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20.03.2024

Buchtipp: Auf der Suche nach der Postmoderne

Archithese Reader 1971-1976


Beschäftigen Sie sich gerne mit der Geschichte der postmodernen Architektur(theorie)? Eher nein? Und trotzdem interessieren Sie sich für die Postmoderne? Dann sollten Sie darüber nachdenken, einen Blick in den archithese reader zu werfen. Das neu erschienene, 528 Seiten schwere Buch widmet sich intensiv den ersten 23 Ausgaben der Schweizer Zeitschrift archithese, die in den Jahren 1971–76 erschienen.

Das ist ganz zweifelsfrei ein absolutes Nischenthema. Und trotzdem für ein breites Fachpublikum interessant. Denn archithese war eine junge und überaus vielfältige Zeitschrift, die unorthodox und mutig ein großes Themenspektrum abdeckte, in dem sich die postmodernen Debatten wie durch ein Brennglas abbilden. Archithese reader. Critical Positions in Search of Postmodernity, 1971–1976 macht nun 25 wichtige Artikel als Faksimiles (und in englischer Übersetzung) zugänglich, ergänzt um einordnende Aufsätze und ein langes Interview mit Stanislaus von Moos, der die Zeitschrift zusammen mit Jean-Claude Widmer inhaltlich verantwortete.

Durch den Reader wird das Thema Postmoderne wunderbar greifbar. Denn was gibt es Schöneres, als die damaligen Texte im originalen Layout zu lesen – ergänzt (falls nötig ...) um wissenschaftliche Einordnungen? Die Auswahlleistung von Gabrielle Schaad und Torsten Lange sowie die Verfügbarmachung und Kommentierung der Originale macht archithese reader zu einem empfehlenswerten Buch für alle, die normalerweise eben keine große Freude an architekturhistorischen Texten haben.

Zu entdecken gibt es einiges: Rem Koolhaas trug einen Aufsatz über die Radio City Hall bei, der später zu einem Kapitel in Delirious New York wurde. Franziska Bollerey und Kristiana Hartmann stellten kollektive Wohnformen der frühen utopischen Sozialisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. Praful C. Patel, Jeff und Reena Racki diskutierten Wohnbausysteme in Nairobi. Und natürlich dürfen auch Charles Jencks und Denise Scott Brown, die Italiener Manfredo Tafuri, Giorgio Grassi und Aldo Rossi und der französische Theoretiker Henri Lefèbvre nicht fehlen.

Ein besonders faszinierendes Dokument ist der Text „Drei Warnungen vor einer mystischen Wiedergeburt des Urbanismus“ von Superstudio, in dem die italienische Gruppe dystopische Stadtvisionen – die sie aus der radikalen Übersteigerung modernistscher Planungsparadigmen entwickelten – zur virtuellen Abstimmung stellen.

Am Ende klären sie mit Blick auf die Verwerfungen der Moderne in sprachgewaltigem Tonfall auf: „Die Offenbarung kann das Resultat des Schreckens sein, den wir über uns selbst und unsere Umgebung empfinden. Dann aber, gehen Sie hin und suchen Sie den Alten des Berges und seien Sie seine Söhne. Verbringen Sie die Zeit damit, die Haare seines weißen Bartes zu liebkosen, und kommen Sie, neugeboren, zurück, die Haschischpille unter der Zunge, das Messer zwischen Ihrer Weste und Ihrer Brust, um die Geister, die Gespenster, die Monstren und die Dämonen, welche die Erde verpesten, zu tilgen. Und dann, von Wasser und Weihrauch gereinigt, können Sie die Fundamente der neuen Stadt mit ihren Weißen Mauern vorbereiten.“ Noch Fragen?

Es macht intellektuellen Spaß und nachdenklich zugleich, Dokumente wie diese (wieder) zu entdecken. Es ist vor allem eine Annäherung an das komplexe Themenfeld der architektonischen Postmoderne jenseits omnipräsenter Bild- und Formfragen.

Text: Gregor Harbusch

archithese reader. Critical Positions in Search of Postmodernity, 1971–1976

Gabrielle Schaad und Torsten Lange (Hg.)
Gestaltung: Eliot Gisel und common-interest
Englisch
528 Seiten
Triest Verlag, Zürich 2024
ISBN 978-3-03863-059-3
68 Euro


Zum Thema:

Am Dienstag, 26. März 2024 um 18.30 Uhr stellen die Herausgeber*innen ihr Buch in der Zürcher Buchhandlung Never Stop Reading (Spiegelgasse 18, 8001 Zürich) vor. Gäste sind Irina Davidovici, Marie Theres Stauffer und Andrea Wiegelmann sowie archithese-Mitbegründer Stanislaus von Moos.

Mehr über Architekturzeitschriften gibt es im #BookChat: Zeitschriften und Archive bei baunetz CAMPUS


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Übersicht aller Hefte aus den Jahren 1971–76. Nach dem ersten Jahrgang wurden die Hefte neu und kontinuierlich durchgezählt.

Übersicht aller Hefte aus den Jahren 1971–76. Nach dem ersten Jahrgang wurden die Hefte neu und kontinuierlich durchgezählt.

Buchcover

Buchcover

Doppelseite aus Charles Jencks’ Aufsatz „Heutige Architektur und Zeitgeist“ (archithese 2, 1971)

Doppelseite aus Charles Jencks’ Aufsatz „Heutige Architektur und Zeitgeist“ (archithese 2, 1971)

Auftaktseiten zu Superstudios Beitrag „Drei Warnungen vor einer mystischen Wiedergeburt des Urbanismus“ (archithese 1, 1972)

Auftaktseiten zu Superstudios Beitrag „Drei Warnungen vor einer mystischen Wiedergeburt des Urbanismus“ (archithese 1, 1972)

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