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01.01.2000

BerlinBilder

Bücher im BauNetz


Es ist ein zeitloses, irgendwie „klassisches“ Berlin, das uns der Fotograf Florian Profitlich nahebringt. Nicht die sich erneut im Aufbruch befindliche Stadt, der niemals vergönnt ist zu sein, sondern immer (wieder neu) zu werden. Eine Stadt, die nach Eran Tiefenbrunn im Vorwort zum vorliegenden Band „immer noch nicht herausgefunden zu haben scheint, wo sich ihr Platz zwischen Moment und Ewigkeit befindet: nicht und niemals in einer Tradition verwurzelt und längst schon eine historische Stadt“.

Eine museale Stadt, möchte man ihn angesichts der Bilder Profitlichs korrigieren. Sie zeigen ein Berlin, das durch die nahezu vollständige Abwesenheit von Menschen, überhaupt von sichtbaren Lebenszeichen, geprägt ist und in sich selbst zu ruhen scheint. Eine Stadt, der man die tiefen Wunden, die ihr im 20. Jahrhundert zugefügt wurden, nicht ansieht, und deren wenige im Bild erkennbaren Nachkriegsbauten - etwa der Palast der Republik und das ehemalige Staatsratsgebäude - geschickt in den Hintergrund gerückt sind.

Florian Profitlich kam nach einem Studium der Fotografie in Essen 1995 nach Berlin. Er war - und ist vermutlich noch heute - fasziniert von der Stadt der Brüche, die Berlin auch und vor allem ist, und widmete sich zunächst einem der vielschichtigsten und unkenntlichsten Orte der Stadt: dem Alexanderplatz. Wer die Arbeiten aus dieser Zeit kennt und mit den jüngsten, kaum vier Jahre später entstandenen und im Buch präsentierten vergleicht, der ist verblüfft über den Perspektivwechsel im Werk des 1968 geborenen Fotografen: War es zunächst das Interesse für einen der komplexesten und zugleich am weitesten von seiner ursprünglichen Erscheinung entfernten Stadträume Berlins, so führt uns Profitlich nunmehr Bühnenprospekte einer Stadt vor, die nur das Auge seiner Kamera sieht.

Durch technische Raffinessen - etwa Panoramaaufnahmen und lange Belichtungen - schafft der Fotograf Abbilder, nein: Versatzstücke einer Stadt Schinkels und Knobelsdorffs, allenfalls noch Poelzigs. Die Akteure und der Geist der Zeit sind verschwunden, allein die Bühnenbilder sind überkommen und wollen betrachtet und beachtet werden.

Erst dadurch, dass der Fotograf das reale Leben und die Spuren moderner Architektur weitgehend ausblendet, schärft er den Blick für die Relikte der Stadt des 19. Jahrhunderts, die heute wieder vielstimmig beschworen wird. „Das gibt diesen Arbeiten, weil sie mit den Bildern im Kopf so wenig übereinstimmen, etwas Denaturiertes, eine ähnliche Künstlichkeit, wie sie auch durch die Mittel des „Neuen Sehens“ erzielt worden ist“, schreibt Barbara Wahlster in ihrem Essay.

Zum Beispiel bei einer Aufnahme der Neuen Wache: Tausendmal gesehen, gibt Profitlich dem im 20. Jahrhundert gleich dreifach für politische Rituale missbrauchten Bauwerk seine Würde zurück und lenkt zugleich den Blick auf kaum beachtete Details: So setzten das unwirkliche Licht und die von ihm verursachten harten Schatten Schadows Siegesgöttinnen im Gebälk erst richtig in Szene, und zwischen den Säulen der Vorhalle fällt der Blick auf eine seitliche Tür, durch die jeden Moment ein Schauspieler die Szenerie betreten könnte.

In einigen Abbildungen offenbart sich Profitlichs Faszination für stählerne Brücken und Hochbahntrassen. Meist noch Werke des 19. Jahrhunderts, künden sie doch von einer beginnenden Moderne, von Bewegung und Erneuerung, deren Abwesenheit die Unwirklichkeit der Aufnahmen noch unterstreicht. Der Fotograf richtet den Blick nicht nach vorn, er frönt gerade nicht einer Faszination für eine Stadt der Umbrüche, der Überformungen, sondern er bietet dem Auge Ruhe für die genaue Betrachtung jener Spuren einer vergangenen Zeit, die noch immer gegenwärtig sind und die ein intensives Studium lohnen. Profitlich stellt sich damit nicht in den Dienst etwa eines obskuren Vereins wie der „Gesellschaft Historisches Berlin“, die das Bild eines historischen Berlin erschaffen will, das es so nie gegeben hat. Sein Bildband ist vielmehr ein flammendes Plädoyer für eine Wertschätzung der authentischen vormodernen Baugeschichtszeugnisse, die es im jüngsten Erneuerungswahn unbedingt zu bewahren gilt. Dies als Kampfansage an die Moderne zu interpretieren, wäre eine grobe Missinterpretation.
(Oliver G. Hamm)

Florian Profitlich
Mit Beiträgen von Eran Tiefenbrunn (Vorwort), Barbara Wahlster (Essay) und Wolfgang Gottschalk (Bildtexte).
Gebunden, 168 Seiten mit 91 Duotone-Aufnahmen
jovis Verlagsbüro, Berlin 1999
ISBN: 3-931321-57-6


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