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16.06.2020

Provokation am Ku’damm

Geschäftshaus von Tobias Nöfer in Berlin


Traditionalistisch und neo-klassizistisch arbeitende Architekt*innen sehen sich regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Fassaden seien letztlich bloß aufgeklebtes Dekor. Denn hinter der dünnen Schicht aus Gesimsen und Pilastern steckt oft eben einfach nur ein schnödes WDVS. Die gern behauptete Dauerhaftigkeit, die Prinzipien des Tektonischen und die Ästhetik steinerner Solidität sind dann nicht mehr als ein Bild für die konservative Kundschaft.

Einer solchen, all zu pauschalen Kritik werden Nöfer Architekten (Berlin) bei ihrem 2018 fertiggestellten Palais Holler am Kurfürstendamm leicht kontern. Denn die Architekt*innen konnten hier voll auf eine „Materialität und Opulenz“ setzen, die dem Charakter der teuersten Straße Berlins absolut angemessen ist. Im Auftrag der Münchner Holler-Stiftung entstand ein Geschäftshaus mit Innenhof, das nicht nur in seiner axialen Monumentalität den Geist der Zeit um 1900 atmet, sondern diesen durch seine hochwertige Materialität auf geradezu verschwenderische Weise feiert.

Über die Baukosten des Hauses mit 10.500 Quadratmetern BGF schweigen sich Bauherr und Architekt aus, doch dass bei dem Siebengeschosser mit zwei Untergeschossen Tiefgarage nicht gespart wurde, sieht man sofort. Im Vestibül staunt man über Säulen aus Jura-Marmor – die aus einem Stück bestehen! –, dahinter finden sich vergoldete Wandflächen mit grazilen Pflanzenmalereien. In den Büroetagen kamen dunkles Nussholz – bei Türzargen und Fußleisten – sowie Parkett aus Eiche zum Einsatz. An der Straßenfassade wurden dem tragenden Stahlbeton dicke, teilweise aufwendig gerundete Werkstücke aus Jura-Kalkstein vorgehängt und mit Mörtel fest verfugt. Das verleiht der Front eine Dignität, die die Architekt*innen als sensibles Weiterdenken des Alten begreifen – denn Säulen oder andere klassische Ordnungselemente findet man hier bezeichnenderweise nicht. Stattdessen trifft man auf eine Neuinterpretation der typischen Berliner Geschäftshausfassade, die mit ihren geradezu wulstigen Steinen und manch seltsamer Überschneidung im Detail etwas durchaus Manieristisches hat.

Die Architekt*innen verstehen die „dauerhafte Materialität“ des Hauses explizit als einen Beitrag zum aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs. Was aus schwerem Stein gebaut wurde, das muss auch Jahrzehnte halten. Wichtig ist ihnen außerdem, dass die Bauherrschaft das Objekt nicht als Spekulationsobjekt sieht, sondern als langfristiges Eigentum. Das Projekt genießt einen solch hohen Stellenwert im Büro, dass dazu sogar eine schwergewichtige Publikation im Verlag Wasmuth & Zohlen erschien.

Der Titel des Buches „Haus mit Eigenschaften“ liefert eine programmatische Antwort auf das Haus ohne Eigenschaften, das sich der späte Oswald Mathias Ungers in Köln errichtete. Wer das Haus jemals besichtigen konnte, wird die Härte und Kühle dieser radikalen und hochgradig individualistischen Idealarchitektur nicht mehr vergessen. Aber macht es Sinn, auf einen solchen Extrempunkt der Architektur – der auch typologisch völlig anders gelagert ist – zu referieren? Der Bezug sei eine bewusste Provokation, gibt Anne Nöfer zu, um eine Debatte über das Haus anzustoßen. In dem Buch findet man unter anderem einen entspannten Text von Alexis Bug, der sich ausmalt wie Nöfer und Robertneun im konkurrierenden Verfahren die City West nach ihren Vorstellungen umgestalten. Das eröffnet durchaus einen Resonanzraum selbstironischer Ambivalenzen.

Der schnelle Leser wird aber doch eher an der Einleitung hängen bleiben, in der Gerwin Zohlen gleich in die Vollen geht, Nöfer als den neuen Alfred Messel feiert und anschließend die gesamte Moderne verdammt, da sie von innen nach außen entworfen habe. Dabei entkommt auch das Palais Holler nicht den Logiken der Moderne – genauer: dem zeitgenössischen Immobilienmarkt. Denn auf den Büroetagen hinter der prachtvollen Fassade wurde – wie allgemein im Bürobau üblich – mit Gipskarton und einzelnen Glastrennwänden gearbeitet, um maximal flexibel auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen reagieren und jederzeit umbauen zu können. Also letztlich doch alles nur vorgeklebt? (gh)

Fotos: Maximilian Meisse, René Wildgrube, Torsten Zech


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Am Kurfürstendamm 170 bauten Nöfer Architekten im Auftrag der Münchner Holler-Stiftung ein Geschäftshaus mit 6.090 Quadratmetern Bürofläche.

Am Kurfürstendamm 170 bauten Nöfer Architekten im Auftrag der Münchner Holler-Stiftung ein Geschäftshaus mit 6.090 Quadratmetern Bürofläche.

Das „Palais Holler“ atmet in seiner axialen Monumentalität und durch die hochwertige Materialität den Geist der Zeit um 1900.

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Im Hof verwendeten die Architekt*innen den portugiesischen Kalkstein Crema Marfil, da er eine hohe Lichreflektion aufweist und eine schöne Nahwirkung besitzt.

Im Hof verwendeten die Architekt*innen den portugiesischen Kalkstein Crema Marfil, da er eine hohe Lichreflektion aufweist und eine schöne Nahwirkung besitzt.

Die grazilen Pflanzenmalereien auf den vergoldeten Flächen des Vestibüls stammen von Inka Gierden und Julien Collieux.

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