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14.08.2017

Die vertagte Architektur

Zum Tod von Burkhard Grashorn (1940-2017)


Ein Nachruf von Simon Scheithauer und Michael Kraus

„Ich glaube, dass die Architekturgeschichte eigentlich eine Ouvertüre war für etwas, das sich Weltarchitektur nennen könnte. Das habe ich manchmal einfließen lassen.“
 
An den Grundfesten der Architektur zu rütteln, war für Burkhard Grashorn stets ureigenster Antrieb und Ziel seiner zahlreichen fantastischen Entwurfslandschaften und Gedankengebäude. Die Architekturwelt wird einen wie ihn vermissen – der Architekt, Künstler, Kritiker und Lehrer verstarb am vorvergangenen Sonntag nach kurzer, schwerer Krankheit in seiner Wohnung am Weimarer Ilmpark.

Burkhard Grashorn wurde 1940 in Oldenburg geboren. Nach einer Ausbildung zum Maurer studierte er Architektur beim Bauhäusler Wils Ebert in Berlin und bei Ludovico Quaroni in Rom. Insbesondere Rom, dieses gebaute Palimpsest, übte eine große Faszination auf ihn aus, die ihn sein ganzes Leben begleiten sollte. Die Idee der Architekturgeschichte als über die Jahrhunderte fortgeschriebenen und schließlich durch die Moderne unterbrochenen „Kettenbrief“ entwickelte sich für Grashorn zu einem Lebensthema. Ab 1963 verbrachte er mit Unterbrechungen gut zehn Jahre in Italien. Zunächst als Student, dann als junger Architekt im Büro von Paolo Portoghesi und Vittorio Gigliotti.

1973 kehrte Grashorn schließlich nach Deutschland zurück und wurde an der neu gegründeten Dortmunder Architekturfakultät Assistent von Josef Paul Kleihues. Das im Aufbau befindliche Dortmunder Modell, das eine Verbindung von baukünstlerischer und bautechnischer Ausbildung suchte, faszinierte Grashorn. Kleihues wiederum war von Grashorns freigeistiger Haltung beeindruckt und gewährte ihm für die Lehre weitreichende Freiheiten. Einem größeren Publikum wurde Grashorn bekannt, als er 1980 den deutschen Beitrag zur ersten Architekturbiennale in Venedig verantwortete. Im Arsenale, eine Ebene oberhalb von Portoghesis Strada Novissima, zeigte er eine seiner auch rückblickend wichtigsten Arbeiten, den Turm der Architekturutopien. Konzept gebliebene Entwürfe der gesamten Architekturgeschichte standen im Turm entlang einer sich aufwärts windenden Spirale gleichberechtigt nebeneinander.

Grashorn illustrierte die Geschichte so als Kontinuum, als Abfolge, die sich retrospektiv in ihrer Gesamtheit erfassen und vor allem erschließen lässt. Was gemeinhin als utopisch und mithin unrealistisch dargestellt wird, verstand Grashorn als eine „vertagte Architektur“ – als Ideen, deren Zeit noch nicht gekommen war. Der Turm steht so zugleich prototypisch für Grashorns stark bildhaftes Arbeiten. Über den Turm sagte er: „Am Anfang war das Bild, nicht das Wort.“ Dass er den Turm schließlich, ebenso bildmächtig, nach einigen Jahren der ergebnislosen Suche nach einem dauerhaften Bewahrungsort auf der Zeche Phönix in Dortmund verbrannte, belegt seine kompromisslose Konsequenz.

Mit dieser lässt sich auch die nur geringe Zahl der ausgeführten Bauten erklären. Während seiner gesamten Berufslaufbahn realisierte Grashorn kaum ein halbes Dutzend seiner über 100 Projekte, die im umfassenden Werkverzeichnis zu finden sind. Wirkung entfaltete Grashorn daher vor allem durch seine kritischen Beiträge zu international bedeutenden Wettbewerben und als Gestalter von Ausstellungen. Mit „Der Stand der Architektur“ (1983) sowie „Die Künste tragen die Stadt“ in Oldenburg (1990) und Hannover (1992) wollte er nichts Geringeres, als den „Wucherungen der Peripherie“ eine neue Organisation entgegen zu stellen und der Stadt wieder eine Grenze und damit Gestalt zu geben.

Architektur und Gesellschaft, Gegenwart und Vergangenheit, Stadt und Peripherie, Körper und Raum lassen sich als die Kernthemen seiner Untersuchungen zusammenfassen. Dass ihm vor allem die gesellschaftliche Relevanz der Architektur sehr wichtig war, zeigt sich insbesondere in den beiden Berliner Wettbewerbsbeiträgen für die „Topografie des Terrors“ (1983, mit Alfred Hrdlicka) und das „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“ (1994, mit Manon Hoof). Sie zeugen von der bei Grashorn immer präsenten Diskussion sozialer Zusammenhänge mit architektonischen Mitteln, von seinem Verständnis der Architektur als „Kunst der Widerspiegelung der realen Welt“, als (ästhetische) Form gesellschaftlicher und politischer Diskurse. Beim Mahnmal-Wettbewerb zählten Burkhard Grashorn und Manon Hoof, seine spätere Frau, zu den Preisträgern.

Als Lehrer fand Grashorn schließlich seine vielleicht eigentliche Berufung. Nach einigen Lehraufträgen und Gastprofessuren in Oldenburg, Bremen und Venedig wurde er 1998 Professor für Baugestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar. In Weimar nahm er die Rolle eines kämpferischen Streiters für die Belange der Lehre und die Bedeutung eines allgemeine Gültigkeit beanspruchenden Architekturbegriffs ein. Es war vielleicht sein größter Verdienst, mehrere Generationen junger Architektinnen und Architekten in dem Bewusstsein ausgebildet zu haben, „Werke der Öffentlichkeit“ schaffen zu müssen. Die sein eigenes Werk durchziehenden Fragen nach der Sprache der Architektur, der urbanen Entwicklung, der Zersiedelung der Land­schaft und den Wucherungen der Peripherien sowie deren historischer Ursachen, machen Grashorns Arbeiten auch heute noch bemerkenswert aktuell.


Kommentare:
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Burkhard Grashorn, um 1990

Burkhard Grashorn, um 1990

Paolo Portoghesi und Vittorio Gregotti begutachten den deutschen Beitrag kurz vor Eröffnung der ersten Architekturbiennale 1980 in Venedig. Die Arbeit für den deutschen Beitrag machte Grashorn einem größeren Publikum bekannt.

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Nachdem kein dauerhafter Verbleib des Turmmodells gefunden werden konnte, verbrannte Grashorn sein Werk 1983 auf der Zeche Phönix in Dortmund.

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Für den Wettbewerb um das Deutsche Historische Museum in Berlin entwickelte Grashorn 1988 sein Konzept der „Himmlischen Stadt“.

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