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07.01.2020

Stadtkrone von Suurstoffi

Wohnhochhaus bei Luzern von Ramser Schmid


Rotkreuz ist eine kleine Schweizer Ortschaft am Zugersee, auf der Strecke zwischen Luzern und Zürich. Direkt am Bahnhof wurden fast vierzig Jahre lang verschiedene Gase in Flaschen gefüllt, weswegen das Industriegebiet den wundervollen Schweizer Namen „Suurstoffi“ erhielt – obwohl Sauerstoff streng genommen gar nicht zu den abgefüllten Gasen gehörte. Jedenfalls erschöpfte sich die industrielle Nutzung Ende der 1960er-Jahre, danach wurde noch kurze Zeit Leim hergestellt, dann lag das Gebiet brach. Bis es 2010 die Zug Estate Group erwarb und es seitdem zu einem ökologischen Musterviertel mit Wohn-, Arbeits- und Freizeitangeboten entwickelt: autofrei, energieautark und mit ausgeglichener CO2-Bilanz. Für jedes Baufeld wurde ein Architekturwettbewerb ausgelobt – zu den Siegern gehören Schweizer Büros wie Burkhard Meyer, Bob Gysin und Müller Sigrist. Die ersten Wohnhäuser sind bereits verkauft und bezogen, gebaut wird noch ein neuer Campus der Hochschule Luzern sowie als östlicher Abschluss des Areals der höchste Büroholzbau der Schweiz.

In der Mitte des Neubauareals war ein begrüntes Wohnhochhaus als „Leuchtturm“ gewünscht, als Stadtkrone von Suurstoffi sozusagen. Den Wettbewerb gewann das Zürcher Büro Ramser Schmid Architekten 2015, und im Dezember 2019 wurde ihr „Gartenhochhaus Aglaya“ bezugsfertig. Es ist der gewünschte Hingucker geworden, nicht nur aufgrund seiner Größe: 70 Meter ragt die Dachtraufe über dem Ort auf, das höchste Gebäude von Rotkreuz ist es damit und nach Angaben der Entwickler auch das höchste grüne Hochhaus der Schweiz.

Neben den intensiv begrünten Terrassen sind es die geschwungenen Formen, die auf das Hochhaus aufmerksam machen. Die Architekten haben die geforderte Größe von 22.300 Quadratmetern Geschossfläche in eine geschickt geschwungene Großform verpackt; aus manchen Blickwinkeln wirkt es, als wüchsen da zwei Wohntürme aus einem gemeinsamen Stamm. Der eine Gebäudeteil in Richtung Bahnhof endet in 55 Metern mit einer gemeinschaftlichen Dachterrasse. Im viergeschossigen Sockel liegen Büro- und Geschäftsflächen, in den Etagen darüber 85 Eigentumswohnungen mit 1,5 bis 5,5 Zimmern. Deren Preise variieren zwischen 500.000 und 2,5 Millionen Euro. Die Gesamtbaukosten werden mit umgerechnet 83 Millionen Euro angegeben.

Mit den grünen Terrassen erinnert Aglaya an die beiden grünen Hochhäuser in Mailand von Stefano Boeri, den „Bosco Verticale“, der 2014 mit dem Internationalen Hochhaus-Preis ausgezeichnet wurde, ebenso an Projekte von Édouard François oder an die vertikalen Gärten eines Patrick Blanc. Auch im Aglaya hat jede Wohnung eine eigene Terrasse und einen Wintergarten, durch das geschossweise Versetzen entstehen bis zu sechs Meter hohe Lufträume, in denen Bäume und Sträucher wachsen sollen wie ein „vertikaler Wald“. Dazu haben die Landschaftsplaner von Lorenz Eugster für jeden Pflanzentrog eine eigene Pflanzmischung festgelegt, je nach Himmelsrichtung und Höhe am Gebäude sowie nach dem Maß, in dem Wind und Regen die Pflanzen erreichen können. Manche Pflanzen wurzeln in schweren Trögen, andere ranken um die gold gestrichenen Rohre des Bewässerungssystems, das aus einer Regenwasserzisterne unter dem Hochhaus gespeist wird. Auf Immergrüne wurde weitgehend verzichtet; so wird Aglayas grünes Kleid dem Verlauf der Jahreszeiten folgen, im Sommer kühlen Schatten spendieren und im Winter viel Licht hineinlassen.

Die Bewohner müssen sich dabei nur wenig um das Grün kümmern – nicht einmal den Gärtnern müssen sie die Tür öffnen, denn diese werden sich als Fassadenkletterer abseilen. So wird vor allem deutlich, wie aufwändig es bleibt, jeder Wohnung in einem Hochhaus einen eigenen „Garten“ zu ermöglichen. Denn ob dieses kostspielig am Leben gehaltene Fassadengrün tatsächlich zur gelungenen grünen Bilanz eines solchen Projektes beitragen kann, bezweifelt nicht nur Sabine von Fischer in der NZZ mit der Frage: Augenweide oder Augenwischerei? (fh)

Fotos:
Roger Frei, Zürich


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