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10.12.2019

Buchtipp: Betonikone

Flying Panels. How Concrete Panels Changed the World


Abstrakt, zeitlos, maximale Reduktion aufs Wesentliche – was Malewitschs Gemälde „Das schwarze Quadrat“ für die moderne Kunst ist, ist die Betonplatte für die moderne Architektur: eine Ikone, die nicht nur ihre Disziplin, sondern auch die Welt an sich verändert hat. Mit dieser These empfangen Architekt Pedro Ignacio Alonso und Designer Hugo Palmarola die Leserschaft im Vorwort des von ihnen herausgegebenen Buches „Flying Panels. How Concrete Panels Changed The World“. Der umfangreiche Band in englischer Sprache begleitet eine gleichnamige Ausstellung, die gegenwärtig im Stockholmer Architekturzentrum ArkDes zu sehen ist und ebenfalls von den beiden Chilenen kuratiert wurde. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen diese sich mit der Kulturgeschichte des Plattenbaus und untersuchen dabei die Verbindungslinien zwischen Architektur, Technologie, Soziologie, Politik und Kunst. Für ihre Ausstellung „Monolith Controversies“ im chilenischen Pavillon der 14. Architekturbiennale in Venedig, in deren Mittelpunkt eines der ersten in Chile produzierten Plattenbaumodule stand, erhielten sie 2014 den Silbernen Löwen.

Publikation und Ausstellung widmen sich mit dem Betonfertigteil einem Baumaterial, das wie kaum ein zweites das Gesicht der modernen Stadt geprägt hat. Millionen von Menschen wohnen heute in einer der „Platten“, die während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern wie Pilze aus dem Boden schossen. Mit den seit den 1950er Jahren massenhaft vorfabrizierten Bauteilen ließ sich jedoch nicht nur auf schnelle, effiziente und ökonomische Weise Wohnraum für eine explodierende Weltbevölkerung schaffen. Die neue Technik wurde zugleich zum Symbol einer besseren, fortschrittlichen Gesellschaft und somit vielerorts auch zum Propagandainstrument. Insbesondere in sozialistischen Staaten – allen voran in der damaligen UdSSR und in China – kursierten schnell heroische Darstellungen in Form von Malereien, Plakaten und Wandmosaiken, die das immer gleiche ikonische Motiv zeigen: eine oder mehrere scheinbar leicht und schwerelos durch die Luft schwebende Betonplatten, deren Flug durch die Armbewegungen eines Arbeiters wie durch Zauberhand dirigiert wird. Doch auch im Kulturgut der westlichen Welt taucht der „fliegende Teppich des 20. Jahrhunderts“ auf, sei es in Filmen und Cartoons, als Spielzeug oder gar als Bühnenbild.

Das reich bebilderte Buch erhellt diese Bezüge und versammelt zwölf thematische Essays, in denen Expert*innen ein kaleidoskopisches Panorama der Betonplatte von ihren Anfängen bis heute zeichnen. Thematisiert wird dabei auch die Bedeutungsverschiebung, die den einst euphorisch begrüßten Hoffnungsträger im Wohnungsbau zum Inbegriff urbaner Anonymität, Tristesse und eines Lebens im sozialen Abseits werden ließ – und die ästhetische und konstruktive Renaissance, die sich gegenwärtig andeutet. Medientheoretiker und Philosoph Boris Groys beispielsweise entwirft eine Genealogie der Platte, während Architekturhistorikerin Natalya Solopova erzählt, wie der französische Ingenieur Raymond Camus nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Modulsystem entwickelte, das bald darauf einen Siegeszug durch 20 verschiedene Länder antrat. Architekturprofessor Adrian Forty wiederum unternimmt in seinem Text eine Reise in die zwischen 1959 und 1962 errichtete Wohnsiedlung „Les Bleuets“ im Pariser Vorort Créteil und zeigt, wie Architekt Paul Bossard hier mit „technischen Experimenten“ in Form von Schieferapplikationen versuchte, die Monotonie der standardisierten Platte durch ästhetische Imperfektion aufzubrechen.

Weitere Beiträge kommen von den beiden Herausgebern über ihre Recherchen einer globalen Geschichte von Betonfertigbausystemen, von Hugo Palmarola über Platten im Film, vom Architekturwissenschaftler Michael Abrahamson über die Geschichte des Plattenbaus in den USA, von der Kuratorin Maria Lind über modernen Wohnungsbau als Sujet der Kunst und von dem Architekten Philipp Meuser – zugleich Kopf des Verlags DOM publishers, in dem das Buch erscheint – über sowjetische Mosaikfassaden in Taschkent. Geschichtsprofessorin Christine Varga-Harris wirft einen Blick auf das Thema Heimdekor in der UdSSR in der Ära des Massenwohnungsbaus, der Architekt Erik Stenberg auf die schwedische Architektengruppe D4-gruppen – Ende der 1950er Jahre Pioniere des Betonfertigbaus in Schweden – und Architekturforscherin Jennifer Mack schreibt darüber, wie die Stockholmer Plattenbausiedlung Södertälje von den in den 1970er Jahren hier ankommenden syrischen Migranten wahrgenommen wurde. Ein Ausschnitt aus einer 1972 von Jimena Castillo publizierten Reportage über Frauen als Kranführerinnen rundet diese vielschichtige und unterhaltsame Publikation ab.

Text: Diana Artus

Flying Panels. How Concrete Panels Changed The World

Pedro Ignacio Alonso und Hugo Palmarola (Hg.)
Eine Publikation von ArkDes – The Swedish Centre for Architecture and Design

Englisch
264 Seiten, 300 Abbildungen
DOM publishers, Berlin 2019
ISBN 978-3-86922-563-0
38 Euro


Zum Thema:

Die Ausstellung „Flying Panels. How Concrete Panels Changed The World“ im ArkDes – The Swedish Centre for Architecture and Design in Stockholm läuft noch bis zum 1. März 2020.


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Ein Buch über die Kulturgeschichte der Platte, dem „fliegenden Teppich des 20. Jahrhunderts“.

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Installation einer Betonplatte auf einer schwedischen Baustelle. Sune Sundahl, 1967–1968, ArkDes collections.

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Wu Yi und Guo Zhongyu, „Building Socialism Fast“, 1960.

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Aleksandr Deyneka, „Building Peace“, 1959–60. Skizze eines Wandmosaiks für die „Erste Nationale Kunstausstellung der Sowjetunion“, Moskau, 1960. Staatliche Tretjakov-Galerie.

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