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25.06.2025
Realexperiment mit Lehmdecken
Bürobau in Basel von Herzog & de Meuron
Nachhaltigkeit beim Bauen ist längst Standard. Was in der Theorie gut klingt, bleibt in der Praxis jedoch noch oft bloßes Etikett. Wie viel möglich ist, wenn das Prinzip Nachhaltigkeit bis zum Ende verfolgt wird, zeigt das kürzlich eröffnete Bürogebäude Hortus.
Von Dorit Schneider-Maas
Ein „radikal nachhaltiges Gebäude zu schaffen”, so lautete die Vorgabe von SENN (Basel). Der Investor, der in diesem Fall gleichzeitig die Generalplanung übernahm, beauftragte Herzog & de Meuron (Basel) mit dem Entwurf für das Bürohaus. Entstanden ist ein fünfgeschossiger Holzrahmenbau mit Stampflehmdecken. Das Haus mit dem Namen Hortus steht auf dem Gelände des Switzerland Innovation Park (SIP) in der an Basel angrenzenden Gemeinde Allschwill – einem wachsenden Campus auf der grünen Wiese, der bis 2028 mit einer Investitionssumme von umgerechnet circa 375 Millionen Euro ausgebaut wird.
Hortus ist bereits das zweite Projekt, das HdM zusammen mit SENN auf dem Areal realisierte. Direkt neben dem frisch eröffneten Bau steht das 2023 fertiggestellte Forschungsgebäude SIP Main Campus HQ. Der Campus soll insbesondere Startups, aber auch etablierten Unternehmen in den Bereichen Biotechnologie, Medizintechnik und Gesundheitswesen Raum bieten. Der Hortus-Neubau umfasst eine Bruttogrundfläche von rund 14.100 Quadratmetern für etwa 600 Arbeitsplätze.
Holzdecken mit Stampflehm
Eine der Besonderheiten bei dem Projekt sei die „Umkehrung des Entwurfsprozesses“ gewesen, erzählt Projektleiter und Assoziierter bei HdM Alexander Franz beim Presserundgang vor Ort. Zu Beginn stand die Frage, welches konstruktive Element die wichtigste Stellschraube für ein ressourcenschonendes Bauen darstelle. Daraus ergab sich ein siebenmonatiger Forschungsprozess, zu dessen Ende ein neues Deckensystem entwickelt wurde.
In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Unternehmen Lehm Ton Erde Baukunst (Schlins), dem Holzbauunternehmen Blumer Lehmann (Gossau) und den Ingenieur*innen von ZPF (Basel) konzipierte man einen Aufbau aus Holzrahmen mit gestampftem Lehm. Der eigentliche Entwurf sei dann erst auf dieser Grundlage entwickelt worden, sagt Franz. Ähnlich wie mit SENN hat auch die Zusammenarbeit mit Lehm Ton Erde Baukunst eine gewisse Tradition: Bereits vor über zehn Jahren entwickelte HdM mit Gründer Martin Rauch einen Stampflehmbau für das Kräuterzentrum des Bonbonherstellers Ricola.
Fast bilderbuchhaft liest sich die Fertigung der Decken für das Hortus-Gebäude. Für den Lehm kam Kies aus dem Aushub vor Ort zum Einsatz, gebrochen im gegenüberliegenden Schüttwerk. Der Lehm besteht zu etwa 76 Prozent aus dem Aushubmaterial, das mit Mergel gemischt und dann in die vorgefertigten Holzelemente in Form eines Gewölbes gestampft wurde. Auch dieser Prozess erfolgte auf dem Nachbargrundstück. In Zahlen bedeutet das „10-mal weniger CO2 Emissionen als bei der Erstellung einer vergleichbaren konventionellen Flachdecke aus Beton”, heißt es in der Pressemitteilung. Auch für die Wände wurde Lehmputz verwendet. Die Vorteile für das Raumklima liegen auf der Hand. Dass das Material auch den Brandschutzanforderungen gerecht werden würde, musste man erst noch testen – erfolgreich.
Modulares System auf Betonfüßchen
Auch bei der Reduktion von Stahlbeton geht das Hortus-Gebäude einen Schritt weiter. Bis auf die „kleinen Füßchen“, wie Franz die Fundamente nennt, ist kein Beton im Gebäude zu finden. Tatsächlich schwebt der Holzbau über dem Boden, denn auch auf ein Kellergeschoss wurde verzichtet. Unter dem Gebäude ist die Luft im Sommer kühl und im Winter warm, was wiederum gemeinsam mit der Geothermie, die das Haus mit Energie zum Heizen und Kühlen versorgt, der Temperaturregulierung zugutekommt.
Für den Modulbau verwendete man Holz aus verschiedenen Wäldern der Umgebung „zwischen St. Gallen und Basel“. Nicht nur Leim- sondern auch Vollholz kam aus Gründen der Nachhaltigkeit zum Einsatz. Alle Verbindungen wurden gesteckt, sodass die Bauteile leicht demontierbar bleiben. Außerdem wurden alle Elemente im Sinne des Cradle-to-Cradle-Prinzips katalogisiert.
Hortus conclusus
Herzstück des Gebäudes ist ein bepflanzter Innenhof, gestaltet vom Landschaftsarchitekten Piet Oudolf (Hummelo), der auch die Highline in New York mitverantwortete. Durch einen offenen Durchgang betritt man diesen grünen Bereich mit geschwungenem Kiesweg, Sträuchern, Gräsern, Stauden und Rankpflanzen. Die zentrale Bedeutung findet sich auch im Namen des Gebäudes wieder, der sich ursprünglich auf den hortus conclusus bezog. Erst im Nachhinein wurde daraus das Akronym für „House of Research, Technology, Utopia and Sustainability”.
Eine Zisterne sammelt hier das Regenwasser, das nicht nur zur Bewässerung der Pflanzen, sondern auch für die Toilettenspülungen genutzt wird. Entlang der Innenfassaden des Hofs erstreckt sich ringsum eine Holzveranda. Neben Sitzungsräumen befinden sich hier ein Restaurant, ein Fitnessstudio mit Café-Bar sowie Sitzgelegenheiten.
Schwingfenster, PET-Flaschen und Kaltwasser
Der Anspruch an Nachhaltigkeit zeigt sich auch in den Details. So wurden Bauteile nicht verklebt und der Einsatz von Kunststoff minimiert. Reduzieren ließen sich auch die Fensterflächen. Dadurch konnten statt klassischer Fenster Schwingfenster mit Zweifachverglasung zum Einsatz kommen, die eine natürliche Belüftung ermöglichen. Für eine bessere Akustik sorgen Paneele aus recycelten PET-Flaschen, die Treppen sind aus unbehandeltem Stahl gefertigt.
Eine Photovoltaik-Anlage mit einer Fläche von rund 5.000 Quadratmetern auf dem Dach und entlang der Fassaden versorgt das Gebäude mit Strom. Dank ihr soll selbst die bei der Entstehung angefallene Energie innerhalb von 31 Jahren komplett amortisiert werden.
Real Life Experiment
Es brauche Menschen, die neue Wege gehen, sagt Johannes Eisenhut, Geschäftsführer der SENN, während der Vorstellung des Projekts. Viele der beim Hortus-Gebäude umgesetzten Aspekte liegen auf der Hand, werden aber aufgrund von ökonomischen Faktoren wie Vermietbarkeit selten bis in letzter Konsequenz verfolgt. Dass die Flächen nun komplett ausgelastet sind, zeigt, was möglich ist, wenn der Wille da ist. Der Preis: Der Bau sei rund zehn Prozent teurer gewesen als ein konventionelles Gebäude, so Eisenhut.
Ihre Zusammenarbeit setzen SENN und HdM übrigens fort. Nur zwei Baufelder weiter entsteht bereits das nächste „Real Life Experiment“ – als solche bezeichnen die beiden Partner ihre gemeinsamen Vorhaben.
Fotos: David Walter, Maris Mezulis
Zum Thema:
Wer sich für die ästhetischen Potentiale von PV-Anlagen interessiert, dem sei die Publikation Made of Solar empfohlen, die im letzten Jahr erschienen ist. Zur Rezension.
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Am vergangenen Donnerstag, 19. Juni, eröffnete das Hortus-Gebäude.

Herzstück des Holz-Lehm-Baus ist ein bepflanzter Innenhof, den man durch einen offenen Durchgang betritt.

Das Erdgeschoss steht auch Mitarbeiter*innen der nebenstehenden Gebäude sowie Anwohner*innen offen.

Die Büroetagen bieten einen offenen Grundriss, der flexibel einteilbar ist.
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