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02.09.2025

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Berliner Bollwerk

Zum Tod von Hans Stimmann


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Von Nikolaus Bernau

Hans Stimmann, der am Freitag im Alter von 84 Jahren verstorbene, einstige Berliner Senatsbaudirektor, hatte Charisma. Eine kraftvoll ausschreitende Urnatur, kernig-weißer Schnauzbart à la Albert Schweitzer, knarrige Stimme, ruppiger Ton, auch mal ausfallend – und sicherlich wenig bemüht um irgendeine Art von sprachlich-politischer Korrektheit. Sie verdeckte oft, dass er durchaus sensibel und nahbar sein konnte. Sein öffentliches Bild war nämlich ein anderes: der Raubauz in der Senatsbauverwaltung.
 
Stimmann hatte unermesslich viele Gegner. Er wurde beschimpft als Diener kapitalistischer Investoren, herrisch-sozialistischer Planungsdiktator, nationalistischer Teutonist, kleinkarierter Berliner Bürokrat, Feind des Erbes der DDR und generell der Nachkriegsmoderne oder Gegner des ökologischen Stadtumbaus. Dass zu Stimmanns Zeiten vor allem in West-Berlin abgerissen wurde – geschenkt. Dass sogar im als DDR- und modernefeindlich massiv angegriffenen „Planwerk Innenstadt“ der Abriss des legendären Ahornblatts gar nicht vorgesehen war, sondern seine Umbauung mit Wohnhäusern – egal. Und auch der Abriss des Schimmelpfeng-Hauses geht nicht auf das Planwerk zurück. Immer wieder wurde behauptet, seinetwegen sei das Zusammenflicken des Berliner Stadtzentrums nicht gelungen. Dass es niemals eine vergleichbare Aufgabe gegeben hat – wen interessierte es.
 
Mehr Stars müssten her. Stimmann dagegen verachtete den internationalen „Architekturzirkus“ zutiefst. Jede Planung müsse auf den Ort abgestimmt sein, das war sein Credo. Als Rem Koolhaas mit der Bemerkung, Berlin sei provinziell, 1991 aus der Jury-Sitzung für den Wettbewerb um die Neugestaltung des Potsdamer Platzes stürmte, sah Stimmann das als Bestätigung seiner Position, dass sich die Stars eben nur für das Setzen von Marken interessierten. Die Stadt aber müsse ihr eigenes Gesicht, ihren Charakter wahren.

Als sein größter Erfolg in Berlin zählt, dass es der Stadt inmitten der neoliberalen Welle gelang, die selbstherrlichen Ansprüche der Investoren wenigstens zu zügeln. Am Potsdamer Platz setzte er fast im Alleingang gegen lokale Medien, Politiker und Daimler-Benz durch, dass die Stadt plant – und nicht die Investoren. Deren von Hochhäusern und Shoppingmalls geprägtes Gesamtbebauungskonzept aus dem Büro von Richard Rogers strahlte zwar weit mehr als der Entwurf von Hilmer & Sattler. Aber er hatte keinerlei demokratische Legitimation. Die großen Feuilletons, die lokalen Medien und auch viele Fachleute zeigten sich zwar fasziniert von Rogers’ Entwurf. Vielleicht wäre der Plan – der eine Mischung aus Wohnen, Büros, Gewerbe und Shopping versprach – durch eine Verknüpfung mit einer kleinteiligen Grundstücksgliederung sogar der bessere gewesen. Aber diese Frage stellte sich nicht. Es ging darum, wer die Macht in einer Demokratie hat.
 
Stimmann hatte allerdings außergewöhnliche Machtmittel. Die Investoren wurden getrieben von hohen Bauzinsen, er konnte Grundstücke vergeben und er hatte die Verwaltungshoheit. Wenn die Investoren taten, was er sich vorstellte – Häuser an der Straße und um den Block herum anorden, 22 Meter hoch plus zwei Staffelgeschosse maximal, Fassaden aus Putz oder Naturstein mit Fenstern statt Glaswänden – dann wurden die Anträge schnell bearbeitet. Immer hoffte er, dass damit auch der bürgerliche Geist in die Stadt zurückkehre. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Die meisten Investoren sahen nur auf ihre kurzfristig erzielbaren Renditen. Beispielhaft sei der Friedrichswerder genannt, wo sie mit großer Unterstützung der Senatsbauverwaltung sechs Meter schmale Häuser bauten und dann doch nicht – wie ursprünglich intendiert – als gemischte Wohn- und Produktionsstätten nach Altlübecker Vorbild nutzten.
 
Stimmann schmähte die Fischerinsel, die Gropiusstadt oder Marzahn als „daneben gegangene Siedlungen“. Das wird gerne erinnert. Dass er aber auch atemberaubend viel Geld in die Großsiedlungen in Ost und West leitete, um sie zu sanieren und neu zu gestalten, ist vergessen. Ebenso, dass er mit Wettbewerben, Werkstätten und Veranstaltungen, mit Vorträgen, eigenen Zeitungs- und Radiobeiträgen, Interviews und oft brillanten Büchern eine Öffentlichkeit für das Planen und Bauen schuf, die den alten West-Berliner Filz aus Bauwirtschaft und Politik zur Weißglut brachte. Wenige Stadtplanungsgeschichten Berlins können es etwa mit dem von ihm herausgegebenen Städtebau-Band der Reihe Berlin und seine Bauten aufnehmen.
 
Und immer wieder lautete seine Botschaft: Jeder Stadt ihr Stadtplan, ihre Architektur – gewachsen aus Geschichte und zeitgenössischen Anforderungen. Er war Lübecker, Arbeiterkind, hatte Maurer gelernt, Architektur zunächst an der Fachhochschule, dann um 1970 an der damals schwer marxistisch ausgerichteten TU Berlin studiert. Die marxistischen Klassiker hatte er gelesen, um später den Weg in die liberale Sozialdemokratie einzuschlagen. Diese war in Lübeck fest etabliert, mit dem Blick nach Schweden und Dänemark, als Verteidigerin des Wohlfahrtsstaates, des kommunalen Bauens, aber auch der Pflege des altlübisch-bürgerlichen Erbes.

1986 wurde er in Lübeck Baustadtrat und begann mit einem Projekt, dessen Folgen bis heute die hansestädtische Baupolitik prägen: die Wiedergewinnung der Altstadt als bürgerlicher Wohnort. Und zwar nicht nur durch die Sanierung der alten Häuser, sondern auch durch den Umbau des „Gründungsviertels“ an der Marienkirche. Genauer gesagt: durch den weitgehenden Abriss der in der Nachkriegszeit errichteten Häuser und ihr Ersetzen durch Neubauten. Es dauerte dreißig Jahre, bis seine Vorarbeit Frucht trug – aber Stadtplanung ist bekanntlich ein Geschäft auf Jahrhunderte.
 
Stimmann war sicherlich der international einflussreichste Berliner Stadtplaner seit Stadtbaurat Martin Wagner, der in den 1920er Jahren den Bau des modernen Berlins organisierte. Dass er das Erbe der 1980er Jahre und der West-Berliner IBA verwarf, vor allem den ökologischen Stadtumbau, war ein Riesenfehler. Ebenso seine Konzentration auf die Form. Sozial- und Wohnungsbaupolitik waren nicht seine Sache – allerdings auch nicht sein Amt. Ob seine Architekturpolitik – die auf konservativ gerasterte Stein- und Putzfassaden setzte – die Stadt wirklich liebenswerter gemacht hat, darf bezweifelt werden. Aber dass er Berlin stadtplanerisch wieder zusammenzwang mit diesen oft banalen Bauten, das war ein Riesenerfolg, den in den 90ern niemand für möglich gehalten hätte.


Zum Thema:

Wer bei BauNetz Meldungen nach „Stimmann“ sucht, bekommt beeindruckende 136 Ergebnisse. Nur ein Beitrag sei hier hervorgehoben: der Artikel zum 75. Geburtstag von März 2016.


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

9

Arcseyler | 04.09.2025 13:10 Uhr

.www

Der Verteidiger des Himmels über Berlin. Obwohl, etwas mehr Musik in der Luft wäre ganz schön. Es gibt nämlich keine Silhouette zu verteidigen.

8

Kritiker | 03.09.2025 08:26 Uhr

Paragraph 34

Ja wie er unverhohlen in einem Interview sich darüber freute mit Paragraph 34 einen Trick gefunden zu haben um die Berliner Mitte "zügig" zu bebauen. Dabei wurde dann ganz Ostberlin zu undemokratischen Vogelfreiheit erklärt. Die B-Pläne wurden ja nicht überführt, dabei gab es diese Lücke nicht da ja der Magistrat von Ostberlin sich schon vor dem September eine neue Verfassung gab. Im Grunde genommen hat er Ostberlin enteignet. Das kann man jetzt natürlich als Bauernopfer sehen da er wie angesprochen eine andere Verfügungsgewalt über die Friedrichsstraße hatte ggü. Investoren. Das komische ist dann die Sache mit dem KOAI-Ost der ja schon vor 1990 Gründstücke verkauft hat die er noch gar nicht besass. Es wird spannend ob dann irgendwann diese ganze Geschäfte geklärt werden können und wieviel Stimman dafür oder dagegen getan hatte.

Eins Stimmt jedenfalls, er war die (westdeutsche) Geisel des Neuen Berlins passend zu einer aus heutiger Sicht interressanten Zeit.

7

Roland W. | 02.09.2025 22:28 Uhr

Chicago

Anfang der neunziger Jahre, ich war gerade frisch diplomierter Architekt in Berlin, geisterten im Gründerfuror der Nachwendejahre die irrsten Projekte internationaler Stars aus Chicago und anderen Metropolen durch die Gazetten. Im Nachhinein müssen wir dankbar sein, dass wir von den schlimmsten Auswüchsen der Superstar-Architektur verschont geblieben sind und dass entlang der von Hans Stimmann vorgegebenen Leitplanken eine zwar nicht immer herausragende, aber der Gesamtheit der Stadt dienende Architektur entstanden ist. Ich habe ihn als meinungsstarken bis sturen Baubeamten erlebt, der Investoren konsequent einnorden konnte, aber dann auch hilfreich in der Umsetzung war.

6

Mattias Menzel | 02.09.2025 20:02 Uhr

Hans Stimman

In Lubeck war er der beste Bausenator, den ich in 40 Jahren als Architekt erlebt habe.

5

Dimitri Suchin | 02.09.2025 19:30 Uhr

Demokratisch?

Es gehört zum Bild, wie er sich über die Beschllüsse des Abgeordnetenhauses hinwegsetzte. Und wie er seine Pseudo-Friedrichstadt-Quadrate überall anpflanzte. Und, und ...

4

Hinrich Schoppe | 02.09.2025 18:54 Uhr

Versöhnlich

Ja, die Zeit macht versöhnlichm auch Herrn Stimmann gegenüber.
Natürlich haben wir ihn alle verabscheut damals, Anfang der 90er.
Aber wie so schön beschrieben, eine sehr schnelle heiße gefährliche Zeit, wo es jemanden mit einer Meinung brauchte und genug Potential, diese durchzudrücken. Auch wenn es nicht die Meinung der anderen war, zumindest nicht meine.
Der m.E. billige Konservatismus der Berliner Schule - ich brauche keine Namen nennen - war und ist mir ein Graus.
Aber er funktioniert. Leider.
Gestaltung ist anstrengend und benötigt Bildung. Ästhetische. Zumindest in Deutschland war und ist diese nunmal nur ungenügend vorhanden. Aber wo nicht?
Und ja, einige Figuren der Zeit haben sich gerne hinter ihm versteckt, z.B. der, der m.E. das Ahornblatt wesentlich auf dem Gewissen hat.
Dem gegenüber werde ich sicher nie versöhnlich werden. Aus eigener Schuld, da ich selbst mitgemacht bzw. profitiert habe.
"Halt still und denke an die Kohle."
Die Kinder wollten was zu essen haben und das in der rasanten Konjunkturtalfahrt Anfang der 2000er.
Habe es gut, Hans!

3

grauweiss | 02.09.2025 18:42 Uhr

dankbar

ich erinnere mich, damals noch architekturstudent an der tu berlin, als in den 90er jahren fast wöchentlich neue projekte und wettberwerbsergebnisse öffentlich vorgestellt und diskutiert wurden. die halbe uni war da, freund:innen von der damaligen hdk und viele andere architekturinteressierte.
die präsentierten entwürfe waren immer spannend, manchmal enttäuschend, meistens nachvollziehbar, niemals modisch, dennoch zeitgeistig. das berlin sein gesicht bewahrt hat, zu einer gebauten normalität gefunden hat, städtebau wichtiger war, als spektakuläre highlights, ist der verdienst von hans stimmann. meiner meinung nach.
so etwas gab es danach nie wieder und ist einer völligen interesselosigkeit gewichen.

2

Nachbar | 02.09.2025 17:34 Uhr

Stimmung

Immer wenn zu meinen Studienzeiten irgend etwas über Berlin diskutiert wurde und etwas nicht gut gelaufen ist dort, war sein Name nie weit.

1

auch ein | 02.09.2025 15:44 Uhr

architekt

"Er wurde beschimpft als Diener kapitalistischer Investoren, herrisch-sozialistischer Planungsdiktator, nationalistischer Teutonist, kleinkarierter Berliner Bürokrat, Feind des Erbes der DDR und generell der Nachkriegsmoderne oder Gegner des ökologischen Stadtumbaus"

wen man SO durch die meinungen und stimmungen gewirbelt wurde, hat man eigentlich alles richtig gemacht. aber das muss man erstmal aushalten!

 
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