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01.10.2021

Aha-Effekt in München

Volkstheater von Lederer Ragnarsdóttir Oei


Am 15. Oktober startet das Münchner Volkstheater die Saison in seiner neu bezogenen Spielstätte im Viehhofareal. Mit nur 2,5 Jahren Bauzeit und unter Einhaltung des Kostenrahmens wurde das Projekt geradezu reibungslos realisiert. Jetzt eröffnete der knapp 131 Millionen Euro teure Bau nach Plänen von LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei. Die Überraschungen des Theaters sind auch in seiner Architektur zu finden. Ein Besuch vor Ort. 

Von Sabina Strambu

Arno Lederer hebt den Vergleich selbst hervor, der sich einem unwillkürlich vermittelt. Das neue Volkstheater, das nun ein fußballfeldgroßes Grundstück im zentrumsnahen Schlachthofviertel besetzt, gleicht mancherorts einem Bühnenbild und beschert teils unerwartete Momente. Von außen weit sichtbar steht etwa der weich geformte Bühnenturm im Kontrast zum massiven Theatergebäude. Dessen kontextbezogene Fassade im Stil industrieller Fabrikarchitektur der 1920er Jahre lässt wiederum nichts vom Innenleben erahnen, das sich den Zuschauer*innen ab Mitte Oktober bietet. Ein geschlossenes Gebäude bilde nach außen den Stadtraum, erklärt Lederer dazu. Sobald man reingehe, erlebe man einen Innenraum, der sich unterscheidet: „Man muss sich das vorstellen, wie hier im Theater. Hinter der Bühne wird gemacht, kein Mensch sieht, was da los ist. Und dann geht der Vorhang auf und die Zuschauer*innen sehen ins Innere.“ Ein gewollter Aha-Effekt, im Theater wie in der Architektur.

Das auf Straßenebene allgegenwärtige Sichtmauerwerk verzahnt sich hier zunächst mit der vorhandenen Stadtbebauung, fast so, als sei es Bestand. Tatsächlich schließt das Volkstheater auch an denkmalgeschützte Gebäude entlang der Zenettistraße und an der Ecke Tumblingerstraße an, die nun Künstlerwohnungen und Verwaltungsräume beherbergen. Den Großteil aber macht der ziegelverkleidete Neubau aus, der neben Zuschauerbereichen und drei Bühnenräumen auch einen gewaltigen Apparat aus moderner Bühnentechnik, Werkstätten und Verwaltung aufnimmt.

Ein weiter, offener Torbogen an der Tumblingerstraße bildet den markantesten Zugang zum Innenhof. Sobald dann noch die Eingangstüren zum Zuschauerbereich des Theaters passiert sind, bietet sich ein gänzlich anderes Bild. Foyer, Garderobe, Treppenhaus und Restaurant wirken wie die stilisierte Kulisse eines norditalienischen Marktplatzes. Ein Mix aus gebogenen und geraden Wandflächen in satten, matten Farben, zahlreiche Lichtpunkte, Fensterbänder und Oberlichter in verschiedenen Formen und Größen, dazu umlaufende Bänke, hinterleuchtete Sitznischen, Terrassen oder Emporen. Ein Tresen aus Sichtbeton, eine passende Holzgitterleuchte, Vollholzparkett mit Leitstreifen – viele Details.

Eine Besonderheit stellte das Verfahren dar, mit dem die Landeshauptstadt München als Auftraggeberin agierte. Das Volkstheater, das bisher fast vier Jahrzehnte in einer umgebauten Turnhalle in der Brienner Straße residierte und immer wieder räumlich improvisierte, sollte nun eine würdige Spielstätte erhalten. Den Weg dahin ging man über eine Generalübernahme. Grundlage dafür war eine funktionale Leistungsbeschreibung im Umfang von nicht weniger als 1000 Seiten und einer Raum- und Funktionsmatrix mit 18.000 Excelzellen. Wichtigste Bedingungen: Ein Kostenrahmen von rund 131 Millionen Euro, eine vorgegebene Fertigstellungsfrist und – der Entwurf. Beim EU-weiten Vergabeverfahren samt Wettbewerb gingen dann neun Bewerbungen ein, fünf kamen in die engere Auswahl. Bauunternehmer Georg Reisch (Bad Saulgau) überzeugte schließlich 2016 gemeinsam mit LRO Lederer Regnarsdóttir Oei (Stuttgart), Theater- und Bühnenplanung itv-Ingenieurgesellschaft (Berlin) sowie Bau- und Raumakustik Wolfgang Sorge (Nürnberg) Jury und Stadt.

Trotz der 1000 Seiten sei in der Leistungsbeschreibung das Wort „Schönheit“ kein einziges Mal vorgekommen, erklärt Arno Lederer weiter. „Die Stadt hat uns aber die Möglichkeit gegeben, mit der Schönheit umzugehen.“ GÜ-Vertreter Wolfgang Müller, Nutzer und Intendant Christian Stückl oder Projektleiter Helmut Krist vom Baureferat schwärmen ihrerseits von der Zusammenarbeit. Dass der Eingangsbogen tragend gemauert ist oder im Zuschauerraum der Hauptbühne handelsüblichen Blumentöpfe zu Leuchten umfunktioniert wurden, dass der Bühnenturm erst in Industrieglas, Metallgitter oder echten Leitplanken verkleidet sein sollte, aber nun dank seiner Membranhülle die Assoziation eines Chesterfieldsofas wecken soll ... all das gehöre zur Architektur von LRO eben dazu. Da drängt sich wieder der Vergleich auf: Im Ergebnis kombiniert sich gründliche Regiearbeit mit künstlerischer Improvisation.

Fotos: Roland Halbe


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Zugang zum Volkstheater über die Tumblingerstraße

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Das Viehhofgelände soll in den nächsten Jahren zum innerstädtischen Quartier samt Wohnnutzung umfunktioniert werden. Das Volkstheater bildet einen ersten Pfeiler der Urbanisierung.

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Foyer, Treppenhaus und Empore

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Anschluss des Neubaus an den Bestand

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