„Heinrich Tessenow (1876–1950) gilt als einer der bedeutendsten deutschen Architekten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“ Eventuelle Zweifel an der Daseinsberechtigung seiner Publikation Heinrich Tessenow. Martin Boesch schon mit dem ersten Satz aus der Welt zu schaffen. Daran anschließend bemüht er sich, diese These auf mehr als 500 großformatigen Seiten und mit Unterstützung von 33 (sic!) Autor*innen zu belegen.
Zumindest mit der universitären Wirklichkeit dürfte Boeschs Auffassung kontrastieren. Eher als mit dem Werk Tessenows kommen angehende Architekt*innen mit dem Schaffen seiner einstigen Kollegen (oder Konkurrenten) in Kontakt, zu denen Mies van der Rohe, Walter Gropius, Erich Mendelsohn und Bruno Taut gehörten. Zwar zeugen herausragende Bauten wie das Festspielhaus in Dresden-Hellerau oder das Berliner Stadtbad Mitte zweifelsfrei von Tessenows Können. Einer Auseinandersetzung mit diesen und anderen Bauten stand allerdings entgegen, dass das Archiv des Architekten im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Zudem erschwerte Tessenows vieldiskutiertes Verhältnis zum Nationalsozialismus eine Wiederentdeckung.
Es kann daher nicht überraschen, dass die publizistische Beschäftigung mit Tessenows Schaffen zunächst vor allem im Ausland erfolgte. Bereits 1991 hatte der Architekturhistoriker Marco de Michelis eine wissenschaftliche Arbeit zum Werk des Architekten veröffentlicht. Weniger als an einer wissenschaftlichen Erörterung der ikonischen Projekte ist Boesch allerdings an einer Handreichung für Architekt*innen gelegen. Dementsprechend ist die nun erschienene Publikation auch nicht chronologisch aufgebaut, sondern thematisch gegliedert. An das einleitende Kapitel „Annäherungen“ schließt ein Abschnitt mit der Überschrift „Das große Haus und das kleine Haus“ an. Eine weitere Sektion ist dem „Bauen in der Landschaft“ gewidmet, es folgen „Projekte für die Stadt“.
Als Hochschullehrer hat Tessenow so unterschiedliche Architekt*innen wie Margarete Schütte-Lihotzky oder Albert Speer ausgebildet. Heute liegt die Vorbildlichkeit Tessenow nach Auffassung des Herausgebers darin, dass der Architekt Fragen thematisiert habe, die nicht an Relevanz eingebüßt hätten – etwa zum Verhältnis von Natur und Kultur. Gemäß dieser Wertschätzung hatte Boesch zuvor bereits eine Ausstellung zum Werk des Architekten kuratiert, die vergangenes Jahr in Mendrisio zu sehen war. 2024 soll sie in Dortmund gastieren.
Text: Achim Reese
Heinrich Tessenow.
Martin Boesch (Hg.)
532 Seiten
Hochparterre, Zürich 2023
ISBN 978-3909928828
89 Euro
Zum Thema:
Über das Werk Heinrich Tessenows und seine Publikation hat Herausgeber Martin Boesch sich auch im Hochparterre-Podcast geäußert, der auf der Website der Zeitschrift zu finden ist.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Uriel | 09.11.2023 20:50 UhrKritik?
@ Gabriel
nanu, was hätten sie denn in vier absätzen noch alles über heinrich tessenow erfahren wollen?