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06.08.2019

Ostmoderner Omnibusbahnhof

Rettungsaktion für Chemnitz gestartet


Wer in Chemnitz mit dem Bus ankommt, wird von einem überraschend leichten Meisterwerk der DDR-Architektur und Ingenieurskunst empfangen. Noch, denn das markante Pylonen-Hängedach des Omnibusbahnhofs soll abgebaut werden. Nach mehreren Jahren der Diskussion um seinen Erhalt haben Architekt*innen und Denkmalpfleger*innen der Initiative Kerberos, vertreten durch Gundula Lang, Ralf Liptau, Verena Pfeiffer-Kloss und Frank Schmitz, nun einen offenen Brief an die Chemnitzer Politiker geschrieben. Darin plädieren sie für den Erhalt am Standort. Die Debatte ist ein Weckruf, sich mit dem DDR-Erbe in Chemnitz zu befassen – einer Kommune, deren eigener Marketing-Claim immerhin „Stadt der Moderne“ lautet.

Unter dem Namen Karl-Marx-Stadt war Chemnitz das Verwaltungszentrum des bevölkerungsreichsten Bezirks der DDR. Diese Bevölkerung hatte sich ihren neuen Namen 1953 zwar nicht ausgesucht, bekam in der Folge aber immerhin ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm geboten. Während andere Bezirksstädte lange auf ein neues Zentrum warteten, erhielt das stark zerstörte Chemnitz in den 1960er Jahren Ladenzeilen, die Tanzbar „Kosmos“, Büro- und Wohnhäuser, Grünanlagen, Plätze und Brunnen. Später folgten die Stadthalle und ein Hotelhochhaus, und nicht zuletzt bekam die traditionelle Maschinenbau- und Industriestadt 1968 den „modernsten Omnibusbahnhof der DDR“.

Technischer Experimentalbau


Der Architekt Johannes Meyer und der Bauingenieur Christian Weise schufen mit dem Vordach samt Wartehalle und Reiseinfrastruktur einen technischen Experimentalbau, der viel mediale Aufmerksamkeit erhielt. Das 1.200 Quadratmeter umfassende Hängedach ist eine Stahlträgerkonstruktion, die an „über Pylone gespannten Stahlseilen aufgehängt ist“, wie Johannes Meyer 1969 schreibt. Eine „sichtbehindernde Unterkonstruktion zwischen Wartefläche und Abfahrtsständen“ konnte so vermieden werden. Besagte Abfahrtsstände setzten durch die „Verwendung von lichtdurchlässigen Kunststoffschalen und eine Ständerung der Dachfläche mit einer 2,60 m hohen Stahlrahmenkonstruktion“ die transparente Gestaltung fort. Bis zu 30.000 Fahrgäste benutzten den Omnibusbahnhof täglich.

Seit 1990 sinken die Abfahrtszahlen am Omnibausbahnhof. 1999 verschwanden im Zuge eines Umbaus die Abfahrtsstände. Im Zusammenhang mit der Erweiterung der Technischen Universität wird seit einigen Jahren auch die Verlegung des Busbahnhofs diskutiert. Das charakteristische Pylonen-Hängedach steht aber inzwischen unter Denkmalschutz, und der zuständige Baubürgermeister Michael Stötzer schlägt einen Erhalt durch Translokation vor. Das wäre notwendig, wenn am Schillerplatz tatsächlich ein Institutsneubau der TU errichtet werden soll.

Identitätsstiftendes Zeugnis


Die Unterzeichner*innen des offenen Briefes, zu denen unter anderem Thomas Flierl, Gabi Dolff-Bonekämper, Jörg Haspel, Wolfgang Kil und Philipp Meuser gehören, geben sich mit dieser Aussicht auf Rettung allerdings nicht zufrieden. Aus ihrer Sicht ist nicht geklärt, ob und wie der vollständige Erhalt des Pylonen-Hängedaches bei einer Translokation sichergestellt werden kann. Sie fordern den Freistaat Sachsen und die Stadt Chemnitz auf, entsprechende Gutachten vorzulegen und den Verbleib am bisherigen Standort zu prüfen. Sie merken insbesondere an, das gerade das Ensemble aus Dach, Klapperbrunnen, Aktienspinnerei, Schillerplatz und den Fassaden des Brühl-Quartiers im Hintergrund ein einzigartiges und identitätsstiftendes Zeugnis ostmoderner Verkehrs- und Architekturgeschichte ist.

Anlass zur Sorge geben Fälle wie das Dresdner Pinguincafé, das ebenfalls unter Denkmalschutz stand und zu Gunsten eines Neubaus abgebaut und eingelagert wurde. Bisher ließ sich kein neuer Standort beziehungsweise keine adäquate neue Nutzung finden. Auch eine erfolgreiche Translokation des Pylonen-Hängedaches würde, so sie denn technisch möglich wäre, zum Verschwinden des Gebäudes von seinem Standort führen. Die Unterzeichner*innen des Briefs hingegen wollen das Bauwerk sichtbarer machen. Wie das gehen kann, zeigte die Initiative Kerberos mit ihrem Einsatz für Erhalt und Unterschutzstellung der markant gestalteten U-Bahnhöfe aus den 1980er Jahren in beiden Teilen Berlins. Anfang des Jahres lenkte eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie Aufmerksamkeit auf die baukulturellen Schätze im Untergrund der einst geteilten Stadt. Die U-Bahnhöfe sind – zumindest teilweise – gerettet.

Die Chancen für ein solches Engagement stehen heute besser als noch vor wenigen Jahren, die mediale Aufmerksamkeit für ostdeutsche Architektur und Kunst wächst. Auch die Diskussion um den benachbarten, ebenfalls denkmalgeschützten Klapperbrunnen, dessen geplanter Abbau samt Einmottung auf breiten Bürgerprotest traf, helfen vielleicht. Wenn es um konkrete Gebäude geht, müssen Wahrnehmung und Wertschätzung ostmoderner Architektur dennoch immer wieder neu erkämpft werden. Dazu gehört es, lokale Interessen auszuloten und konkrete Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen. Letztlich stellt sich mit der Debatte um den Omnibusbahnhof die Frage: Wird Chemnitz zu seinem reichhaltigen ostmodernen Erbe stehen? Und kann dieses Erbe vielleicht sogar Ausgangspunkt für eine zukunftsweisende Stadtentwicklung sein? Ein weiterer Standortfaktor dieser „Stadt der Moderne“? (dd)

Fotos: Martin Maleschka


Zum Thema:

Mehr zum Pylonendach samt dem offenen Brief im Wortlaut unter www.moderne-regional.de.


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