Die Zeitschrift dérive existiert genauso lang wie das 21. Jahrhundert – 25 Jahre. Diesem Anlass widmet der gleichnamige Verein nicht nur sein traditionell im Oktober anstehendes Festival urbanize!, sondern mit den Heften 100 und 101 auch eine doppelte Jubiläumsausgabe. Darin blickt die Zeitschrift für Stadtforschung nicht etwa sentimental auf das eigene Wirken zurück. Vielmehr hat sie sich ein Thema vorgenommen, das passender, aber auch größer nicht sein könnte: die Zeit.
Natürlich hat sich so einiges verändert, seit das Gen-Z-Kind dérive vor einem Vierteljahrhundert seine erste Ausgabe publizierte. Damals war das Internet noch ein Minderheitenprogramm, ordnet Mitgründer Christoph Laimer die Anfänge der Zeitschrift ein. Tatsächlich nutzten es im Jahr 2000 nur knapp 29 Prozent aller Deutschen regelmäßig. Da sich Internet und mobile Kommunikation – entgegen berühmter Prognosen – aber durchsetzten, habe sich vor allem die Taktzahl in der Debattenkultur erhöht.
Nicht ganz so viel verändert hat sich allerdings, was Idee und Struktur der Zeitschrift selbst angehen, deren Name sich vom Konzept des ungeplanten, situationistischen Umherschweifens durch urbane Räume ableitet. Mit Ausnahme des Debütjahres erscheint sie vierteljährlich, stets gefüllt mit jeweils ein bis zwei Schwerpunkten und angereichert um Rezensionen, Interviews und Kunstinserts.
Völlig zu Recht ist der Verein dérive stolz darauf, dass er die Zeitschrift von Beginn an im Eigenverlag und „ohne irgendeine Institution im Rücken“ herausgegeben hat, wie Laimer schreibt. Konstanz herrscht in diesem Sinne auch im Team von dérive. Laimer ist bis heute Chefredakteur. Die Ausgabe 1 (Themen damals: Gürtelsanierung und institutionalisierter Rassismus) hob er gemeinsam mit seinem Bruder Axel Laimer sowie Erik Meinharter aus der Taufe. Letzter gehört ebenfalls nach wie vor zur Redaktion. Seit 2010 veranstaltet der Verein dérive das urbanize-Festival, seit 2011 produziert er zudem ein Radio- und Podcastformat.
Wer das gesamte 21. Jahrhundert publizistisch begleitet hat, den fragt man selbstverständlich nach einer Einschätzung: Was also hat sich in den letzten 25 Jahren mit Blick auf die Zeit als Konzept, Idee und Faktor in Planung wie Stadtforschung verändert?
Klimakrise, Pandemie, Mobilitätsfrage, Städtewachstum – all das habe dazu geführt, dass die Stadtplanung schneller reagieren muss, so Laimer. Entsprechend seien mehr Ad-hoc-, Pop-up- und Tacital-Urbanism-Ansätze aufgekommen. Dabei stellt sich die Frage nach den Machtverhältnissen und der Hoheit über Planungsaufgaben, wie etwa Andre Krammer – ebenfalls schon lange dabei – in seinem lesenswerten Beitrag darlegt. Konjunkturzyklen und die Dauer der Refinanzierung, erklärt Laimer weiter, würden am Immobilienmarkt eine größere Rolle spielen, was wiederum Einfluss auf die Chancen für das Bauen mit Bestand nimmt.
Insofern ist die Flughöhe für die übrigen Inhalte der Ausgaben gesetzt. Um nur einige zu nennen: das Zeitproblem für die Repräsentation der Landschaftsarchitektur; Auswirkungen unserer beschleunigten Alltagszyklen auf Wasser- und Bodenverbrauch; obsolete Nutzungen als Chance für neue und gerechtere Raumverteilung (erwähnt sei hierzu auch die BauNetz WOCHE #668).
„Produktive Verunsicherung und utopischer Überschuss!“, so schließt Laimer sein Editorial zur Jubiläumsausgabe Nr. 100. Mit diesen Worten ist man sicher auch bestens gerüstet für das urbanize-Festival. Es läuft vom 14. bis 19. Oktober 2025 an verschiedenen Orten in Wien, eröffnet wird es in der Postsparkasse von Otto Wagner. Hier soll es dann auch die ein oder andere Anekdote aus 25 Jahren dérive geben. Als nur unwesentlich älteres Architekturmedium wünscht BauNetz alles Gute.
Text: Maximilian Hinz
dérive – Zeitschrift für Stadtforschung
N° 100 (Jul – Sept 2025) und N° 101 (Okt – Dez 2025)
Herausgegeben von dérive – Verein für Stadtforschung
72 bzw. 64 Seiten
Deutsch und Englisch
Eigenverlag, Wien 2025
je 11 Euro
Zum Thema:
urbanize!-Festival
Eröffnung: Dienstag, 14. Oktober 2025, 19 Uhr
Termin: 14. bis 19. Oktober 2025
Ort: mehrere Orte in Wien
urbanize.at