Als dieser Wettbewerb 2017 mit fünf gleichrangigen ersten Preisen endete, hätte wohl niemand damit gerechnet, dass einer davon tatsächlich realisiert werden würde. Zu kompliziert war die Vorgeschichte, zu komplex die Aufgabe, zu halbherzig wirkte das Verfahren. Aber nun, acht Jahre später, ist die Arbeit getan und der Plac Defilad – der „Paradeplatz“ östlich des pompösen Kulturpalasts mitten in Warschau – wurde nach den Entwürfen des jungen Büros A-A Collective (Warschau/Kopenhagen/Basel/Mailand) fertiggestellt.
Der Paradeplatz ist bislang kein Platz im engeren Sinne. Vielmehr verbirgt sich hinter der Bezeichnung eine weite, offene Fläche, die östlich des Kulturpalastes von drei großen Verkehrsachsen eher lose begrenzt wird. Vor dem monumentalen östlichen Säulenportikus (der Kulturpalast hat davon vier, einen in jede Himmelsrichtung) ließen die kommunistischen Machthaber gerne Massendemonstrationen oder Militärparaden vorbeiziehen – daher der Name.
Seit 1989 diente die undefinierte Freifläche hauptsächlich als Parkplatz und Standort eines inoffiziellen, aber sehr beliebten Marktes, der schließlich unter großen Protesten geräumt wurde. Seitdem standen die Flächen weitgehend leer. Pläne gab es immer wieder. Mal scheiterten sie an politischer Überzeugung, mal an ungeklärten Besitzverhältnissen der zahllosen historischen Parzellen.
Einen ersten Schritt zur heutigen Form des Paradeplatzes machte der internationale Wettbewerb von 2014 für ein Theater und ein Museum, die dem Platz neue Raumgrenzen geben sollten. Den Wettbewerb gewann der amerikanische Architekt Thomas Phifer. Sein Muzeum Sztuki Nowoczesnej (MSN) wurde 2024 eröffnet. Als weißer und abstrakter Quader liegt es dem Kulturpalast zu Füßen. Das Theater wartet noch auf seine Finanzierung. Zwischen diesen beiden repräsentativen neuen Kulturbauten sollte ein neuer Platz entstehen, der zukünftig einfach den Namen „Zentralplatz“ trägt. Dafür wurde 2017 der eingangs erwähnte Wettbewerb ausgeschrieben.
Die fünf Erstplatzierten des Wettbewerbs gingen in eine öffentliche Diskussion und Abstimmung. Letztlich entschieden sich die Verantwortlichen für den Entwurf des jungen Büros, das aus vier frischen Architekturabsolventen besteht, die sich vom Studium in Mendrisio und ersten Arbeitserfahrungen in Basel kannten. Wir haben die vier in der BauNetz WOCHE #660 „Shortlist 2025“ vorgestellt.
Der Entwurf von A-A Collective ist eine intelligente Collage aus verschiedenen Materialien, mit denen sie auf dem Platz die Überlagerungen von vier Zeitschichten sichtbar machen. Die erste ist die Situation im Jahr 1939 – mit den kleinen Gassen, Wohnhäusern und Höfen, die hier über Jahrhunderte gewachsen waren. Sie bildet das Grundmuster der Pflasterung. Die zweite Schicht ist die Grenze des Ghettos, das die deutschen Besatzer 1940 mitten in der Altstadt einrichteten. Der Grenzverlauf bildet nun eine Linie, die als Element der Erinnerung – ähnlich wie der Mauerstreifen in Berlin – immer wieder als gerade Linie in der Pflasterung auftaucht.
Bei der dritten Schicht handelt es sich um den Stadtgrundriss von 1950. Damals wurde die Fläche großzügig freigeräumt. Die einzigen Elemente waren eine große Natursteinterrasse vor dem Ostportal des Palastes und der Standort der Ehrentribüne, die bei den Paraden immer an derselben Stelle aufgebaut wurde und jetzt als Podest wiederkehrt. Die vierte Schicht ist schließlich die der Gegenwart. Sie richtet sich in den Überschneidungen der drei vorangegangenen Schichten mit elf verschiedenen Baumarten ein, mit Raseninseln, Blumenrabatten, Stadtmöbeln und Lampen sowie mit einem kleinen Bereich für Veranstaltungen direkt vor der steinernen Kulisse des Ostportals.
Etwa ein Drittel der verbauten Steine wurden direkt aus der historischen Pflasterung des Plac Defilad weiterverwendet. Unter dem Platz wurden Rückhaltebecken eingesetzt, um Regenwasser zu speichern und es zur Bewässerung der Pflanzen zu verwenden.
Sowohl die im Kulturpalast ansässigen Institutionen als auch das MSN sollen die neu gestalten Freifläche mit einem bunten Kulturprogramm bespielen – geplant sind unter anderem Vorträge, Konzerte, Fest oder Märkte. Der Platz soll ein „urbanes Wohnzimmer“ für alle werden, schreiben A-A Collective. Damit wurde auch der monumentale, stalinistische Kulturpalast 70 Jahre nach seiner Eröffnung endlich in einem menschlichen Maßstab etwas zugänglicher. (fh)
Fotos: Jędrzej Sokołowski
Zum Thema:
Mehr zu „Polens neuen Kulturbauten“, darunter auch Thomas Philips MSN, in der BauNetz WOCHE #656.
Dieses Objekt & Umgebung auf BauNetz-Maps anzeigen: