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27.09.2016

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World of Malls. Architekturen des Konsums

Bücher im BauNetz


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Von Dina Dorothea Falbe

„Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, spricht Goethes Zauberlehrling – ähnlich scheint es der Architektenschaft mit der Shopping Mall zu gehen. Wer die gestalterische Armut der Investorenklötze beklagt, möchte nicht daran erinnert werden, dass Architekten das Konzept einst entwickelt haben. So kommt es, dass der fachliche Diskurs zum Thema erst 2002 von Rem Koolhaas durch den Harvard Design School Guard to Shopping „befeuert“ wurde, obwohl die Bauaufgabe bereits 60 Jahre alt ist und, entgegen der Hoffnung einiger, nicht aus der Mode zu kommen scheint.

Im Katalog zur aktuellen Ausstellung World of Malls. Architekturen des Konsums beschreibt Andres Lepik die Mall als „ökonomisch-sozialen Kosmos“. Dieser gehe aus dem Prinzip der Märkte und Basare hervor, die den Handelsknotenpunkt Stadt von Anfang an definiert haben. Gleichzeitig ist „die Shopping Mall ein architektonischer Typus, der selbst ein kommerzielles Produkt darstellt“, da sie „mit ihren Parkplätzen, Ladenstraßen, Atrien und Höfen in der Hand eines Besitzers liegt“, der dort die Regeln bestimmt. Gemeinsam mit Vera Simone Bader gibt Andres Lepik die Publikation heraus. Die in Ausstellung und Buch vorgestellten Beispiele aus aller Welt zeigen eine überraschend breite Palette an Konzepten zwischen erfolgreichem oder gescheitertem Investorenparadies, wiederbelebtem Stadtraum und gebauter Gesellschaftsutopie.

Leerstehende Shopping Center auf der grünen Wiese sind kein moralisches Lehrstück gegen die „Torheit der vorstädtischen Expansion“, meint Architekturhistoriker Robert Bruegmann in seinem Textbeitrag. Stattdessen sieht er „die Neuformung der Großstadt durch Einkaufen“: der dynamische Wandel bringe Qualitäten der Zentren in die Peripherie und mache umgekehrt die Stadtzentren vorstädtisch. Möglichkeiten des zukunftsorientierten Umbaus gescheiterter Malls zeigt die New Yorker Architekturprofessorin June Williamson auf.

Anhand von Steckbriefen der Malls, die zwischen die Textbeiträge gestreut sind, lässt sich die Geschichte der Bauaufgabe seit den Fünfzigerjahren nachvollziehen. Architekturhistoriker Richard Longstreth beschreibt, wie der Wirtschaftsaufschwung in den USA mit wachsendem Wohlstand und zunehmender Autonutzung das Konzept der regionalen Shopping Mall begünstigte. Projektentwickler und Handelsketten finanzierten „das Designkonzept innovativer Architekten“ wie Kenneth Welsh, John Graham oder Victor Gruen. Die Weiterentwicklung dieses Konzeptes beschreibt Herausgeberin Vera Simone Bader: Frank Gehry als Schüler Gruens beklagt bereits die Zwänge des Marktes und Jon Jerde entwarf in den 70er Jahren die Horton Plaza für die Innenstadt von San Diego, um der verödeten Stadtkulisse eine „idealisierte Hyperrealität“ entgegenzusetzen. Sein Ziel war jedoch nicht die Schaffung einer Scheinwelt, „vielmehr sollte die soziale und kommunikative Funktion Europäischer Städte in die Zentren Amerikas transferiert werden.“
 
Umgekehrt verbreitete sich das Konzept der Mall auch in Europa, mit Auswirkungen auf die historischen Innenstädte. Dem traditionellen Geschäftszentrum von Oberhausen hat das 830.000 Quadratmeter große Einkaufs- und Freizeitzentrum CentrO aus dem Jahr 1996 längerfristig geschadet. Die Stadt konnte mit dem Projekt nicht den erhofften Strukturwandel befördern. „Die Bürger haben ihre alte Stadtmitte verloren“, urteilt der Steckbrief des Projektes. In Bad Münstereifel wurde wiederum die historische Innenstadt in eine Mall verwandelt und so das ehemalige Kneipp-Heilbad wiederbelebt. In Bozen streitet man sich noch, ob das geplante Shoppingcenter mit integrierten Wohnungen und Büros nach den Entwurf von David Chipperfield Architects dort wirklich nicht nur den Handel, sondern auch die „architektonische und städtebauliche Qualität“ des Umfeldes der Altstadt beleben können wird.
 
Wie steht es nun aber um den gesellschaftlichen Wert der Mall? „Das Shopping, also das von gelegentlichen Einkäufen punktierte Wandeln durch Konsumzonen“ ist „in unserer zunehmend fragmentierten Kultur einer der letzten Bräuche, den wir als Gemeinschaft erleben“, meint Katja Eichinger. Alain Thierstein geht noch einen Schritt weiter. Für ihn sind die Shopping Malls „effiziente Maschinen“, nicht nur des Konsums, sondern auch der Zurschaustellung von Wohlstand und Einkommen. In der Zukunft, sagt er, müssen die Malls nicht mehr nur dem Bedürfnis nach lokaler Interaktion gerecht werden, sondern werden durch die Digitalisierung und Wissensökonomie zu „Urban Service Providern“ – machen also Stadt. Angesichts der Tendenz zur Privatisierung und Ökonomisierung von ehemals öffentlich finanzierten Leistungen, erscheint seine Prognose von der multifunktionalen Mall mit räumlich kompaktem Paket aus „Stadt, Shopping, Fußläufigkeit, Kinderbetreuung, Vielfalt, medizinisch-ambulanter Versorgung“ plausibel.
 
Das Town Centre der schottischen New Town Cumbernauld erlangte aufgrund dieses Konzeptes internationale Bekanntheit: Hier sind städtische Funktionen vertikal in einer Struktur untergebracht. Das Projekt der 1960er und -70er Jahre gilt heute als Symbol für das Scheitern wohlfahrtsstaatlicher Stadtgestaltung im Vereinigten Königreich. Es mangelt der alten Mall am „verkaufsstimulierenden mood management“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Regina Bittner. „Dafür ist sie nicht gemacht, in ihre DNA ist der Nutzer als Mitproduzent des Gebäudes eingetragen“. War dieser Anspruch naiv? Ist die Beliebtheit der Shopping Mall „Ausdruck für das menschliche Verlangen nach einem Ort, der uns auffängt, wenn wir fallen, der uns leitet, wenn wir uns zu verlieren drohen, der uns Nähe gibt, wenn wir uns einsam fühlen“, wie Katja Eichinger meint? Suchen wir Sicherheit statt Freiheit?
 
Ist das Shopping Center der Zukunft die allumfassende und stadtmachende Megastruktur? Dann sollten sich gerade jene Architekten, denen gesellschaftliche Aspekte von Stadt am Herzen liegen, nicht vor dem Phänomen verschließen. Die Frage wird sein, wie wir die Geister des freien Marktes (die wir nicht loswerden) für die Gesellschaft nutzen können, denn wie Katja Eichinger schreibt: „Der Kulturpessimismus ist die Schwester der Arroganz.“

World of Malls. Architekturen des Konsums
Herausgegeben von: Vera Simone Bader, Andres Lepik
Mit Texten in deutscher Sprache von: Anette Baldauf/Elizabeth Giorgis, Regina Bittner, Robert Bruegmann, Katja Eichinger, Dietrich Erben, Roberto Gigliotti, Anna Klingmann, Richard Longstreth, Alain Thierstein, June Williamson, Sophie Wolfrum
Hatje Cantz, 2016
256 Seiten,
gebunden, 200 Abb.
49,80 Euro




www.hatjecantz.de


Zum Thema:

Die Ausstellung World of Malls. Architekturen des Konsums ist noch bis zum 16. Oktober 2016 im Architekturmuseum der TU München zu sehen.

www.architekturmuseum.de


 
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Cover: World of Malls

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Dead Mall

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CentrO in Oberhausen

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