10.10.2016

Reporting from Chile 2/3

Aravenas Vorgänger

Reporting from Chile: Zwei Wochen lang berichten sechzehn Architektur-Studenten der TU Dortmund (Professoren Ansgar und Benedikt Schulz) von ihrer Reise durch den Norden Chiles. Ihre Eindrücke verarbeiten die angehenden Architekten direkt und live im BauNetz. Franziska Wiegand begleitet diese Exkursion als Redakteurin.


Im Frühjahr dieses Jahres wurde Alejandro Aravena für sein Engagement im sozialen Wohnungsbau mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. Der erste Pionier in diesem Metier ist Aravena jedoch nicht, kann er sich doch auf eine lange Tradition chilenischer Sozialbau-Kultur beziehen.

Ende der 50er Jahre zwang das enorme Wachstum der nordchilenischen Hafenstadt Antofagasta die Planungsbehörden, einen neuen Mittelweg zwischen gehobenem Wohnungsbau der Oberschicht und den unkontrolliert wuchernden Slums einzuschlagen. 1959 konnte sich der Architekt Mario Pérez de Arce aus Santiago in einem Wettbewerb mit seinem Entwurf für die soziale Wohnbau-Siedlung Salar del Carmen durchsetzen. Eine eigene moderne Architektursprache und die großzügige Aufteilung der Wohneinheiten sorgten für große Aufmerksamkeit der internationalen Architekturkritiker.

Jedes der knapp 900 Reihenhäuser verfügte über einen eigenen zentralen Innenhof, um den sich die Hauptfunktionen orientierten. Durch eine Kombination aneinander angeglichener Typologien, die zueinander am Hang versetzt waren, schuf Pérez de Arce ein einheitliches, aber dennoch abwechslungsreiches Ensemble. Diese Wirkung verstärkte er durch das Spiel mit weißen Fassaden und bunten Öffnungselementen.

Die determinierte kubistische Anfangsästhetik war jedoch nicht nachhaltig. Die Bewohner konnten sich mit der reduzierten Architektur nicht identifizieren, schnell war die Siedlung als „Weißer Friedhof“ verschrien. Anders als in Europa üblich, gehen geförderte Wohnbau-Projekte in Chile nach Fertigstellung meist in den Besitz der Bewohner über. Dies birgt stets die Gefahr, dass die Eigentümer das Erscheinungsbild in kürzester Zeit radikal verändern. Wie viel Einfluss der Bewohner also verträgt Architektur?

Wenig erinnert heute an die ursprüngliche Gestalt der Siedlung. Nur mit Mühe lässt sich die gefeierte 60er-Jahre-Architektur in den umliegenden Favela-ähnlichen Strukturen ausmachen. Zugemauerte oder vergrößerte Fenster, parasitäre An- und Aufbauten, halbfertige Umbaumaßnahmen und Begradigungen des einst durchdachten Wegesystems prägen das heutige Erscheinungsbild.

Der Kontext rückt auch die viel gelobten Projekte von elemental in ein anderes Licht. Aravena scheint den Prozess des Weiterbauens zu einer eigenen Ästhetik erheben zu wollen. Ob das Konzept des halbfertigen Rohbaus und des Selbstausbaus der Bewohner tatsächlich zu einer nachhaltigen städtebaulichen Qualität führen kann, oder gar auf europäische Städte übertragbar wäre, bleibt offen.

Text: Fiona Bielitz und Jan Wähning
Fotos: Carsten Pesch, Thilo Rohländer, Fabio Mata, Jan Wähning




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