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10.09.2025
Buchtipp: Unbekannte Perlen
Tashkent Modernism XX/XXL
Das Buch Tashkent Modernism XX/XXI ist gleich mehrere Bücher in einem. Mit seinen über 900 dünnen Seiten und dem Taschenbuchformat kommt es haptisch wie eine Bibel daher. Was seinen fundiert recherchierten Inhalt zur modernistischen Architektur der 1960er bis 1980er Jahre in der usbekischen Hauptstadt betrifft, gleicht es einem Mammutwerk. Ermöglicht hat es die Uzbekistan Art and Culture Foundation (ACDF), herausgegeben wurde es von Boris Chukhovich, Davide Del Curto und Ekaterina Golovatyuk, die aktuell von Montreal und Mailand aus arbeiten.
Da gibt es zunächst Texte über die Stadt. Sie machen unter anderem deutlich, dass die Moderne Taschkents keine bloße stilistische Übersetzung von Moskau nach Zentralasien war, sondern ein eigenständiges Narrativ entwickelte: geprägt durch lokale Bautraditionen, Wüstenklima, Erdbebengefahr und verschiedene kulturelle Einflüsse. Es geht um Moderne und Orientalismus – und das Erdbeben vom 26. April 1966, das den Wiederaufbau der einst viertgrößten Stadt der Sowjetunion im Sinne eines Labors für typologische und technische Innovation ermöglichte. Lesenwert auch, wie sich Rem Koolhaas und Ekaterina Golovatyuk über das Bewahren der Moderne und den veränderten Blick darauf unterhalten.
Teil zwei erörtert den Umgang mit den Bauten, Schutzmöglichkeiten und Herangehensweisen. Dazu zählt unter anderem das Projekt „Cultural Trail“, das sie entlang eines Weges inhaltlich miteinander verknüpfen soll. Hier hilft die wunderbare grafische Gestaltung von Hubertus Design, die unendlich vielen Seitenstränge und Betrachtungsebenen mit Zeitstrahlen und Vorher-Nachher-Vergleichen zu strukturieren. Schließlich stellt das Bildessay von Fotograf Armin Linke die Bauten ganz ungeschönt aus verschiedenen Blickwinkeln dar – und vermittelt die beruhigende Nachricht: Es ist noch viel erhalten.
Mit Teil drei folgt etwas, das in dieser Dichte als Novum für die jüngere Denkmalpflege gelten dürfte: Zwölf jüngst unter Schutz gestellte Bauten, darunter das Institut der Sonne, das Panorama Kino, der Freundschaftspalast, das Usbekistan Hotel, die Ausstellungshalle der usbekischen Künstlerunion und der Zirkus, werden nicht nur anhand ihrer Entstehungsgeschichte vorgestellt. Die Analyse beschreibt auch ihren aktuellen Zustand, begründet, warum die Substanz erhalten werden soll und schlägt Strategien vor. Spätestens mit diesem Abschnitt könnte das Buch zum Handlungsmodell für vergleichbare Situationen weltweit werden.
Zugleich wird deutlich, dass das Buch Teil eines Großprojekts ist. Seit einigen Jahren versucht die Uzbekistan Art and Culture Foundation mit Ausstellungen, einer Konferenz und Aktionen vor Ort, das Architekturerbe von Taschkent bekannter zu machen und Usbekistan auf der kulturellen Weltkarte zu verorten. Zehn Bauten stehen derzeit auf der Bewerbungsliste zum UNESCO Weltkulturerbe. Insofern sind die Autor*innen weit entfernt davon, Taschkent als exotische Randnotiz der Architekturmoderne zu behandeln.
Im Gegenteil. Die wissenschaftliche Tiefe des Buchs ist nicht zuletzt dem generationenübergreifenden, interdisziplinären und international vernetzten Team um die drei Herausgeber*innen zu verdanken. Übersichten stellen die Entstehung von Taschkents Bauten in den Kontext der Weltgeschichte und vergleichen sie mit ihren typologischen Geschwistern und Vorbildern in aller Welt. Tashkent Modernism XX/XXI setzt Maßstäbe, wenn es um die gründliche Analyse einer ortspezifischen Zeitschicht und denkmalpflegerische Handlungsoptionen für die Zukunft die geht. Man kann das anders kommunizieren, aber nicht besser.
Text: Friederike Meyer
Tashkent Modernism XX/XXI
Boris Chukhovich, Davide Del Curto und Ekaterina Golovatyuk (Hg.)
Gestaltung: Hubertus Design
948 Seiten
Englisch
Lars Müller Publishers, Zürich 2025
ISBN 978-3-03778-751-9
75 Euro
Zum Thema:
Mit dem ambitionierten Projekt, das moderne Erbe von Taschkent bekannter zu machen, befasst sich die BauNetz WOCHE#636 „Modernismus in Taschkent“.
Das Institut der Sonne - Heliokomplex ist Thema im usbekischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig.
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Im Institut der Sonne - Heliokomplex in der Nähe von Taschkent. Foto: Armin Linke

Freundschaftspalast. Foto: Armin Linke

Modell der Markthalle auf dem Chorsu Basar, 1984. Foto: A. Vainshtein, Republic of Uzbekistan, Documentary Film and Photo Archive, 1-52726

Cover: Tashkent Modernism XX/XXI
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