Endlich wird es im architektonischen Maßstab konkret am Berliner Molkenmarkt. Nach jahrelangen Vorplanungen und zuweilen hitzigen Debatten um die Art und Weise, wie das prominente Areal im historischen Herzen der Hauptstadt bebaut werden soll, liegen seit Mitte November die ersten hochbaulichen Entwürfe vor. Sie gehen auf einen Realisierungswettbewerb zurück, den die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen in Kooperation mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) im Juli auslobte.
Die Jury unter Vorsitz von Vittorio Magnago Lampugnani entschied nur über einen Teilbereich des Gesamtareals, das insgesamt aus fünf Blöcken besteht. Gegenstand des Wettbewerbs war Block B/1, der wiederum in drei Lose aufgeteilt wurde. Ein weiteres Viertel von Block B war nicht Bestandteil des nun abgeschlossenen Verfahrens, sondern wird erst in einem kommenden Verfahren bearbeitet (vermutlich in Zusammenhang mit Block A, da die beiden Blöcke eine neue Straßensituation definieren werden). Klingt kompliziert, ist aber nicht weiter verwunderlich angesichts Größe und Umfangs des Gesamtvorhabens.
Letztlich geht es um die nordwestliche Ecke des Gesamtareals, direkt hinter dem Roten Rathaus und gegenüber dem Nikolaiviertel. Hier sollen „bezahlbarer Wohnraum und attraktive Angebote für Kultur und Gewerbeflächen“ entstehen, schreiben die Auslober*innen, um zugleich darauf hinzuweisen, dass den Wettbewerbsteilnehmer*innen nur eine „kompakte Bearbeitungszeit von rund neun Wochen“zur Verfügung stand.
Zumindest über die Verteilung der Nutzungen mussten sich die Architekt*innen nicht den Kopf zerbrechen. Die Auslobung macht dahingehend eine kleinteilig aufgedröselte Vorgabe – und zwar für die einzelnen Gebäude, die zu einem Los gehören. Im Los 1 (knapp 8.000 Quadratmeter BGF) soll der Bau entlang der Grunerstraße bis zum dritten Obergeschoss Büros und Gewerbe enthalten, darüber Wohnungen. An der Jüdenstraße hingegen ist für alle Obergeschosse Wohnen vorgesehen. Das Eckhaus wiederum wird ein reiner Bürobau.
Im Los 2 (rund 6.200 Quadratmeter BGF) sollen in den Erdgeschossen entlang der Jüdenstraße ebenfalls Gewerbe einziehen, während sämtliche Obergeschosse sowie das gesamte Hofgebäude mit Wohneinheiten belegt werden. Die Parzellen auf Los 3 (rund 3.500 Quadratmeter), das an der Ecke von Grunerstraße und dem künftigen Molkenmarkt liegt, werden gänzlich mit Büro- und Gewerbenutzungen versehen. Da diese Häuser das „Eingangstor zum Quartier“ bilden werden, sollen sich hier auch kulturelle, sogenannte Ankernutzungen mit Erlebnisfunktion wiederfinden.
Dem nicht-offenen und einphasigen Realisierungswettbewerb nach RPW 2013 war ein Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet, für den sich über 80 Teams beworben hatten. Daraus wurden wiederum zehn pro Los ausgewählt. Anders als kürzlich beim arg intransparenten Vergabeverfahren auf dem Dragonerareal, stellten die Verantwortlichen bei diesem Wettbewerb das übliche Material zur Verfügung, um eine fachliche Diskussion der unterschiedlichen Entwürfe zu ermöglichen. Pro Los wurden drei Preise vergeben:
Los 1
- 1. Preis: Hild und K (München), Happel Cornelisse Verhoeven (Rotterdam), Modersohn & Freiesleben (Berlin)
- ein 3. Preis: Jordi Keller Pellnitz (Berlin), Hans Kollhoff (Berlin), Uwe Schröder (Bonn)
- ein 3. Preis: von Ey Henkel Architektur (Berlin), jessenvollenweider architektur (Basel), PHR Planung und Stadtentwicklung (Berlin)
Los 2 - ein 1. Preis: Duplex Architekten (Hamburg), Gort Scott (London), Kim Nalleweg Architekten (Berlin)
- ein 1. Preis: blrm Architekt*innen (Hamburg)
- 3. Preis: OS arkitekter (Kopenhagen), ADEPT (Kopenhagen), C.F.Møller (Berlin)
Los 3- 1. Preis: Eckert Negwer Suselbeek, Baumeister und Dietzsch (beide Berlin)
- ein 3. Preis: Bernd Albers Gesellschaft von Architekten, Eingartner Khorrami Architekten (beide Berlin)
- ein 3. Preis: Schmitt von Holst Architekten Partnerschaft (Berlin), vangeisten.marfels architekten (Potsdam)
Alle prämierten Entwürfe zeigen sich steinern, dicht und kompakt. In dieser Hinsicht sind sie vergleichbar mit den Entwürfen des im Sommer 2024 abgeschlossenen
Wettbewerbs für die Bebauung der unweit gelegenen Breiten Straße, wo die WBM ebenfalls günstigen Wohnraum errichten will. Diese formale Orientierung am Bewährten überrascht nicht, denn die für das Verfahren verantwortliche Senatsbaudirektorin
Petra Kahlfeldt steht bekanntlich für eine Orientierung an den Traditionen der europäischen Stadtmorphologie.
Umso interessanter ist die Bandbreite der Fassadengestaltung im Block B/1. Fast scheint es, als ob hier unterschiedliche Zeitströmungen ihren Widerhall finden – vom barocken Stadthaus über die spezifisch ostdeutschen Rekonstruktionsansätze im gegenüberliegenden Nikolaiviertel in den 1980er Jahren bis zur Architektur der Nachwendejahre.
Im nächsten Schritt wird die WBM mit den Preisträger*innen ein Vergabeverfahren durchführen, bei der die Platzierung im Wettbewerb ein „zentrales Kriterium“ ist, wie sie schreibt. Die Betreuung des nun abgeschlossenen Wettbewerbsverfahrens lag beim Berliner Büro
C4C.
(gh)
Zum Thema:
Die Wettbewerbsentwürfe sind laut Senatsverwaltung voraussichtlich ab Januar 2026 in einer öffentlichen Ausstellung zu sehen. Ort und Zeit werden noch bekannt gegeben. Weitere Informationen zum Wettbewerb gibt es auf der Webseite der Senatsverwaltung.
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5
Jan | 04.12.2025 18:04 UhrWunderbar!
Ich freue mich sehr, dass in Berlin endlich mal wieder Architektur entsteht und nicht bloß gebaut wird.
Ein neues Viertel im menschlichen Maßstab, mit differenzierten Fassaden, abwechslungsreicher Formensprache und Gott sei dank ohne Flachdächer.
Ich hoffe, dass auf den anderen Parzellen Ähnliches entstehen wird.