Im Grunde hat
Nicholas Grimshaw (1939–2025) nichts anderes getan, als die Interessen seiner Eltern in einer gewissen Perfektion zusammenzuführen. Seine Mutter war Malerin, sein Vater Flugzeugingenieur. Der Vater starb früh und die Mutter berichtete, dass der kleine Nicholas immer mit Meccano gespielt habe, einem speziellen britischen Baukastensystem für Kinder. Im Studium folgte Grimshaw erst der Mutter und studierte Kunst in Edinburgh, wechselte aber 1962 zur Architektur an die AA in London. Dort gehörte er bald zu den Talentiertesten, durfte mit Stipendien zur neuesten Architektur in Schweden und den USA reisen.
An der AA lernte Grimshaw auch Terry Farrell kennen, mit dem er nach dem Studium ein Büro gründete. Es war eine Zeit des Aufbruchs und des Optimismus in Großbritannien, die Ära von Archigram und den Rolling Stones. Farrell und Grimshaw beschäftigten sich mit einer Architektur, die aus leichten Materialien, beweglichen oder aufblasbaren Teilen besteht, und die wie die Karosserien von Automobilen oder Flugzeugen zusammengesetzt werden kann.
Erste Projekte sind ein experimenteller, spiralförmig gewundener
Service Tower für ein Studierendenwohnheim in London (1967) oder die Park Road Apartments (1968) mit einer glänzenden, an den Ecken abgerundeten Haut aus Metall und Glas. In Bath bauen sie 1976 für Herman Miller eine Möbelfabrik, mit Fassadenpaneelen aus Glas und Glasfasergewebe, die jederzeit einzeln ausgetauscht werden können. Daraufhin engagierte ihn Rolf Fehlbaum von Vitra für deren Produktionshallen in Weil am Rhein (1981 und 1983) – Grimshaws erstes Projekt außerhalb von England.
1980 trennte sich die Partnerschaft, Grimshaw eröffnete sein eigenes Büro. Eine ökologisch verantwortungsvolle Architektur, schrieb er schon damals, ist für ihn vor allem eine möglichst leichte, also ressourcenschonende Konstruktion. Es folgten einige seiner bekanntesten Werke: die Eishalle in Oxford (1984), die Druckerei für die Financial Times (1988), der Britische Pavillon für die Expo 92 in Sevilla und der Bahnhof Waterloo in London (1993). Ab den 1980ern gehörte Grimshaw mit Norman Foster und Richard Rogers zum „high tech pack“, den Protagonisten einer neuen, glänzenden, aerodynamischen Architektur aus Stahl, Glas und neuesten Materialien – hell, leicht und offen.
Das Terminal 4 für den Flughafen in London-Heathrow oder das fantastische
Eden Project in Cornwall markierten seinen auch internationalen Durchbruch. In Deutschland bekannt sind das Ludwig-Erhard-Haus in Berlin (1997), die Igus-Halle in Köln (2000) und die Halle 3 für die Messe in Frankfurt am Main (2001). Sein Büro wuchs beständig und hatte bald Niederlassungen in London, Paris, Los Angeles, New York, Dubai, Melbourne und Sydney. Zu den wichtigsten Projekten aus dieser späteren Phase gehören die riesigen Flughäfen für St. Petersburg (2014) und Istanbul (2018), eine Autofabrik für Rolls Royce in West Sussex (2003) sowie das National Space Center in Leicester (2001) – könnte es ein passenderes Projekt für jemanden geben, der von Anfang an von Buckminster Fuller, Archigram und Frei Otto beeinflusst wurde?
Sein Büro hatte Grimshaw bereits 2019 an seine 19 Partner*innen übergeben, blieb aber in viele Projekte persönlich involviert. „Während seine Zeitgenossen begannen, andere Ideen auszuprobieren, ist Grimshaw seiner Idee von Architektur immer treu geblieben“, schreibt der
Guardian. „Seine Inspirationen blieben glänzendes Aluminium, die Bildwelt der Flugzeuge und des Airstream-Caravans.“ Am 15. September ist Nicholas Grimshaw im Alter von 85 Jahren gestorben.
(fh)
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Im Beitrag zu Grimshaws 80. Geburtstag ist eine umfangreiche Bildstrecke seiner Projekte zu sehen.