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https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen_Spekulation_auf_Londoner_Friedhof_613936.html

15.08.2008

Wenn Marx das wüsste...

Spekulation auf Londoner Friedhof


In den neogotischen Friedhof in Highgate Village, London, sollen bald die Lebenden einziehen. Dort, wo seit 1839 literarische und politische Figuren von George Eliot bis hin zum Ex-Spion Alexander Litvinenko ihre letzte Ruhestätte fanden, befindet sich jetzt eine ruhige Stätte der ganz anderen Art: ein neues Wohnhaus aus Glas und Beton, mit Blick auf die Grabsteine. Der Eigentümer verlangt schlappe 5,95 Millionen britische Pfund für diese Erlebnis-Architektur der speziellen Art.

1998 hatte er hier ein zweigeschossiges Wohnhaus aus den 1970er Jahren für 520.000 Pfund gekauft. Das Grundstück wurde zunächst vom Gestrüpp befreit. Dann wurde das Haus mit seiner blauen Aluminiumverkleidung durch den jetzigen Neubau ersetzt, den die Londoner Architekten Eldridge Smerin 2002 entworfen hatten.

Das neue Haus hat vier Geschosse, viele Balkone und ein Glasschiebedach. Zum Friedhof hin weitgehend verglast, da dort kaum mit spähenden Nachbarn zu rechnen ist, zeigt sich das Domizil zur Straße hin in einem Kleid aus Granit, Glas und schwarzem Edelstahl zugeknöpfter.


Nun steht es zum Verkauf. Der Eigentümer, ein Surveyor, spekuliert auf einen hohen Preis, da er ein Entwicklungsdarlehen zurückzahlen muss.

Zeitgenössische Entwürfe bevorzugt der Camden Council schon länger in der Conservation Area des bürgerlichen Highgate Village. Und so ist die Spekulation mit Architektur der Moderne, die einmal unter ganz anderen gesellschaftlichen Prämissen entstand, hier gang und gäbe. Auf der North Road befindet sich z. B. das berühmte Highpoint-Projekt von Berthold Lubetkin aus dem Jahr 1935 – das Ideal des kompakten, voll ausgestatteten Kollektiv-Appartementhauses. Die siebengeschossigen Türme in Kreuzform stehen meistbietend als Designobjekt zum Verkauf.


Eine im Stil von Rennie Mackintosh gebaute Wohnung auf dem North Grove wird für zwei Millionen Pfund feilgeboten; ein Nebengebäude aus den 1930er Jahren mit sechs Schlafzimmern soll 3,35 Millionen Pfund kosten. Zum Preisvergleich: Eine Wohnung mit drei Schlafzimmern kostet heute in Highgate Village  durchschnittlich 634.000 Pfund, während der Durchschnittspreis im Vereinigten Königreich bei nur etwa 196.000 Pfund liegt.

Es ist schon eine Ironie der Geschichte, wenn man bedenkt, dass 1883 ausgerechnet Karl Marx als berühmtester „Bewohner“ in den Highgate Cemetery „einzog“ – in dessen Mauern nun das von Eldridge Smerin neu entworfene Spekulationsobjekt zum Verkauf steht. Marx sagt im kommunistischen Manifest: „Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums“. Sicherlich würde sich Marx, der „Genius Loci“, im Grabe umdrehen, sähe er, wie Spekulanten Anfang des 21. Jahrhunderts selbst vor Friedhofsmauern nicht haltmachen.


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Bürgerlich wohnen mit Blick auf Marx

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Straßenansicht (Rendering der Architekten)

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Highpoint (Lubetkin, 1935)

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