RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Buecher_im_BauNetz_2579407.html

19.06.2012

Licht und Transparenz

Bücher im BauNetz


Im 19. Jahrhundert waren es die prächtigen Bahnhöfe, die für technische Neuerungen auf der Schiene und in der Architektur standen: Hallen in filigranen Eisenkonstruktionen hinter pompösen Eingangsbauten, die sich verschiedener Stilrichtungen bedienten, lösten die Prominenz und Dominanz der Kirchen und Schlösser ab. Bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts aber galten die Industriebauten, wenn auch noch nicht in der Öffentlichkeit, so doch unter modernen Architekten als Bauaufgabe, die am besten die technischen Innovationen und sich wandelnde Architektursprache spiegelte. Den Vertretern der erwachenden Moderne galt das Ausleihen vergangener Stile, die ornamentale Überfrachtung, das Repräsentative als vorgestrig. Sachliche Gebäude, die Erkenntnisse der Ingenieurswissenschaften, neue Baustoffe wie Eisenbeton und Stahlkonstruktionen drückten den Zeitgeist angemessener aus als Theater und Regierungspaläste. Industriebauten mit ihrer funktional-konstruktiven Ästhetik traten aus der Anonymität heraus.

Allmählich schwappten das Interesse und die Bereitschaft zu neuen Sehgewohnheiten auch in die Öffentlichkeit über. Das war nicht zuletzt einer damals ganz neuen Form der – wie wir heute gerne sagen – Architekturvermittlung zu verdanken: Fachmagazine diskutierten breit diese neue Architektur und erreichten damit ein weit größeres Publikum als je zuvor. Das reproduzierbare und druckfähige Architekturfoto wurde zum beliebten Werkzeug, und gerade die gläsernen Curtain-Wall-Fabriken eigneten sich hervorragend, um dramatische Licht-Inszenierungen vorzunehmen. Denn trotz der Bedeutung, die das Tageslicht als ganz neue Komponente im Fabrikbau darstellte („Palast der Arbeiter“), waren doch die spektakulären Nachtaufnahmen der werbewirksam illuminierten Fabriken, der Röntgenblick von außen auf deren Konstruktion, reizvoll für die Unternehmer, die Architekten und nicht zuletzt die Fotografen. Ein besonders theatralisches Beispiel – das beleuchtete Treppenhaus eines der Kopfbauten der Großmarkthalle von Martin Elsaesser in Frankfurt, das expressionistische Lichtzacken auf die Fassade wirft.

Nun ist das Thema der Architekturfotografie der 1920er Jahre, der „Architektur im Buch“, der Entstehung von Architekturfachzeitschriften und ihrem Wirkungskreis in den letzten Jahren häufiger Gegenstand von Publikationen und Tagungen gewesen. Das bedeutet aber keineswegs, dass es sich erschöpft hat. Im Gegenteil: Der Kunsthistoriker Rudolf Fischer, dessen Forschungsschwerpunkte auf dem Industriebau und der Moderne liegen und der als ebenfalls gelernter Ingenieur sogar einen doppelten Zugang findet, hat dazu noch viel zu sagen. Auf der Basis seiner Doktorarbeit ist „Licht und Transparenz“ entstanden, ein umfassendes Buch zum „Fabrikbau und das Neue Bauen in den Architekturzeitschriften der Moderne“, so der Untertitel.

Der Einleitung stellt der Autor ein Zitat Adolf Behnes von 1913 voran: „Der Industriebau ist heute eine fast populäre Angelegenheit“. Wie er sich dazu entwickelt hat, spürt Fischer in detailliert aufgefächerten Kapiteln nach. Er stellt den berufsübergreifenden Architekturdiskurs in den damals (und teils bis heute) einschlägigen Fachzeitschriften vor, wo das Rollenverhältnis der Architekten und Ingenieure, die neue Ästhetik, die Schlagworte vom Bauen mit „Licht, Luft und Reinlichkeit“ (Walter Gropius), die Optimierung der Produktionsabläufe und – nicht ganz so prominent – auch das Wohl der Arbeiter thematisiert wurden. So widmete beispielweise die Bauwelt 1930 der „Künstlichen Beleuchtung von Fabrikanlagen“ einen Themenschwerpunkt.

Erfreulicherweise tauchen bei der Vielzahl von gebauten Beispielen nicht nur die üblichen Verdächtigen, also die AEG-Turbinenhalle von Peter Behrens und die Fagus-Werke von Walter Gropius, auf. Die und ihre Inszenierung in Publikationen dürfen natürlich nicht fehlen. Aber die Leser lernen auch weniger Bekanntes, so beispielsweise die Spielwarenfabrik Steiff von 1903 in Giengen, die als einer der ersten Stahlskelettbauten mit Glasfassade in Deutschland gilt. Die lokale Presse nannte sie vorsichtig einen „interessanten Neubau“. (cg)

Rudolf Fischer: Licht und Transparenz.
Der Fabrikbau und das Neue Bauen in den Architekturzeitschriften der Moderne
Zentralinstitut für Kunstgeschichte München (Hrsg.)
Band 2 der Studien zur Architektur der Moderne und industriellen Gestaltung
Gebrüder Mann Verlag, Berlin
340 Seiten, gebunden, 211 Abbildungen, 69 Euro


www.reimer-mann-verlag.de


Kommentare:
Meldung kommentieren




Alle Meldungen

<

19.06.2012

Architektur und Identität

Vortrag in Innsbruck

18.06.2012

Cliffhanger

Villa in Sydney fertig

>
baunetz interior|design
Schön schlicht
BauNetz Wissen
Himmlische Quellen
Baunetz Architekt*innen
kadawittfeldarchitektur
baunetz CAMPUS
Alumni-Podcast
Stellenmarkt
Neue Perspektive?