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21.02.2019

Buchtipp: Kartierung und Macht

Handbook of Tyranny


Vom eingeschränkten Zugang des öffentlichen Raums über technische Kontrollsysteme bis hin zu unmenschlichen Bestrafungen – staatliche Machtausübung wendet Methoden an, die einer komplexen Struktur von Regeln und Strategien unterliegen. Bauwerke helfen diese Regeln einzuhalten. Hinter dem Schein des Alltags lauern oft genug berechnete Mechanismen, kontrollierte Räume, Werkzeuge der Überwachung und – im schlimmsten Fall – der Vernichtung. Theo Deutingers „Handbook of Tyranny“ enthüllt ein Paralleluniversum, in dem wir leben und in dem systematische Grausamkeiten verübt werden.

Deutinger ist Architekt, Autor und kritischer Kartograph sozio-kultureller Phänomene. In seinem knallroten Handbuch zeigt er auf, wie der technologische Fortschritt im 20. und 21. Jahrhundert zu einer zunehmenden globalen Gewaltherrschaft und nicht in eine friedliche Zukunft führt. Die 160 Seiten sind in thematische Kapitel gegliedert und widmen sich unter anderem bunkerzerstörenden Raketen, Grenzanlagen, Flüchtlingslagern, Systeme der Bevölkerungskontrolle und Methoden der Todesstrafe.

Akribisch analysiert Deutinger in seinen Zeichungen Grenzen, Räume und Bauwerke der heutigen Gesellschaft, die die freie Bewegung einschränken und der Überwachung dienen. Wie weit gefasst sein gewaltkritischer Ansatz ist, erkennt man spätestens, sobald man sich seine Zeichnungen der effizienten Tötungsmaschinerie eines modernen Schlachthofes ansieht. Deutinger stellt sowohl Objekte als auch Prozesse anhand technischer Zeichnungen, Infografiken und Diagrammen dar – versehen mit Bemaßungen und Hinweisen, wie sie in Architekturhandbüchern üblich sind. Unmissverständliches Vorbild ist ihm Ernst Neuferts „Bauentwurfslehre“ – das erstmals 1936 veröffentlichte Nachschlagewerk, in dem beispielhafte räumliche Lösungen für jede denkbare Situation des Planungsalltags dargelegt sind.

Jedes der zwölf Kapitel in Deutingers Buch beginnt mit einem einführenden Text. Außerdem gibt es zwei längere Aufsätze enthält: eine Untersuchung des Autors zu territorialen Grenzen und ein Beitrag des amerikanischen Journalisten Brendan McGetrick über die Tyrannei künstlicher Systeme. Die linearen Zeichnungen und das geradezu zwanghafte Bedürfnis, jeden Gegenstand und jedes Szenario in Einzelteile zu zerlegen – einschließlich grausamer Tötungsarten wie Enthauptungen oder Steinigungen – mögen zwar erschreckend und für den Augenblick aufschlussreich sein. Die reduzierte und abstahierte Darstellung bewirkt jedoch auch eine gewisse Flachheit.

Doch Deutingers Botschaft kommt an. Dem Laien ist das Handbuch ein eindruckvsoller grafischer Leitfaden für die Bestimmung von Werkzeugen der Gewalt im weitesten Sinne. Und Architekten und Ingenieure, die mit Hilfe von Zeichnungen und Plänen eben immer auch gesellschaftliche Zusammenhänge ordnen, werden an ihre Verantwortung erinnert, dass sich hinter jeder sachlichen Zeichnung gebaute Realität verbirgt, die immer auch schmerzhaft sein kann – und sei es noch so subtil.

Text: Katrin Schamun

Handbook of Tyranny
Theo Deutinger
164 Seiten

Englisch
Lars Müller, Zürich 2018
ISBN 978-3-03778-534-8
30 Euro

Zum Thema:

Im Haus der Architektur in Graz eröffnet am Mittwoch, 6. März 2019 um 18 Uhr eine gleichnamige Ausstellung zum Buch, kuratiert von Deutinger und McGetrick. Die Ausstellung präsentiert Auszüge aus dem Buch und thematisiert insbesondere die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen. Mehr Infos hier.


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Die Farbe des Covers erinnert an das „Metric Handbook“ – den „Neufert“ im englischsprachigen Raum.

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Das Buch widmet sich unter anderem Grenzanlagen, Flüchtlingslagern und Systeme der Bevölkerungskontrolle.

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Akribisch analysiert Deutinger in seinen Zeichungen Grenzen, Räume und Bauwerke, die die freie Bewegung einschränken und der Überwachung dienen.

Akribisch analysiert Deutinger in seinen Zeichungen Grenzen, Räume und Bauwerke, die die freie Bewegung einschränken und der Überwachung dienen.

Vorbild des Buches sind Ernst Neuferts „Bauentwurfslehre“ und die grafische Bildsprache Otto Neuraths, die kritische Erkenntnisse und Reflexion fördern wollte.

Vorbild des Buches sind Ernst Neuferts „Bauentwurfslehre“ und die grafische Bildsprache Otto Neuraths, die kritische Erkenntnisse und Reflexion fördern wollte.

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