RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Erweiterung_und_Umbau_des_Deutschen_Meeresmuseums_in_Stralsund_von_Reichel_Schlaier_Architekten_10058935.html

23.10.2025

Angenehm unaufgeregt

Erweiterung und Umbau des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund von Reichel Schlaier Architekten


Das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund ist eine Institution an der Ostsee – und ein sehr spezielles Ausstellungshaus. Denn seit seiner Gründung 1951 residiert es in einer mittelalterlichen Klosteranlage im Herzen der Altstadt. Von Kindern und Erwachsenen wird es gleichermaßen geliebt für die große Ausstellung im Kirchenschiff und die Aquarien in den gotischen Kellergewölben. Nach dem behutsamen Umbau durch Reichel Schlaier werden sich auch viele Architekt*innen in das Haus verlieben. Denn es zeigt beispielhaft, was mit Augenmaß und Respekt vor dem Bestand aus Mittelalter, 19. Jahrhundert, DDR und Nachwendezeit möglich ist.

Von Gregor Harbusch

Vier Standorte bespielt das Deutsche Meeresmuseum mittlerweile, doch das Stammhaus im Herzen der Stralsunder Altstadt ist in seiner historischen Vielschichtigkeit einmalig. 1951 als städtisches Naturkundemuseum im ehemaligen Katharinenkloster gegründet, prägt vor allem der Umbau aus den Jahren 1972–74 den Charakter des Hauses. Damals wurden zwei Ebenen in das gewaltige gotische Kirchenschiff eingezogen, um Platz für die Neuausrichtung der Institution unter dem Namen Meeresmuseum zu schaffen. Die Planer*innen griffen auf das Raumfachwerksystem Mero aus Westdeutschland zurück. Dabei entstand ein eigenwilliger Raum, der heute etwas drückend-intim erscheinen mag, aber in seiner konstruktiven Prägnanz eine einmalige Symbiose mit dem jahrhundertalten Sakralraum eingeht und deswegen völlig zurecht unter Denkmalschutz steht.

Seit der Wende entwickelt sich das Meeresmuseum kontinuierlich weiter und ist nicht nur ein Besuchermagnet, sondern auch eine international wichtige Forschungseinrichtung. Mit dem Ozeaneum von Behnisch Architekten (2002–08) sorgte die Institution in den Nachwendejahren für neue Sichtbarkeit und eine zeitgenössische Attraktion. Diese strahlt weit über die Mauern der Altstadt hinaus, die zusammen mit Wismar seit 2002 Unesco-Welterbe ist.

Auch das Katharinenkloster, in dem das Stammhaus des Meeresmuseums sitzt, zählt zum Weltkulturerbe. Dementsprechend sorgsam mussten die Sanierung des Bestandes und seine gezielte Erweiterung angegangen werden. 2017 wurde deshalb ein hochkarätig besetzter, geladener Wettbewerb ausgelobt, den Reichel Schlaier Architekten (Stuttgart) für sich entscheiden konnten. Der Gewinn sei eine riesige Überraschung gewesen, betont Elke Reichel beim Rundgang vor Ort, bedeutete es für sie und ihren Büropartner Peter Schlaier doch eine Rückkehr in die Hansestadt. Denn die beiden hatten bei Behnisch den Bau des Ozeaneums verantwortet – und sich wenig später selbständig gemacht.

Neuer Westhof und altes Kirchenschiff

So auffällig das Ozeaneum am Hafen sich in Szene setzt, so zurückhaltend zeigt sich das neue Stammhaus im Katharinenkloster. Aufgabe war es, den Bestand zu ertüchtigen, Wegeführung und Barrierefreiheit in dem verschachtelten Ensemble zu verbessern und ein neues Großaquarium zu errichten. 

Reichel Schlaier organisierten den Eingangsbereich neu, indem sie eine ehemalige Turnhalle aus dem 19. Jahrhundert als „Forum“ zum großzügigen Eingangs-, Kassen- und Garderobenbereich umgestalteten. Von hier aus gelangt man in den vollständig überbauten, kleinen Westhof, dem nun als zentraler Erschließungsraum eine wichtige Funktion zukommt. Die Architekt*innen arbeiteten an dieser Stelle mit einer weiß lackierten Stahlkonstruktion, die elegant vor den Bestand aus Backstein gesetzt wurde und durch Oberlichter den Blick zum Hauptportal der Kirche öffnet. Ein sanft geneigter Boden aus alten Granitsteinen, die das Museum jahrzehntelang eingelagert hatte, vermittelt zwischen den unterschiedlichen, historisch bedingten Niveaus und lädt dazu ein, das hohe Kirchenschiff zu betreten.

Im Kirchenschiff braucht es mehr als einen zweiten Blick, um zu erkennen, wie und wo die Architekt*innen den Bestand aus den 1970er Jahren auf Basis des Mero-Systems subtil verändert haben. Der alte Bodenbelag blieb erhalten. Das Mero-Fachwerk wurde in erster Linie grundgereinigt, auf der obersten Ebene aber in einzelnen Bereichen gezielt ein Stück zurückgebaut, so dass ganz selbstverständlich eine Klärung des Raumgefüges und neue Durchblicke entstanden, die das Kirchenschiff in seiner Größe besser erlebbar machen. 

Die ursprünglichen Brüstungen mit Drahtglasscheiben wurden (bis auf eine Stelle) ersetzt, da sie heutigen Sicherheitsanforderungen nicht mehr genügten. Die dunklen U-Profile aus Stahl und das Klarglas der neuen, höheren Brüstungen fügen sich geradezu perfekt ein, sorgen für mehr Transparenz und sind in ihrer unaufgeregten Materialisierung eine respektvolle Reminiszenz an die späte Moderne. Viel diskutiert wurde über den Boden im Chor, der zwei Stufen über dem Bodenniveau des Hauptschiffs lag. Er wurde schließlich rückgebaut. Dabei kamen Fundamente eines Vorgängerbaus zum Vorschein, die vor 1282 zu datieren sind und damit als ältestes bauliches Zeugnis der Stadt gelten dürfen.

Karibische Korallen und Riesenschildköten

Vom Kirchenschiff führt der Rundgang durch den sogenannten Haselbergbau und anschließend über einen Brückenbau zum neuen Großaquarium. Es zeigt sich innen architektonisch unspektakulär. Im Vordergrund steht das Erlebnis des riesigen Aquariums mit karibischen Fischen und Korallen, das sich beim Hinabsteigen vom zweiten Obergeschoss ins Untergeschoss den Blicken der Besucher*innen darbietet. 

Durch einen kurzen Stichflur gelangt man zurück in die historischen Kellergewölbe, in denen traditionell die kleineren Aquarien des Meeresmuseums zu finden sind. Hier überrascht ein besonderes Stück baugebundener Kunst aus der späten DDR: Leni Schamals Keramikarbeit „Schau in die Welt“ aus dem Jahr 1984 zeigt eine Vielzahl an Gesichtern, die mit schelmisch schrägem Lächeln über eine Mauer zu spähen scheinen.

Im sogenannten Schildkrötenbecken geht es wieder nach oben. Es handelt sich hierbei um ein Haus aus den 1990er Jahren, das im Zuge der aktuellen Sanierung etwas erweitert und enger an den Bestand angebunden wurde sowie eine neue Hülle bekam. Von hier aus geht es schließlich zurück in den Westhof, womit der Rundgang abgeschlossen ist.

Alle Neubauteile erhielten außen eine Hülle aus Kupferblechen mit handwerklichen Leistendeckungen. So bleiben die weitgehend fensterlosen Ergänzungen zwischen den historischen Backsteinbauten klar ablesbar, suchen über Materialität und Farbigkeit aber doch den Anschluss an die Bautradition der Hansestadt.

Vorbildlicher Einsatz

Auf Seiten der Bauherrschaft spielte Direktor Andreas Tanschus – gebürtiger Stralsunder und seit 1991 in verschiedenen Positionen am Museum – eine maßgebliche Rolle. Sowohl das Ozeaneum als auch das nun eröffnete Projekt würde es ohne seinen unermüdlichen Einsatz für Kultur, Wissenschaft und Architektur nicht geben, erklärt Reichel. Anspruch und Kooperationsbereitschaft der Mitarbeiter*innen im Haus seien hoch. Alle hätten an einem Strang gezogen, um trotz überschauberer Mittel ein qualitatives Projekt durchzuführen. 

Die Baukosten liegen bei circa 51 Millionen Euro brutto (Kostengruppen 200–700), die Bruttogrundfläche bei 10.500 Quadratmetern. Reichel Schlaier verantworteten die Leistungsphasen 1–5. Anschließend übernahmen mo Architekten Ingenieure aus Hamburg. Die Ausstellungsgestaltung stammt vom Büro Die Werft aus München. Kaup + Wiegand aus Berlin berieten bei Bestand und Denkmalschutz. Die Wiedereröffnung des ertüchtigten Hauses erfolgte schrittweise seit 2024. Am 29. September 2025 konnte schließlich der Abschluss des Gesamtvorhabens gefeiert werden. 

Allen Verantwortlichen in Politik und Verwaltungen sei ein Ausflug ins Meeresmuseum dringend empfohlen. Denn es zeigt beispielhaft, dass mit gutem Wille, Augenmaß und klugem Pragmatismus ein hervorragendes Ergebnis entstehen kann. Dafür braucht es freilich etwas Mut, sich von einem falsch verstandenen Perfektionismus zu verabschieden und kreativ mit dem Vorhandenen zu arbeiten.

Fotos: Brigida González


Dieses Objekt & Umgebung auf BauNetz-Maps anzeigen:
BauNetz-Maps


Zu den Baunetz Architekt*innen:

REICHEL SCHLAIER ARCHITEKTEN


Kommentare:
Kommentare (6) lesen / Meldung kommentieren

Reichel Schlaier ergänzten den Bestand des Meeresmuseums in Stralsund mit drei neuen Baukörpern, die außen eine Hülle aus Kupferblechen mit handwerklichen Leistendeckungen erhielten.

Reichel Schlaier ergänzten den Bestand des Meeresmuseums in Stralsund mit drei neuen Baukörpern, die außen eine Hülle aus Kupferblechen mit handwerklichen Leistendeckungen erhielten.

Der ehemalige Westhof der Klosteranlage wurde überbaut und dient nun als zentraler Erschließungsraum. Die Architekt*innen arbeiteten mit einer weiß lackierten Stahlkonstruktion, die elegant vor den Bestand aus Backstein gesetzt wurde.

Der ehemalige Westhof der Klosteranlage wurde überbaut und dient nun als zentraler Erschließungsraum. Die Architekt*innen arbeiteten mit einer weiß lackierten Stahlkonstruktion, die elegant vor den Bestand aus Backstein gesetzt wurde.

1972–74 wurden zwei Ebenen in das gotische Kirchenschiff des ehemaligen Klosters eingezogen. Die Planer*innen griffen dafür auf das Raumfachwerksystem Mero aus Westdeutschland zurück.

1972–74 wurden zwei Ebenen in das gotische Kirchenschiff des ehemaligen Klosters eingezogen. Die Planer*innen griffen dafür auf das Raumfachwerksystem Mero aus Westdeutschland zurück.

Das Große Aquarium ist der umfangreichste Neubauteil des nun abgeschlossenen Projekts. Hinter der über 50 (!) Zentimeter dicken Scheibe aus Acrylglas werden Fische und Korallen aus der Karibik gezeigt.

Das Große Aquarium ist der umfangreichste Neubauteil des nun abgeschlossenen Projekts. Hinter der über 50 (!) Zentimeter dicken Scheibe aus Acrylglas werden Fische und Korallen aus der Karibik gezeigt.

Bildergalerie ansehen: 39 Bilder

Alle Meldungen

<

24.10.2025

Ressource Erdgeschoss

Symposium und Ausstellung in Cottbus

23.10.2025

Aufgestockt an der Schinkel

Bürobau in Amsterdam von Office Winhov

>
baunetz interior|design
Bio-Bau am Seeufer 
BauNetz Wissen
Verborgen und doch offen
baunetz interior|design
Bio-Bau am Seeufer 
Baunetz Architekt*innen
LH Architekten
vgwort