte, die schon im ausgehenden Kaiserreich die Sachlichkeit der Zwanzigerjahre vorwegnahm.

In der Buchveröffentlichung dokumentieren sowohl historische Aufnahmen als auch Bilder der in Wien lebenden Fotografin Nora Schoeller diese gestalterische Vielfalt. Neben dem Vergleich der ganz verschiedenartigen Fassaden gestatten Schoellers Bilder auch Einblicke in die Entrées und Stiegenhäuser. Ergänzend dazu beleuchten die acht Essays, die die Kapitel des Buches bilden, die sozioökonomischen Aspekte des Zinshauses.

Ungeachtet der architektonischen Pracht, auf der nicht zuletzt die touristische Attraktivität Wiens beruht, folgten die Entwürfe zumeist weniger den Bedürfnissen der Bewohner*innen als den Erfordernissen der Immobilienwirtschaft. Nachdem Steuerbefreiungen Anreize zur Investition geliefert hatten, sollte die Rendite durch eine maximale Ausnutzung der Parzellen gesteigert werden. Mithin schrumpften Lichthöfe zu Luftschächten zusammen. Prekär blieben die Wohnverhältnisse allerdings auch deshalb, weil sich der ganz überwiegende Teil des Zinshausbestandes in Privatbesitz befand. Rechtlich kaum geschützt, dürften die meisten Wiener*innen die Gefahr einer kurzfristigen Mieterhöhung dabei bedrohlicher empfunden haben als einen machtbesessenen Hausmeister – dem literarisch verewigten Klischee zum Trotz.

Spätestens wenn in Krammers Ausführungen zu den Arbeitsbedingungen in Ziegelwerken und auf Baustellen auch die Produktion der Zinshäuser thematisiert wird, drängt sich ein Vergleich mit dem dreibändigen Monumentalwerk Das Berliner Mietshaus aus den Achtzigerjahren auf. Ein maßgeblicher Unterschied besteht indessen schon in der Seitenzahl. So weist Das Wiener Zinshaus nur ein Siebtel des Umfangs auf, der die Publikation von Friedrich Geist und Klaus Kürvers auszeichnet.

Durch diese Zurückhaltung aber, die die Gestaltung des Buchs gleichermaßen bestimmt, bietet sich die Veröffentlichung nicht nur zu Forschungszwecken an. Vielmehr mag das Buch auch Leser*innen ansprechen, die um einen Einstieg in die Wiener Architektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bemüht sind. Zumal sich ohne Kenntnisse der Zinshauswirtschaft und ihrer Folgen auch die herausragende Bedeutung nicht verstehen lässt, die dem sozialdemokratischen Wohnbauprogramm des Roten Wien der Jahre 1919 bis 1934 beigemessen wird.

Text: Achim Reese

Das Wiener Zinshaus. Bauen für die Metropole
Marion Krammer, Andreas Nierhaus und Margarethe Szeless
Fotografien von Nora Schoeller
Gestaltung: Larissa Cerny und Martin Embacher
250 Seiten
Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2023
ISBN 978-3701735853
39 Euro


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