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04.03.2020

Buchtipp: Hans Scharoun

Die Wohnhochhäuser Romeo und Julia 1954–1959


Die Worte sind historisch, das Thema aktueller denn je: „Meines Erachtens ist die notwendige Wiedervereinigung oder besser: Neuvereinigung des Wohnens und Werkens ein besonders dringendes Problem.“ Was sich in Hans Scharouns Vorlesungsnotizen vom 23. Juni 1952 lesen lässt, wird ganz ähnlich auch seit Jahren wieder heiß diskutiert: Wohnen und Arbeiten unter einem Dach zu kombinieren. Wer ein solches Zitat an den Anfang eines Buches stellt, das sich in geradezu exzessiver Manier historischer Grundrisse annimmt, der möchte mehr als einfach nur Licht auf ein Kapitel der jüngeren Architekturgeschichte werfen.

In der Tat betonen Markus Peter und Ulrike Tillmann gleich auf der ersten Seite ihrer aufwändig ausgestatteten Publikation, dass es ihnen um nicht weniger geht, als „ein neues Kapitel der Grundrissforschung“ zu schreiben. Sie versuchen am Beispiel von Scharouns großartigen Wohnhochäusern Romeo und Julia (1954–59) in Stuttgart-Zuffenhausen die „Kooperationen von Forschern und Entwerfern und deren Verzweigungen in angrenzende Wissenschaften“ nachzuzeichnen, die einem solchen ambitionierten Bauprojekt zu Grunde liegen. Einerseits agierte Scharoun innerhalb der damaligen Diskurse um Minimalwohnungen, anderseits zeigt gerade das Stuttgarter Beispiel sein ganzes Können, vielfältige Wohnungstypen mit unorthodoxen Grundrissen zu einer herausragenden architektonischen Form zusammenzuführen.

Wer auf Grundrissvergleiche steht und historische Tiefenbohrungen liebt, muss sich Hans Scharoun und die Entwicklung der Kleinwohnungsgrundrisse. Die Wohnhochhäuser Romeo und Julia 1954–1959 unbedingt besorgen! Auf über 50 Seiten Dünndruckpapier werden gleich zu Beginn des Buches Dutzende Pläne aus dem Planungsprozess ausgebreitet. Sie zeigen die diversen Varianten der beeindruckend komplexen, teils geradezu exzessiv komprimierten Minimalgrundrisse, die Scharoun für das frei finanzierte Bauprojekt entwickelte. Man staunt, wie Scharoun etwa auf 64,99 Quadratmetern Wohnfläche nicht nur eine fünfköpfige Familie unterbringt, sondern den hochgradig minimierten Grundriss sinnvoll in einen Bereich für die Kinder, einen Bereich für die Eltern sowie einen dazwischen liegenden Wirtschaftsteil gliedert – und außerdem eine kleine Arbeitsnische sowie zwei Balkone anbietet.

Neben dem detaillierten Blick auf das historische Planmaterial geht es den Autoren vor allem um inhaltliche Verbindungen. Sie stellen Scharouns Vorlesungen zum historischen Wandel der Wohnhaustypologien vor, diskutieren Alexander Kleins Studien zu Bewegungsabläufen in Minimalwohnungen und widmen den Ordnungsprinzipien „Sägezahn“, „polygonaler Apparat“ und „Multiplizierung“ in Scharouns Entwürfen ausführliche Kapitel. Dabei sind sie immer nahe dran an Scharoun, folgen ihm durch handschriftliche Notizen, versenken sich in Skizzen und spüren seinen Gedanken in all ihren oft schwer verständlichen Begrifflichkeiten vom „Organhaften“, „Geistigen“ oder den „Wesenheiten“ nach.

Letztlich kämpfen sich Peter und Tillmann wohl auch durch all das Material und den esoterischen Nebel von Scharouns Sprache, um Inspiration für ein heutiges Entwerfen zu finden. Die Aktualität von Scharouns Überlegungen wird mit Blick auf aktuelle Bauprojekte wie dem Münchner Wohnbauprojekt von Meili, Peter Architekten mehr als deutlich. Darüber hinaus geht es freilich immer auch um die eingangs zitierte Verbindung von Wohnen und Arbeiten. Scharoun wollte sie durch kleine, präzise positionierte Arbeitsecken ermöglichen, mit denen er produktive Verbindungen zwischen privaten Wohnräumen und den Arbeitsplätzen der Wissensgesellschaft anstrebte. Erstaunlich, dass diese eng bemessenen Nischen genau die richtigen Maße für den Arbeitsalltag individualisierter und zugleich global vernetzter Laptop-Arbeiter*innen haben. Was Scharoun dazu wohl gesagt hätte?

Text: Gregor Harbusch

Hans Scharoun und die Entwicklung der Kleinwohnungsgrundrisse. Die Wohnhochhäuser Romeo und Julia 1954–1959
Markus Peter und Ulrike Tillmann
232 Seiten
Park Books, Zürich 2019
ISBN 978-3-03860-156-2
58 Euro

Das Buch ist auch in einer englischen Fassung erschienen.


Kommentare:
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Romeo und Julia machen eindrucksvoll klar, dass Scharoun vielfältige Wohnungstypen mit unorthodoxen Grundrissen zu einem schlüssigen und zugleich herausragenden Hochhaus zusammenzuführen konnte.

Romeo und Julia machen eindrucksvoll klar, dass Scharoun vielfältige Wohnungstypen mit unorthodoxen Grundrissen zu einem schlüssigen und zugleich herausragenden Hochhaus zusammenzuführen konnte.

Der Zürcher Architekturfotograf Georg Aerni hat das Ensemble für die Publikation neu fotografiert, hier etwa die Fassade des Innenhofes von Julia.

Der Zürcher Architekturfotograf Georg Aerni hat das Ensemble für die Publikation neu fotografiert, hier etwa die Fassade des Innenhofes von Julia.

Scharouns Grundrisszeichnung einer Wohnung Typ 1 im Block B mit der Archiv-Signatur 1350.187.144 stand am Anfang des Forschungsprojekts und ist nun Aufmacher auf den ersten Seiten des Buches.

Scharouns Grundrisszeichnung einer Wohnung Typ 1 im Block B mit der Archiv-Signatur 1350.187.144 stand am Anfang des Forschungsprojekts und ist nun Aufmacher auf den ersten Seiten des Buches.

Ein Kapitel der Publikation zeigt auf über 50 Seiten Pläne und erlaubt ein äußerst detailliertes Nachvollziehen des Planungsprozesses und der vielfältigen Wohnungstypen – hier beispielsweise das Normalgeschoss von Julia.

Ein Kapitel der Publikation zeigt auf über 50 Seiten Pläne und erlaubt ein äußerst detailliertes Nachvollziehen des Planungsprozesses und der vielfältigen Wohnungstypen – hier beispielsweise das Normalgeschoss von Julia.

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