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01.12.2021

Was ist eine englische Moschee?

Marks Barfield Architects in Cambridge


Die neue Zentralmoschee in Cambridge ist womöglich der diverseste Ort der Stadt. Menschen aus über 70 Ländern kommen hier zusammen, viele von ihnen gehören zum Wissenschaftsbetrieb in Cambridge, einige ihrer Familien leben schon seit mehreren Generationen in Großbritannien, andere erst seit einigen Jahren. Mit ihrem Entwurf für die Moschee, die 2019 eingeweiht und kürzlich mit dem RIBA National Awards 2021 ausgezeichnet wurde, versuchten Marks Barfield Architects (London) eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit auch baulich zur Selbstverständlichkeit zu machen: Sie situierten die diverse islamische Kultur als – eben selbstverständlichen – Bestandteil der wohl englischsten Stadt Englands. 

Wie unterschiedlich solch ein kulturelles Ansinnen in eine Architektur überführt werden kann, zeigte sich im internationalen Wettbewerb für die Zentralmoschee. Ausgelobt wurde er 2009, nachdem der Wohltätigkeitsverein „Muslim Academic Trust“ – dem auch der mittlerweile als Yusuf Islam bekannte Songwriter Cat Stevens vorsteht – ein leerstehendes Warenhaus für den Standort des Neubaus erwarb. Viele Wettbewerbsteilnehmer*innen setzten für eine kulturelle Verankerung der islamischen Gemeinde in Cambridge bei „typisch britischen“ Baustilen an und entwarfen die Moschee etwa als viktorianischen Bahnhof oder brutalistisches Kulturzentrum.

Marks Barfield Architects hingegen entschieden sich bei ihrem Gewinnerentwurf, die unterschiedlichen Strömungen islamischer Architektur von Zentralasien bis Cordoba mit lokalen, englischen Bautraditionen zu verbinden. Entstanden ist schließlich eine beeindruckende Holzkonstruktion mit Backsteinfassade, wie sie im Prinzip auch für Wohnbauten in Cambridgeshire angewandt wird, aber sie umfasst eine imposante Säulenhalle sowie einen Garten, wie es Sakralbauten aus dem Maghreb oder maurischen Spanien tun.

Technisch ausgedrückt tragen jetzt 30 Struktursäulen aus vorgefertigten Fichtenbrettschichtholz-Elementen das vernetzte Dachwerk der Zentralmoschee. Doch visuell entwickelten die Architekt*innen gemeinsam mit dem Schweizer Bauunternehmen Blumer Lehmann einen schieren Säulenwald, deren Baumstämme sich an der Decke des 8,50 Meter hohen Gebetssaals über das niedrigere Foyer bis nach außen zu einem ornamentalen Gewölbe aus Rundungen und Verschlingungen verästeln. Dieses besondere Flächentragwerk erinnert einerseits an die manierierte gotische Decke der Cambridge Chapel, andererseits an die symbolische Ornamentik der historischen islamischen Baukunst.

Das Muster der Gewölbe wie auch die geometrischen Motive an Boden, Wand und Fassade gehen auf eine Leitgeometrie nach traditionellen Achteckstrukturen zurück, die der Experte für sakrale islamische Architektur Keith Crichtlow für die Moschee entwickelte. Seine händischen Skizzen wurden auf 3D-Computermodelle und schließlich auf die vorgefertigten Bauteile übertragen. Für die Backsteinfassade ließ er in kufischer Schrift ein arabisches Gottesbekenntnis auf die Fassade mauern, wie es etwa auf Moscheen und Mausoleen in Zentralasien auftaucht. Ohnehin ist die gesamte Anlage durchzogen von Symbolen: Als bauliche Metapher für ein Himmelsgewölbe platzierten die Architekt*innen die von außen vergoldete, aus glasfaserverstärktem Gips vorgefertigte Kuppel oberhalb der Quibla; die Gartenexpertin Emma Clark und die Landschaftsarchitekt*innen Urquhart & Hunt (Bruton) ließen in ihrer Außenraumgestaltung viele göttliche Andeutungen aus der islamischen Gartenkunst einfließen.

Die gesamte Moschee mit ihrem Atrium, den Lehrräumen, dem Gebetssaal sowie der Tiefgarage ist für einen geringen Energieverbrauch geplant. Die Deckenfenster an jeder Baumsäule sowie Lüftungsschächte bewirken eine effektive Luftzirkulation, geheizt wird über eine Wärmepumpe. Die natürliche Belichtung, gepaart mit einer durchgehenden LED-Beleuchtung, verringert den Strombedarf. Das Regenwasser wird auf dem Flachdach gesammelt und für die Bewässerung des Gartens sowie die Sanitäranlagen genutzt. Die Abu Bakr Siddiq Mosque trägt also nicht nur zu dem hiermit entstehenden Typus einer „englischen Moschee“ bei, sie ist auch eine grüne Moschee. (sj)

Fotos: Morley von Sternberg, Blumer Lehmann


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