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20.08.2020

Jetzt aber!

Flughafen Berlin Brandenburg von gmp


Der BER ist bereit. Am 31. Oktober 2020 soll der skandalträchtige Terminal 1 des Flughafen Berlin Brandenburg in Betrieb gehen. Beim gestrigen Presserundgang präsentierten die Architekten vom Büro gmp und der Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup ein seit acht Jahren fertiggestelltes Gebäude, das nun technisch genehmigt ist und auf Passagiere wartet.

Von Friederike Meyer


Profilierte Stahlstützen tragen das mächtige Dach, holzfurnierte Einbauten verteilen sich im Raum, die Fassade lässt das Licht des brandenburgischen Himmels hinein. In der überaus freundlichen Stimmung der Check-In-Halle empfängt Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup gemeinsam mit den Architekten von gmp. Als er im März 2017 antrat, hatte man bereits vier Jahre erfolglos versucht, nach der geplatzten Eröffnung 2012 den BER an den Start zu bekommen. Mit Fachwissen, diplomatischem Geschick, vor allem aber mit Ehrgeiz, Hartnäckigkeit und Geduld sei es ihm gelungen, die bauliche Freigabe für den BER zu erlangen sagen Insider. Anders als seine drei von Wunschdenken geleiteten Vorgänger hat er von Beginn an gesagt was ist: Es dauert und es braucht Zeit.

Die teils skandalöse, über 20-jährige Planungs- und Bauzeit fasst der Flughafenchef anhand von Zahlen zusammen. Eine Sisyphusarbeit sei es gewesen, so Lütke Daldrup, in den vergangenen drei Jahren die im Prüfprozess der Sachverständigen identifizierten rund 17.500 Mängel abzuarbeiten. Die Gesamtinvestitionen für die Baumaßnahmen liegen bei 5,9 Milliarden Euro. Als die Planung vom Büro gmp 2006 fertig war, hatte Berlin 18 Millionen Fluggäste, heute wären es jährlich 36 Millionen – ohne Pandemie. Seit 2005 wurde der Bau um 80 Prozent vergrößert. Mit Bau meint er, was Ende Oktober als Terminal 1 in Betrieb gehen soll. Diesmal wirklich. Die Freigabe war im April 2020, derzeit läuft die Testphase.

Terminal 1, das ist das Herzstück des nach Willy Brandt benannten Flughafen Berlin Brandenburg. Mit ICE und S-Bahn-Anschluss, einer beeindruckenden Abfertigungshalle, drei Piers und einer zeitgemäß leistungsfähigen Gepäckverteilanlage. Es ist das gleiche Bauwerk, das ursprünglich mal am 24. Mai 2012 eröffnet werden sollte, und das in diesem Herbst – 8 Jahre, vier Flughafenchefs, ein 160 Seiten starkes Buch des wütenden Architekten und mehrere Milliarden zusätzlich ausgegebene Euro später – vor der Inbetriebnahme steht. Der Skandal des BER, der sich um eine überforderte Bauherrschaft, um schlechte Vergabestrategien und permanente Änderungen dreht, ist eine Seite der Geschichte des Hauptstadtflughafens.

Seine Architektur ist eine andere. Es ist eine im besten Sinne deutsche Architektur, die ihrer Aufgabe, einen funktionierenden Flughafen mit Ortsidentität zu planen, gerecht wird. Struktur und Übersicht haben die Architekten sichtlich geleitet, oder wie Meinhard von Gerkan betont, die Haltung, „dass es bei einem Flughafen ums Konzeptionelle und Robuste und weniger ums Formale geht“. Ein Flughafen sei kein Zustand, sondern ein Prozess. Da werde ständig weiter gebaut. Der BER sei der 10. Flughafen seiner Karriere, sagt der 85-Jährige, der nach dem Rausschmiss seines Büros aus dem offiziellen Planungsprozess 2012 dennoch bis zum Schluss im Gespräch mit seinem Projekt geblieben ist. „Wir wollten mit unserem Gestaltungskonzept das Reisen so angenehm wie möglich machen“, sagen Hubert Nienhoff und Hajo Paap, die verantwortlichen Architekten von gmp über ihren Entwurf. Überall, wo sich die Passagiere neu orientieren müssen, ist es besonders übersichtlich. Das gelingt, wie im Berliner Hauptbahnhof, mit Licht, Luft und vielen Durchblicken ins Wegesystem.

Im Vergleich mit den inzwischen eröffneten Flughäfen in Amman und Istanbul, in Peking, in Shenzen oder in Südisrael wirkt der neue Terminal 1 des BER denn auch weniger architektonisch visionär oder formal spektakulär als vielmehr funktional und heimelig. Gerade deshalb vermittelt er ein Stück regionale Identität von Berlin und Brandenburg und erfüllt so seine ursprünglich gestellte Planungsaufgabe, ob uns das nun passt oder nicht. Vielleicht wird sich diese Art Bescheidenheit ja noch als seine große Stärke herausstellen.

Die Atmosphäre in den vielen verschiedenen Orten des Terminal bewegt sich zwischen Wohnzimmer, Bibliothek, Messehalle und Flughafen, wie wir ihn kennen. Grund dafür sind vertraute Materialien: quadratische Bodenplatten aus Jurakalkstein, stahlgraue Stützen, die das mächtige Hallendach halten, aber vor allem das französische Nussbaumfurnier, das sich über Wände, Türen, Einbauten und sogar die Alulamellen der Lüftungsanlage zieht. Die Elemente dieses 15 Jahre alten Entwurfs mit seiner Kombination aus warmen Oberflächen, pragmatischen Betonelementen und kühler Ingenieursgeste, aus durchdachtem Wegeverlauf und effizienter Rasterstruktur stehen für deutsche Architektur.

Aber auch die Gründe für die skandalöse Verzögerung stehen für das Bauen in Deutschland. Lütke Daldrup sieht sie einerseits in der „Melange aus Änderungsvolumen, Zeitdruck und Komplexität, sowie der langen Ignoranz der Auswirkungen“ und andererseits in der Tatsache, dass man parallel geplant und gebaut habe. Und dann schließt er eine Generalkritik an: Deutschland habe viele gute Architekten, aber nur wenige Ingenieurbüros, die einer derart komplexen Aufgabe gewachsen seien. Die sektorale Optimierung des Baugeschehens durch die Normierung und ihre Interessenvertreter aus Industrie und Fachingenieurwesen machten die Generalplanung anspruchsvoller Bauten zur kaum beherrschbaren Herausforderung. Deutlich macht der damit eines: Wer eine Geschichte wie die des BER künftig vermeiden will, muss die baukulturelle Debatte unbedingt auch mit Blick auf die Strukturen führen.

Fotos: Marcus Bredt


Zum Thema:

Passend dazu die BAUNETZWOCHE #368 „Gerkan fliegt auf Berlin“ und die BauNetz-Meldung zum Richtfest.


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Zu den Baunetz Architekt*innen:

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Der neue Flughafen Berlin Brandenburg besteht aus dem Fluggastterminal 1 und der noch zu bauenden Airport City zwischen Start- und Landebahnen.

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Terminal 1 bildet den städtebaulichen und strukturellen Kern der Anlage.

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Das große, 50 Meter weit auskragende Dach verbindet die Land- mit der Luftseite.

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In der lichten Halle liegen Check-Ins und Gepäckabfertigung.

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