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24.11.2005

Phaeno!

Science-Center von Zaha Hadid in Wolfsburg


Am Abend des 24. November 2005 wird in Wolfsburg das Wissenschaftszentrum „Phaeno“ eröffnet. Der Neubau in Sichtbeton und Stahl steht an der Schnittstelle zwischen Bahnhof, Porschestraße und dem VW-Werk mit der Autostadt. Der Entwurf von Zaha Hadid ging im Januar 2000 aus einem internationalen Wettbewerb als 1. Preis hervor. Hadid arbeitete mit dem Lörracher Büro Mayer Bährle zusammen. Der Projektarchitekt im Büro Hadid war Christos Passas. Der Neubau hat einschließlich Ausstattung 79 Millionen Euro gekostet.

Kommentar der Redaktion

Was ist eigentlich ein Science Center, und warum steht ein solches jetzt an Wolfsburgs städtebaulich prominentester Stelle? Der Typus Science Center kommt aus den USA, wo 1969 in San Francisco mit dem „Exploratorium“ die erste Einrichtung dieser Art eröffnet wurde. Man könnte es als eine Mischung aus Themenpark, Technikmuseum und Mitmach-Didaktiklabor bezeichnen: Science, im amerikanischen Sinne des Wortgebrauchs als Naturwissenschaft verstanden, steht hier für die Phänomene der Physik, die als geordnete, reproduzierbare Experimente Erkenntnisgewinn verheißen. So gibt es im Wolfsburger Phaeno 250 Einrichtungen und Installationen (210 wissenschaftliche und 40 künstlerische), die in Zaha Hadids „gebauter Landschaft“ frei verteilt wurden und von den Besuchern in Gang gesetzt und/oder beeinflusst werden können. Hier werden physikalische Experimente vorgeführt und erklärt, die z. B. mit Schwerkraft, Elektrizität, Akustik oder Optik zu tun haben. Man folgt hier der didaktischen Hypothese, dass spielerischer Umgang mit den Dingen das Begreifen fördert – oder: dass man am ehesten versteht, was man anfassen kann. Als Kurator fungiert hier der Amerikaner Joe Ansel, langjähriger Mitarbeiter in San Francisco und inzwischen Inhaber einer Firma, die die Exponate solcher Wissenschafts-Zentren selbst herstellt oder beschafft.

Für diesen Inhalt bietet der an- und absteigende Raum im Hauptgeschoss des Phaeno eine denkbar geeignete Hülle. Der polygonale Grundriss, die schrägen Wände, die wuchtigen Mauern mit ihren markanten Fenstereinschnitten, die selektiven Ausblicke auf Stadt und VW-Werk, die eiförmigen Einbauten sowie das teilweise gefaltete und geknickte Stahlträger-Dachtragwerk schaffen einen Raum der höchsten Uneindeutigkeit, in dem selbst gelernte Architekten innerhalb kürzester Zeit die Orientierung verlieren. Was anderswo eine organisatorische Katastrophe wäre, ist hier gewollt, mehr noch: Es kommt dem Ausstellungskonzept der „physikalischen Wundertüte“ entgegen. Überall blitzt es, tutet es, pufft es; Dampf und Nebel steigen auf, Bälle fliegen, Kugeln klackern, Nägel klingen. Es gibt keinen vorgeschriebenen oder empfohlenen Rundgang, man will das Entdecken den kleinen und großen Besuchern überlassen. Inwieweit dies auch zum Verlust von Konzentration führt, zur Beliebigkeit der Beschäftigung, zur Reizüberflutung, wird sich noch weisen müssen.

Das Phaeno ist eine Initiative der Stadt Wolfsburg, die auch (über eine Wohnungsbaugesellschaft) als Bauherr auftrat. Ein rühriger Kulturdezernent brachte die Idee aus den USA und der Schweiz mit und konnte den Stadtrat dazu bewegen, dem Bau zuzustimmen. Dem neu entwickelten Selbstverständnis der Stadt Wolfsburg, das vom Image der Automobilstadt weg zu den Leitbildern Kunst und Technik wechseln wollte, kam diese Nutzungsidee gerade recht.

Im Übrigen war das städtebauliche Problem des „Nordkopfs“ zu lösen. Hier trifft die zentrale Einkaufsmeile Porschestraße unvermittelt auf die querliegenden Trassen von Bahn und Kanal. Spätestens seit dem Bau des Publikumsmagneten Autostadt (deren Besucher – welch feines Paradox – zum Gutteil mit der Bahn anreisen) auf der „anderen“ Kanalseite und der dorthin führenden Fußgängerbrücke wurde die Notwendigkeit einer städtebaulichen Neuordnung dieser Fläche einsichtig. Zaha Hadids Entwurf ist in der Wettbewerbsjury vor allem deswegen ausgewählt worden, weil er ein „Durchfließen“ von Fußgängerströmen, zum Beispiel vom Bahnhof zur Autostadt, ermöglichen soll. Hadids Gebäude ist nämlich vollständig aufgeständert; im Erdgeschossniveau befinden sich gebaute öffentliche Sonderfunktionen und ansonsten eine überdachte Freifläche. Was die Jury im Modell beeindruckt hat, funktioniert in der Realität allerdings nicht. Trotz der „designten“ Lichtkörper unter der Decke ist der Aufenthalt in der zugigen, dunklen Zone ungemütlich. Das Ambiente erinnert eher an einen Busbahnhof oder an eine Parkgarage. Es steht zu vermuten, dass Fußgänger um den Hadid-Bau herumgehen werden, statt unter ihm durchzugehen. Auch mit der Innenstadt hat diese Zone nichts zu schaffen; man kommt von der Porschestraße und geht über die Brücke oder zum Bahnhof - beides führt ebenfalls am Phaeno vorbei.

Bleibt der durch diese Bauweise möglich gewordene schwebende Charakter des spitz zulaufenden geformten Baukörpers. Gerhard Matzig hat das Phaeno in der „Süddeutschen“ nicht ohne Grund liebevoll „das fliegende Klassenzimmer“ genannt. Mit diesem dramatischen Volumen hat Wolfsburg endlich das bekommen, was es an dieser Stelle immer brauchte: Ein gebautes Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass Wolfsburg mehr ist als gesichtsloser Nachkriegsfunktionalismus auf der einen und monumentaler Industriebau auf der anderen Seite des Kanals. Jetzt gibt es etwas, das die Kraft hat, dazwischen zu vermitteln. Und Spaß macht es noch dazu.

Benedikt Hotze


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Phaeno, Foto: Janina Snatzke (um 2020)

Phaeno, Foto: Janina Snatzke (um 2020)

Phaeno, Foto: Janina Snatzke (um 2020)

Phaeno, Foto: Janina Snatzke (um 2020)

Balancierstab, Teil der interaktiven Versuche, Foto: Janina Snatzke (um 2020)

Balancierstab, Teil der interaktiven Versuche, Foto: Janina Snatzke (um 2020)

Feuertornado, Foto: Lars Landmann (um 2020)

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