RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Zum_oesterreichischen_Pavillon_in_den_Giardini_9917651.html

13.05.2025

Suche nach dem besseren Leben

Zum Österreichischen Pavillon in den Giardini


Die Biennale oszilliert zwischen architektonischen Selbstreflexionen, globalen Gesamtbetrachtungen und einem kleinteiligen Basar spekulativer technischer Ideen. Der Österreichische Pavillon verfolgt unter dem Titel „Agency for Better Living“ einen konzeptionelleren Ansatz. Vor dem Hintergrund der Wohnungsfrage diskutieren die Kurator*innen zwei gegensätzliche Ansätze. Im Fokus stehen die Städte Wien und Rom zwischen Top-Down und Bottom-Up. Lassen sich beide Prinzipien miteinander verbinden?

Von Stephan Becker

Die Stadt Wien gilt vielen Expert*innen als das Erfolgsmodell des sozialen Wohnungsbaus. Doch auch dort spürt man längst die kleineren und größeren Krisen der Gegenwart. Viele können sich das Leben in der Stadt nicht mehr leisten, gleichzeitig werden immer mehr Menschen an den Rand gedrängt. Und dabei sind die Folgen des Klimawandels, der Städte in Hitzeinseln verwandelt, noch nicht einmal eingerechnet.

Trotzdem ist die Ausgangslage einer Stadt wie Wien hinsichtlich der Bewältigung solcher Krisen alles andere als schlecht. Die Stadt hat schließlich eine lange Tradition des kommunalen Wohnungsbaus, mit dessen Hilfe sich viele negative Entwicklungen erfolgreich abfedern lassen. Rund 200.000 Wohnungen sind in Gemeindebesitz, weitere 220.000 Wohnungen wurden im Rahmen von Förderprogrammen errichtet. Sabine Pollak und Michael Obrist lassen in ihrem Teil der Ausstellung die Klassiker dieser Entwicklung Revue passieren. Warum eigentlich nicht das Wiener System zum europaweiten Vorbild machen, möchte man da fragen?

Es ist das altbekannte Dilemma, das Top-Down-Planungsprozesse mit sich bringen. Daseinsfürsorge, ja – aber zu welchem Preis, wenn dabei individuelle Lebensentwürfe keinen Raum mehr haben? Wenn die soziale Identifikation mit dem eigenen Lebensumfeld darunter leidet und unabhängige zivilgesellschaftliche Initiativen von staatlichen Institutionen nicht als Ergänzung, sondern als Bedrohung wahrgenommen werden? Man darf vermuten, dass Wiener Akteur*innen noch einige weitere Kritikpunkte aus der täglichen Planungspraxis beisteuern könnten.

Spiel mit den Gegensätzen

Wie tiefgreifend die Problematik solcher Entwicklungen tatsächlich ist, wird im Ausstellungsteil zu Wien jedoch schwer greifbar. Klar wird allerdings, dass sich Rom – ausgehend vom Scheitern durchaus ähnlicher Top-Down-Ansätze der Nachkriegszeit – organisatorisch in eine vollkommen andere Richtung entwickelt hat. Ein Team um die Forscher*innen Giulia Fiocca und Lorenzo Romito dokumentiert im zweiten Ausstellungsteil die zahlreichen kreativen zivilgesellschaftlichen Organisationsformen, die sich aus dem Scheitern staatlicher Bemühungen entwickelten. Rom sei eine Stadt der Ruinen, in der hart erkämpfte Bottom-up-Prozesse informelle Lebensweisen hervorgebracht hätten. In einem Text des ARCH+-Hefts, das den österreichischen Beitrag begleitet, wird die römische Gegenwart sogar in langfristige historische Traditionslinien eingeordnet.

Dass sowohl das Wiener Sicherheitsstreben wie auch die inhärente Spontanität des römischen Prinzips als defizitär erfahren werden, bringt die Kurator*innen zur zentralen Idee ihrer Agency: „Überlagert man beide Prozesse, könnte die Utopie eines zukünftigen Zusammenlebens mit einer klugen Strategie für ungewöhnliche, inklusive, leistbare und klimafreundliche Formen des Zusammenlebens in einer offenen Gesellschaft entstehen“, schreiben sie. Durchaus eine interessante Hypothese, über die es sich nachzudenken lohnt.

Diskutieren unter Klimagewinnern

In gestalterischer Hinsicht nutzen die Ausstellungsmacher*innen kongenial die Symmetrie des Pavillons, den Josef Hoffmann 1934 errichtet hat. Man geht zunächst zwischen frisch verschlossenen Wänden durch das Gebäude hindurch und steht dann vor der Wahl: Nach links zur „Caring City“ Wien oder in die gegensätzliche Richtung nach Rom, wo urbane Praxis traditionell von unten mitgestaltet wird. Zwei Filme arbeiten die Grundlinien der konträren Perspektiven heraus. Etwas konventionell werden in den beiden Flügeln mit Text und Bild verschiedene historische Entwicklungen und Fallstudien diskutiert. Kenner*innen der beiden Städte dürfte vieles davon bekannt sein. Aber es gibt auch neue Highlights wie eine Fotoserie von Zara Pfeifer zu den selbstorganisierten Freizeiträumen in den Terrassenhochhäusern von Alterlaa.

Im Sinne einer möglichen Synthese beider Ansätze muss der Österreichische Beitrag aber zunächst noch ein Versprechen bleiben. Zumindest diskursiv wird sich dieses über den Sommer hinweg jedoch hoffentlich einlösen lassen. Im Sinne der Architektur des Pavillons bietet der Garten hierfür einen passenden Ort. Dort wurden Sitzmöglichkeiten errichtet, die gestalterisch das nierenförmige Bassin zitieren, das hier für ein paar Jahre lang existierte. Einige sogenannte Klimagewinner – Pflanzen, die mit den künftigen höheren Temperaturen gut klarkommen – sorgen für lichten Schatten.

Es ist dieser fragile Ort der Zusammenkunft, an dem in den nächsten Monaten Besucher*innen und Expert*innen im Rahmen eines dicht gepackten Programms diskutieren werden, wie sich die Erkenntnisse aus Wien und Rom zusammenbringen lassen.

Fotos: Hertha Hurnaus


Zum Thema:

www.labiennale2025.at

Alle Beiträge zur Biennale finden sich auf unserer von der Firma Godelmann unterstützen Sonderseite.


Dieses Objekt & Umgebung auf BauNetz-Maps anzeigen:
BauNetz-Maps


Kommentare:
Kommentare (2) lesen / Meldung kommentieren

Von außen praktisch unverändert, im Inneren deutlich modifiziert: Der Österreichische Pavillon der diesjährigen Architekturbiennale.

Von außen praktisch unverändert, im Inneren deutlich modifiziert: Der Österreichische Pavillon der diesjährigen Architekturbiennale.

Zu sehen ist das Projekt „Agency For Better Living“ der Kurator*innen Sabine Pollak, Michael Obrist und Lorenzo Romito. Der Weg in die beiden Flügel des Gebäudes führt nun über den Garten.

Zu sehen ist das Projekt „Agency For Better Living“ der Kurator*innen Sabine Pollak, Michael Obrist und Lorenzo Romito. Der Weg in die beiden Flügel des Gebäudes führt nun über den Garten.

Im Fokus stehen die beiden Städte Wien und Rom und deren unterschiedliche Herangehensweisen an die Wohnungsfrage. Im Hof sollen über den Sommer hinweg verschiedene Strategien diskutiert werden.

Im Fokus stehen die beiden Städte Wien und Rom und deren unterschiedliche Herangehensweisen an die Wohnungsfrage. Im Hof sollen über den Sommer hinweg verschiedene Strategien diskutiert werden.

Anhand des Wiener Wohungsbaus wird das Potenzial von Top-Down-Ansätzen untersucht.

Anhand des Wiener Wohungsbaus wird das Potenzial von Top-Down-Ansätzen untersucht.

Bildergalerie ansehen: 10 Bilder

Alle Meldungen

<

13.05.2025

Werkswohnen statt Pendeln

Quartier in Weilheim von Beer Bembé Dellinger

13.05.2025

Umnutzung verwaister Nachkriegskirchen

Erste Details zur Manifesta 16 Ruhr

>
baunetz CAMPUS
Campus Masters
BauNetz Wissen
Gegen das Vergessen
BauNetzwoche
Gendergerechtes Planen
Baunetz Architekt*innen
StudioVlayStreeruwitz
BauNetz Ausschreibungen
Ausschreibung der Woche
vgwort