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11.06.2025
Buchtipp: Upper Lawn, Solar Pavilion
Das Architekturlabor der Smithsons
Dieses Buch handelt nur von einem einzigen Gebäude. Dazu noch von einem ziemlich kleinen: 1958 kauften Alison und Peter Smithson ein verfallenes Cottage am Rande eines großen Gehöfts in Wiltshire, Südwestengland. Das Cottage ließen sie abreißen, nur die Außenmauer und ein alter Schornstein blieb erhalten. Um diese Reste formten sie einen zweigeschossigen Leichtbaupavillon als Holzbau mit vor allem nach Süden fast vollständig verglasten Fassaden: ein Pavillon in der Tradition des englischen Folly. Sie benannten ihn nach seinem Standort Upper Lawn oder nach seiner Transparenz zur Sonne Solar Pavilion. Der Buchtitel stellt beide Namen schlicht und gleichberechtigt nebeneinander.
Die Smithsons beschreiben den Pavillon schon früh als Laboratorium der eigenen Ideen. Hier können sie ausprobieren, was in London noch nicht akzeptiert oder auch nur zugelassen war: Abflussrohre aus Pechfasern, Wassertanks aus Polyester, das ganze Haus als „schlichtes Klimahaus“. Über die verglasten Süd-, Ost- und Westwände fing es die Sonnenwärme Südenglands, während nach Norden über der erhaltenen Steinmauer die einzige geschlossene Wand mit einer schimmernden Aluminiumhaut stand. Darunter in der alten Wand saßen eine neue Tür und zwei einfache Fenster. Ein starker Kontrast zwischen Alt und Neu, der nur noch stimmiger wirkte, wenn das Familienauto vor dem Eingang parkte – ein Citroën DS19.
Die vierjährige Umbauzeit ist eine Serie von Versuchen und Experimenten, genau wie die Nutzung danach. Die offenen Etagen des Pavillons gewinnen durch die eingebauten Fragmente des Alten an Komplexität. Es ist ein Ausprobieren ihrer „As Found“-Ideen am „lebenden“ Objekt. So wie die offenen Materialien, das raue und unfertige der offen verlegten Leitungen und Installationen ein Testen des „New Brutalism“ darstellen, den sie gemeinsam mit ihrem Freund Reyner Banham entwickeln. Auch Banham taucht auf einem der Fotos kurz als Sommergast im Garten auf. Im Kern ist dieses Buch eben keine Baudokumentation, sondern ein Familienalbum, in dem auch die drei Kinder Simon, Samantha, Soraya und die Katze Snuff immer wieder vorkommen.
Eher beiläufig bemerkt man beim Betrachten der Fotos, wie sich die schmalen Teakholz-Glastüren, auf der Gartenseite des Erdgeschosses, aufklappen lassen, sodass der Wohn- und Essbereich fast vollständig nach außen geöffnet werden kann. Man muss die Information schon suchen, dass diese Konstruktion nur möglich ist, weil das Obergeschoss auf einem Betonbalken sitzt, der im alten Schornstein verankert wurde und auf zwei rauen Betonstützen aufliegt, die wie nebenbei hinter der Fassade stehen. Ein ganz simples und deswegen so passendes Tragwerk für das schlichte Haus – kaum mehr als eine leichte Box auf einer alten Steinmauer.
Die Fotos – selten auch Zeichnungen – werden begleitet von trockenen, kurzen Notizen aus Alisons Tagebuch. Ein ähnliches Fotoalbum hatten die Smithsons schon 1986 als kleines Buch zum Haus herausgebracht. Auch diese Geschichte findet sich jetzt in der Neuauflage bei Mack Books wieder. Damals hatte Alison einen Vortrag in Barcelona gehalten, in dem auch der Pavillon kurz vorkam, was den jungen spanischen Studenten Enric Miralles so faszinierte, dass er mehr wissen wollte. Aus dem Dialog zwischen Miralles und Alison Smithson entstand das erste Buch, mit einem Kurztext von ersterem. Das Material wurde nun grafisch neu aufbereitet und um neues Material erweitert. Ein sehr schöner und persönlicher Essay von Paul Clarke, Professor an der Belfast School of Architecture, leitet die Neuauflage ein.
Über weite Strecken wirkt das wunderbar leichte Buch wie das Skript zu einem experimentellen Film. Im Zusammenspiel aus Bild und Text entsteht eine Erzählung, die vor allem das Leben mit der Architektur, also den Gebrauch zeigt. Was wunderbar zur Architekturphilosophie der Smithsons passt. Das Haus gibt es übrigens noch. Die Smithsons haben es 1982 verkauft. 2002 bis 2004 wurde es von Sergison Bates architects sorgfältig für die neuen Besitzer restauriert. So sitzt Upper Lawn oder Solar Pavilion heute noch als unverfälschtes Werk des New Brutalism auf seiner Steinmauer und schaut mit schimmernder Aluhaut über die hügelige Landschaft.
Text: Florian Heilmeyer
Upper Lawn, Solar Pavilion
Alison and Peter Smithson, Enric Miralles
144 Seiten
Mack Books, London 2023
ISBN 978-1-915743-00-8
45 Euro
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Alison Smithson vor dem Solar Pavilion, den sich die Smithsons auf den Außenmauern eines Bauernhofs errichteten. Foto von 1962

Blühende Narzissen vor der geöffneten Gebäudeecke, Ostern 1974

Alison und Snuff Smithson beim Frühstück am Wintermorgen des „Großen Schnees“, Februar 1978

Schnitt durch den Brunnen, um dessen Tiefe in Bezug zum Haus, zum Grundstück und zur Größe der Bäume zu zeigen. Zeichnung aus den 1960er Jahren
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