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07.03.2018

Referenzpunkt Auto

Sophie Stigliano über die Zukunft der urbanen Mobilität


Auf die neue Bundesregierung, besonders den designierten Verkehrsminister Andreas Scheuerer (CSU) wartet ein riesiger Berg Arbeit. In vielen deutschen Städten sind die Feinstaubgrenzwerte überschritten. Die Elektromobilität kommt zu langsam voran, und die alte Bundesregierung hat angekündigt, kostenfreien Personennahverkehr testen zu wollen. Kein Tag vergeht derzeit ohne eine Schlagzeile zur Mobilität. Denn wie wir möglichst schnell, kostengünstig und umweltschonend von A nach B kommen, beschäftigt uns alle – tagtäglich. Sophie Stigliano von Urban Standards aus München erklärt, was die Politik leisten muss und warum technische Entwicklungen wie Elektroautos, On-Demand-Shuttle und pilotiertes Parken nicht allein die Lösung aller Probleme sind.

Interview: Friederike Meyer


Frau Stigliano, was heißt „mobil sein“ in Deutschland heute?

Es geht nach wie vor darum, nahtlos und komfortabel, auf die persönliche Situation zugeschnitten von A nach B zu kommen. Die Tageszeit, familiäre Situation, Finanzen und letztlich auch das Wetter haben Einfluss auf das Verkehrsmittel, das die Menschen benutzen.

Die überschrittenen Feinstaubgrenzwerte in vielen deutschen Städten zeigen, dass zu viele Autos unterwegs sind. Was muss passieren, damit wir zumindest in den Städten, wo das ÖPNV-Netz gut ausgebaut ist, für den Weg zur Arbeit den privaten PKW stehen lassen?
Oft sind die ÖPNV-Systeme in der Stadt radial organisiert, und die Querverbindungen funktionieren nicht. Wir müssen diese Lücken mit alternativen, komplementären Angeboten wie zum Beispiel On-Demand-Systemen schließen. Darin liegt ein großes Potential. Auf dem Land hingegen ist man auf das Auto angewiesen, wenn der Bus nur dreimal am Tag kommt. Wir müssen überlegen, wie wir kleine Orte besser an Mobilitätshubs anbinden können. Da wird bereits einiges getestet. In Bad Birnbach zum Beispiel betreibt die Deutsche Bahn mit ioki einen 6-Sitzer, der ohne Fahrer, also autonom, Fahrgäste transportiert. Das ist ein guter Anfang, der den Weg für weitere spannende Konzepte eröffnet.

Autonom fahrende Busshuttle zu entwickeln, dürfte doch im Auto- und Technologieland Deutschland kein Problem sein. Warum dauert die Einführung solcher Ideen so lange?
Naja, zunächst hängt es am gesetzlichen Rahmen, den ich hier aber bewusst einmal außer Acht lassen möchte. Die Technologien sind weniger das Problem als die Einbettung dieser in Servicekonzepte und den urbanen Kontext. Die Komplexität hat eindeutig zugenommen. Viele Mobilitätskonzepte scheitern an mangelnder Kooperationsbereitschaft der Beteiligten. In vielen Fällen sind die Schnittstellen und wer überhaupt zuständig ist nicht geklärt. Wir können nicht mehr in Schubladen arbeiten, sondern müssen verstärkt kooperative Prozesse anpacken. Das ist für viele in Deutschland etwas ganz Neues. In einigen Kommunen wurden bereits Querschnittsreferate eingerichtet, die die Vernetzung, zum Beispiel zwischen Stadtplanungsreferat und Verkehrsplanungsamt gewährleisten. Aber auch der Austausch zwischen Industrie und Kommunen könnte intensiver sein. Oft ist den Städten gar nicht klar, welche neuen Technologien gerade entwickelt werden und wie sie diese in ihre Planung integrieren können.

Sind Sie bei Urban Standards mit derartigen Fragen konfrontiert?
Ja, einerseits beraten wir Kommunen bei der Frage, wie man Mobilitätskonzepte in die Planung von neuen und bestehenden Stadtquartieren integriert. Andererseits beraten wir Unternehmen dahingehend, welche Technologien gefragt sind und wer mit wem zusammensitzen muss. Vor zwei Jahren wurde die „Plattform Urbane Mobilität“ gegründet, die wir mit der Gesellschaft für Systeminnovation mbH (GESI) koordinieren. Dabei arbeiten neun deutsche Kommunen und Unternehmen der Autoindustrie zusammen. Wir sind nun an dem Punkt, dass erste Pilotprojekte gestartet werden sollen.

Warum sind Vertreter vom ÖPNV nicht mit dabei?
Bei den Pilotprojekten nehmen sehr wohl weitere Stakeholder teil. Diese reichen von Immobilienentwicklern über Logistikunternehmen bis hin zu Verkehrsbetrieben. Das ist auch wichtig. Das Rückgrat jeder Stadt muss der ÖPNV sein. Aber der ÖPNV ist nicht unbedingt nur die Schiene, es könnte auch ein On-Demand-Service sein. Man muss das Verhältnis von kommunalen und privaten Angeboten in ein passendes Gleichgewicht bringen. Das vernetzte Auto wird immer ein wichtiger Bestandteil des Systems bleiben. In jedem Fall wird das Auto als Referenzpunkt für neue Mobilitätsservices dienen.

Inwiefern?
Das Auto ist komfortabel, es steht bereit, bringt mich, wann immer ich will individuell von A nach B, ich muss mich beim Fahren mit niemandem auseinandersetzen. Die Herausforderung wird sein, alternative Angebote zu gestalten, die genau das gleiche Service-Level wie ein Auto bieten. Denn wenn die Leute nicht bereit sind, umzusteigen, hat keine Idee eine Chance.

Alle reden immer von Vernetzung. Welche Rolle spielt die Digitalisierung?

Die Digitalisierung ermöglicht potentiell nahtlose Mobilität. Andererseits steht sie noch ziemlich am Anfang. Es klafft weiterhin eine Lücke zwischen Theorie und Praxis. Wie muss der Datenaustausch laufen? Welche Art von Daten braucht es? Was wollen wir denn überhaupt sinnvoll vernetzen? Viele Fragen sind gerade erst in Klärung. 

Warum hinkt Deutschland bei der E-Mobilität hinterher?

Wir müssen uns eher fragen, warum uns E-Mobilität als „die“ Lösung präsentiert wird und zu wenig drüber gesprochen wird, dass wir einen systemischen Wandel brauchen. Der E-Antrieb ist gut, aber löst das Problem der nachhaltigen Mobilität nicht.

In Berlin fahren viele Fahrrad, immer weniger haben ein Auto. Ist das die Zukunft in deutschen Städten?
Ich befürworte den Umstieg aufs Fahrrad. Sichere Fahrradstrecken müssen aufgebaut werden. Aber nur über das Fahrrad wird es eben auch nicht zu lösen sein. Die Frage ist vielmehr: Welche Quote bekommt welches Verkehrsmittel? Kann man zum Beispiel Fahrspuren für geteilte Services oder autonome Fahrzeuge einrichten? Der Quadratmeter Stadt ist und bleibt die wichtigste Ressource, die wir haben. Die Frage ist, wie wir Raum freispielen können. Zum Beispiel durch pilotiertes Parken. Da parkt sich das Auto selbst, der Platzbedarf eines Parkhauses wird minimiert, es gibt mehr Qualität des Raumes. Das ist interessant für die Grundstücksentwickler.

Was sind Ihre Forderungen an die neue Bundesregierung in Bezug auf Mobilität?
Mobilität muss auf der Agenda in Deutschland bleiben. Der Mobilitätsfond, den das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur BMVI ausgelobt hat, geht in die richtige Richtung. Ich hoffe, dass man sich der Komplexität stellt, kooperative Ansätze verfolgt und neue gesetzliche Rahmenbedingungen schafft, die Pilotprojekte ermöglichen. Wir können nur über das Testen im realen Stadtgebiet lernen und neue Mobilitätskonzepte erlebbar machen. Wenn die Bevölkerung den Wandel nicht mitmacht, erfahren wir die Mobilität nicht neu.


Sophie Stigliano ist seit Gründung 2015 Direktorin der Urban Standards GmbH. Urban Standards ist Entwickler von transformativen, integrierten, dynamischen Mobilitätskonzepten und -lösungen in Stadt-, Quartiers- und Immobilien-Entwicklungsprojekten. Sophie Stigliano studierte Architektur in München und arbeitete unter anderem für den UIA Weltarchitekturkongress in Berlin, als Ausstellungsleiterin des Centers for Architecture in New York City und als Leiterin Consult bei der Stylepark AG in Frankfurt. Seit 2008 beschäftigt sie sich mit dem Themenfeld Zukunft der urbanen Mobilität.


Zum Thema:

Am morgigen Donnerstag, 8. März 2018, findet in München ein Symposium zur Mobilität unter dem Titel „Abgefahren“ statt. Weitere Informationen hier.



Das Gespräch mit Sophie Stigliano erschien vergangenen Donnerstag in der Baunetzwoche #507 „Abgefahren. Wege zur Mobilität“.


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Sophie Stigliano, Direktorin der Urban Standards GmbH

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