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15.09.2021

Buchtipp: Dem Grauen gedenken

Architecture and Remembrance


Die jüngsten Anstrengungen, den längst hochbetagten Mittäter*innen des Holocaust den Prozess zu machen, lassen deutlich werden, dass kaum noch Zeit bleibt, die Opfer anzuhören und die Beteiligten zu befragen. Damit ist abzusehen, dass sich auch das Gedenken an Shoah und dem Zweiten Weltkrieg in den kommenden Jahren verändern wird. Und dass die Bedeutung von Gedenkstätten, Mahnmalen und Museen folglich nicht länger darin liegen könne, kollektiven Erinnerungen Ausdruck zu geben, schreibt Jacques Prins in seinem zweisprachigen, auf Niederländisch und Englisch publizierten Atlas Architecture and Remembrance. European Memorials of the Post-War Period. Fortan komme diesen Memorialarchitekturen vielmehr die Aufgabe zu, durch die Vergangenheit einen neuen Blick auf die Gegenwart zu eröffnen.

Als Partner des Architekturbüros Inbo – nach dessen Plänen zunächst ein Besucher*innen- und dann ein Informationszentrum auf dem Gelände des einstigen Durchgangslagers in Amersfoort entstand – hat sich Prins dem Thema als Praktiker genähert. Das niederländische Projekt ist unter den 42 Fallbeispielen zu finden, die von dem bereits 1944 begonnenen Mausoleum in den Ardeatinischen Höhlen im Süden Roms bis zur Gedenkstätte im ukrainischen Babyn Jar reicht, die 2023 fertiggestellt werden soll. Es sind die Opfer des Nationalsozialismus, denen der ganz überwiegende Teil dieser Memorialarchitekturen gewidmet ist.

Gemäß der Entscheidung, die Projekte allein alphabetisch nach ihren Standorten zu sortieren, stellt auch Prins’ einleitender Essay vor allem eine Bestandsaufnahme dar. Indem er weitgehend auf Urteile verzichtet, um stattdessen vergangene wie gegenwärtige Tendenzen der Memorialarchitektur vorzustellen, führt er etwa das Bestreben an, stimmungsstarke Erinnerungsorte zu schaffen, die es den Besucher*innen ermöglichen sollen, aus der Alltagswelt herauszutreten, um sich ganz auf das Gedenken einzulassen. Auch die Anlage in Amersfoort folgt dieser Konzeption. Die Zurückhaltung des Autors kann mitunter irritierend wirken, etwa wenn Prins bar eines jeden Kommentars die Entstehung eines pluralistischeren Gedenkens anführt, in der die Unterscheidung zwischen Opfern und Täter*innen zugunsten einer Auseinandersetzung mit „universal themes of good and evil“ in den Hintergrund trete.

Wenn man dem Autor gleichwohl nicht vorwerfen kann, dass er es sich zu einfach gemacht habe, liegt das auch an der Entscheidung, den Erinnerungsraum im bosnischen Srebrenica in den Katalog aufzunehmen. Der Ermordung tausender Bosniaken durch die Armee der Republika Srpska im Sommer 1995 wird seit einigen Jahren in einer aufgelassenen Batteriefabrik gedacht. Unmittelbar an das einstige Hauptquartier der niederländischen Blauhelm-Soldaten grenzend, die das Massaker nicht verhindern konnten, steht die Stätte im direkten Gegensatz zum Konzept des auf sich selbst bezogenen Gedenkortes. Statt den Alltag auszuschließen, bleibt die Architektur der Fertigungsanlage in Srebrenica jederzeit erlebbar.  

So kann die bosnische Gedenkstätte den Besucher*innen vor Augen führen, dass Gewalttaten und sogar Völkermorde keineswegs einer anderen Sphäre angehören, sondern im Hier und Jetzt stattfinden. Indem sie es gestattet, durch eine grausame Vergangenheit in die profanen Räumlichkeiten der Fabrik und wieder zurück zu blicken, ist es die Architektur, die bar jeder plumpen Didaktik dabei helfen kann, unmissverständliche Lehren aus der Geschichte zu ziehen.

Text: Achim Reese

Architecture and Remembrance. European Memorials of the Post-War Period / Architectuur en herinnering. Naoorlogse Europese herdenkingsplekken
Jacques Prins
248 Seiten
Niederländisch/Englisch
nai010 uitgevers/publishers, Rotterdam 2020
ISBN 978-94-6208-596-1
49,95 Euro


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