Wer in der US-amerikanischen Zeichentrickserie The Simpsons aufs Korn genommen wird, der hat es in den Olymp der populären Kultur geschafft. Und es sagt einiges aus über die gesellschaftliche Wahrnehmung von Architektur, dass in den über 800 Folgen seit 1989 eine humoristische Auseinandersetzung mit Architektur die absolute Ausnahme ist. Frank O. Gehry – der am Samstag im Alter von 96 Jahren in Santa Monica gestorben ist – kam die große Ehre zuteil, zum Plot einer Folge beigetragen zu haben.
Im besten Sinne klischeehaft wird in der Folge aus dem Jahr 2005 Gehrys Entwurfsprozess aufs Korn genommen, denn die Form des neuen Konzertsaals in Springfield leitet Gehry aus dem zerknüllten Brief ab, den Marge Simpson ihm geschrieben hat. Errichtet wird dann ein schlichtes Stahlgerüst, das durch Abrissbirnen zum Blob gedengelt und anschließend mit Metallplatten verkleidet wird. Doch was in Bilbao klappte, klappt in Springfield natürlich nicht und der Konzertsaal wird bald zum Gefängnis umfunktioniert.
Frech und pointiert wird hier nicht nur Gehrys Entwurfsansatz skizziert, sondern auch der Impact seiner Bauten für die globale Selbstvermarktung von Städten im 21. Jahrhundert, die unter dem Stichwort „Bilbao-Effekt“ bekannt geworden ist. Welcher Architekt kann von sich behaupten, mit einem einzigen Haus zum Stichwortgeber eines solchen internationalen Phänomens geworden zu sein, das weit in die Breite der Gesellschaft wahrgenommen wurde und wird?
Das 1998 eröffnete Guggenheim Museum in Bilbao begründet nicht nur den Weltruhm Gehrys, sondern markierte den Start eines immens erfolgreichen Spätwerks, das auch viel Kritik und Neid auf sich gezogen hat. In Zeiten des omnipräsent diskutierten Ressourcensparens wirken seine mit viel konstruktivem Aufwand umgesetzten Bauten, die seit Bilbao entstanden, zunehmend aus der Zeit gefallen. Umso mehr lohnt es sich, auf die Anfänge zurückzublicken, um die konzeptionelle Relevanz Gehrys für die Erneuerung der Architektur ab den 1970er Jahren zu verstehen.
Geboren wurde Gehry am 28. Februar 1929 in Toronto als Frank Owen Goldberg. 1954 schloss er sein Architekturstudium an der University of Southern California (USC) in Los Angeles ab. Damals änderte er auf Wunsch seiner ersten Frau seinen Nachnamen, um die jüdische Herkunft verschleiern. An der Harvard Graduate School of Design begann er Stadtplanung zu studieren, brach die Ausbildung jedoch ab, ging zurück nach Los Angeles und gründete schließlich 1962 sein eigenes Büro.
1977 begann er mit dem Umbau des schlichten Wohnhauses in Santa Monica, das er kurz zuvor für seine Familie und sich gekauft hatte. Die gezackte und scheinbar brüchige Ummantelung des generischen Hauses mit armen Materialien wie Sperrholz, Wellblech und Maschendraht wurde zur Ikone der architektonischen Bemühungen, einen Ausweg aus dem erstarrten Spätmodernismus zu finden. Während andere ein postmodernes Spiel mit Zitaten und Referenzen betrieben, fuhr Gehry in den Baumarkt und bastelte jenseits der kanonischen Lehre vom Tragen und Lasten der Architektur an seinem Häuschen herum. Bis heute erstaunt die Nonchalance und Frische, mit der der Dekonstruktivismus begann.
Auf den Umbau des eigenen Hauses folgten Projekte wie die Spiller Residence im kalifonischen Venice (1978/79), das California Aerospace Museum in Los Angeles (1982–84) oder das Winton Guest House in Minnesota (1982–87), die ein wenig in Vergessenheit geraten sind. Sie zeigen eindrucksvoll, wie Gehry mehr und mehr eine Zergliederung der Bauten und Funktionen betrieb und Architektur als skulpturale Assemblage begriff. Bereits 1989 erhielt er den Pritzker-Preis. Entscheidend inspiriert wurde er durch die Auseinandersetzung mit Fischen, was schließlich zu den gleichermaßen expressiv zerklüfteten und organisch geschwungenen Bauten führte, die ihn so berühmt machten, dass sein Tod sogar in der Tagesschau vermeldet wurde.
Doch auch der späte Gehry war nicht allein auf spektakuläre Landmarken abonniert. Zwei wichtige Bauten in Berlin beweisen, dass er auch sanfte und kontextuelle Töne bravourös anzuschlagen vermochte. Bei der DG Bank am Pariser Platz (2000) musste er sich dem strengen Korsett der städtebaulichen Vorgaben aus der Ära Hans Stimmann unterordnen. Dass man infolgedessen im überdachten Innenhof einen blogartigen Sitzungssaal findet, überrascht nicht. Die souverän komponierte Fassade zum Platz beweist jedoch eindrucksvoll, wie Gehry und sein Team hier die strikten gestalterischen Vorgaben aufgriffen und eine subtil eigenständige und sehr überzeugende Interpretation des neuen „Steinernen Berlins“ ablieferten.
Noch zurückhaltender agierte er beim Pierre-Boulez-Saal der Said-Barenboim-Akademie, die im März 2017 eröffnete. Hier galt es, einen Konzertsaal in einen neoklassizistischen Bestandsbau (Richard Paulick, 1952–1954) einzufügen. Das Ergebnis ist ein sanft und elegant schwingendes Setting, das kein Laie jemals dem vermeintlich marktschreierischen „Star-Architekt“ Gehry zuschreiben würde.
Gehry war eben mehr als „ein Gehry“, den so manche Kommune in den letzten 25 Jahren orderte, wenn man sich neu positionieren und mit Architektur punkten wollte, die nicht nur Fachleute verstehen. Aber er war eben auch das: Jemand der instagramable Architektur nicht nur entwarf, sondern auch realisierte – lang bevor es Instagram gab. (gh)
Zum Thema:
Zum 90. Geburtstag vor sechs Jahren widmeten wir Gehry ein Themenpaket.