Von Stephan Becker und Linda Kuhn
Die Geschichte der Kunstbiennale, die an diesem Wochenende wieder in Venedig begonnen hat, ist ungleich länger als die der Architektur, doch oft überlagerten sich in der Vergangenheit die Ideen und Konzepte. Kein Wunder also, dass man bei der Beschreibung der diesjährigen Hauptausstellung im Arsenale und im Padiglione Centrale an den spätmodernen Symbolismus von Hans Hollein oder Superstudio denkt. Christine Macel, Chefkuratorin des Centre Pompidou, gliedert nämlich wie folgt: Einen „Pavillon der Freuden und Ängste“ gibt es, einen „Pavillon der Schamanen“ und einen der „Zeit und Unendlichkeit“ – auch der Erde, dem Gemeinwesen und den Farben sind eigene Abteilungen gewidmet. Nach der gegenwarts- und zukunftsbezogenen Präsentation von Okwui Enwezor 2015 möchte Macel unter dem Motto Viva Arte Viva ganz offensichtlich wieder grundsätzlichere Kategorien des Lebens adressieren.
Der erste Eindruck täuscht allerdings, denn in der konkreten Gestaltung von Viva Arte Viva zeigt sich diese thematische Strukturierung nicht, die neun Pavillons sind vielmehr nach üblicher Biennale-Manier im Arsenale und im Hauptbau in den Giardini aneinandergereiht. Ein – sehr abstrakter – Hauch von „La Strada Novissima“, der Ur-Architekturbiennale von 1980, kommt zwar auf, wenn sich Videokojen und kleine „Plätze“ zu einer straßenartigen Konfiguration fügen. Aber die Übergänge zwischen den einzelnen Bereichen sind – sieht man vom inhaltlichen Wechsel ab – nur durch zurückhaltende Überschriften markiert. Der Fokus, so muss man das wohl verstehen, liegt bei Macel allein auf der Kunst und den Künstlern. Beim Gang durch die Ausstellung erweist sich allerdings, dass dies nur vordergründig der Fall ist.
Während sich Macel auf die inhaltliche Ebene beschränkt, reagieren viele der künstlerischen Arbeiten durchaus mit eigenen räumlichen Setzungen. Mariechen Danz errichtet im Arsenale beispielsweise ein tempelartiges Setting, in dem sie auch performt, während Pauline Curnier Jardin ein paar Meter weiter für ihre Videoarbeit eine Art Jahrmarktarchitektur errichtet. Nach Baustelle sieht es wiederum bei Irina Korina aus, die bei ihrem Minipavillon sogar eine der dicken Säulen des alten Gebäudes nachbaut. Vom Arsenale als einstigem Produktionsort ließ sich schließlich Michael Beutler inspirieren, der ganz am Ende im Garten eine Art Werft errichtet.
Auf den Raum, vor allem aber auch auf den Körper bezogen sind außerdem die Arbeiten von Franz Erhard Walther, der mit dem Goldenen Löwen für den besten Künstler ausgezeichnet wurde. Stahlelemente laden zum Abschreiten ein, während seine textilen Wandobjekte in ihrer Maßstäblichkeit die Zuschauer zu einer intuitiven Bezugnahme auffordern. Mit Textilien arbeitet auch der mit einer Anerkennung bedachte Petrit Halilaj, dessen Motten passend zum Ort ins alte Gebälk zu kriechen scheinen. Erwähnung verdient des Weiteren die mit dem Silbernen Löwen geehrte Arbeit von Hassan Kahn, der mit ein paar Lautsprechern ein Stückchen Wiese in einen poetischen Ort verwandelt.
Doch aus dem Garten zurück ins Arsenale: Die strenge Setzung, die Macel vornimmt, tut der Ausstellung zunächst gut – selten jedenfalls war eine Biennale so klar zu lesen. Erreicht wird dies allerdings auch dadurch, dass die französische Kuratorin die künstlerischen Arbeiten ihren didaktischen Absichten unterwirft und ihr inhaltlicher Formwille damit eine gewisse Unterkomplexität zur Folge hat. Für Macel ist die Kunst eine Macht des Guten, die keine Abgründe kennt – aber schon beim Verlassen des Biennale-Geländes wird diese Hoffnung angesichts der gigantischen Yachten der Megasammler ins Groteske verzerrt.
Fotos allgemein: Courtesy La Biennale di Venezia
Fotos Michael Beutler: Courtesy Galerie Nagel Draxler, Berlin/Köln
Zum Thema:
Biennale d'Arte di Venezia
Vom 13. Mai bis zum 26. November 2017
www.labiennale.org
Mehr zu den Länderpavillons: „Faust, Glas, Ruinenkunst“
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